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Hessens Lehrkräfte werden häufig Opfer von Gewalt

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Von: Peter Hanack

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Schön, wenn es im Unterricht friedlich zugeht. Das ist längst nicht immer der Fall.
Schön, wenn es im Unterricht friedlich zugeht. Das ist längst nicht immer der Fall. © dpa/(Symbolbild)
Die Justus-Liebig-Universität hat mehr als 4000 hessische Lehrkräfte gefragt, ob sie schon im Beruf mit Gewalt konfrontiert haben. Von denen, die geantwortet haben, wurde die Mehrzahl bereits zum Ziel von Übergriffen.
Die Justus-Liebig-Universität hat mehr als 4000 hessische Lehrkräfte gefragt, ob sie schon im Beruf mit Gewalt konfrontiert haben. Von denen, die geantwortet haben, wurde die Mehrzahl bereits zum Ziel von Übergriffen. © Justus Liebig Universität / FR-Grafik

Eine Studie der Justus-Liebig-Universität Gießen offenbart eine zunehmende Aggression. Jeder Fünfte wurde bereits körperlich angegriffen. Und die Dunkelziffer ist hoch.

Hessische Lehrkräfte sind aufgrund ihres Berufs offenbar in großer Zahl von Gewalt betroffen. Das legt eine Studie der Justus-Liebig-Universität im Auftrag des Deutschen Beamtenbunds (dbb) Hessen nahe. Demnach haben 74 Prozent Beschimpfungen und Beleidigungen erlebt, jede:r Fünfte wurde Opfer eines körperlichen Angriffs. Angezeigt aber werden nur die wenigsten Übergriffe.

Betrachtet man die Statistik des Bundeskriminalamts, scheint Gewalt gegen Lehrkräfte ein eher kleines Problem zu sein. Dort sind 2021 für Hessen gerade einmal 53 Straftaten verzeichnet. Bei mehr als 60 000 Lehrern und Lehrerinnen, die an Hessens Schulen arbeiten, ist das vergleichsweise wenig.

Statistik zeigt nur einen Bruchteil

Doch in die Statistik geht lediglich ein Bruchteil dessen ein, was sich an den Schulen ereignet. „Die polizeiliche Kriminalstatistik erfasst insgesamt nur rund ein Viertel der Kriminalität“, erklärte dbb-Landesvorsitzender Heini Schmitt, selbst ehemaliger Polizist, am Mittwoch in Frankfurt anlässlich der Vorstellung der Studie „Gewalt gegen Lehrkräfte in Hessen“. Hinzu kommt, dass anscheinend die wenigsten Delikte angezeigt werden. „Bei einer Vorstudie hat sich gezeigt, dass die Anzeigequote bei gerade einmal zwei Prozent liegt“, erläuterte die Kriminologin Britta Bannenberg von der Universität Gießen. Tatsächlich also gibt die Kriminalstatistik nur einen Ausschnitt der Wirklichkeit wieder.

Ein anderes Bild vermitteln die Ergebnisse der Befragung, die im September und Oktober 2022 unter gut 4000 hessischen Lehrkräften vorgenommen wurde. Von ihnen hatten rund 630 geantwortet (15 Prozent).

Räder und Autos demoliert

Fast jede:r Dritte gab an, bereits über das Internet beschimpft oder beleidigt worden zu sein, 44 Prozent wurden bedroht, jede:r Zehnte angespuckt, 19 Prozent körperlich angegriffen. Häufig richtete sich Gewalt auch gegen Autos, Fahrräder oder anderen Besitz der Lehrkräfte.

Die Gewalt gehe größtenteils von Schülern oder Schülerinnen aus, aber auch Eltern oder andere, schulfremde Personen seien Täter oder Täterinnen, berichtete Tim Pfeiffer, Ko-Autor der Studie. Da würden Stühle oder Tische knapp am Lehrerpult vorbeigeworfen, bauten sich Schüler mit geballten Fäusten vor einer Lehrerin auf, werde im Internet gehetzt, prügele eine Gruppe auf dem Nachhauseweg auf einen Lehrer ein, werde ins Gesicht geschlagen oder Pfefferspray versprüht.

Psychische Folgen

Es seien Vorfälle wie diese, die den Lehrkräften zu schaffen machten, sagte Bannenberg. Aber auch wiederholte oder lang anhaltende Beleidigungen und Beschimpfungen setzten den Lehrkräften zu. Ein Drittel habe mit psychischen Folgen zu kämpfen, bei fünf Prozent blieben diese dauerhaft bestehen. Viele reagierten mit Wut und Ärger, Angst und Hilflosigkeit auf die Angriffe.

Und die Gewalt nehme zu, sagte Bannenberg. Corona habe die Situation verschärft, auch der Ukrainekrieg, Inflation oder wirtschaftliche Nöte erhöhten offenbar den Druck in der Gesellschaft. Und der entlade sich immer häufiger in den Schulen.

Wunsch nach Hilfe

Die aber fühlten sich oft im Stich gelassen. Gegenüber den Schulämtern herrsche großes Misstrauen, von ihnen erwarte man sich kaum Unterstützung, Deshalb würden dort nur wenige Vorfälle angezeigt, entsprechend groß sei die Dunkelziffer.

Auch die Lehrkräfte selbst wünschten sich mehr Hilfsangebote. Dabei gehe es um Programme zu Gewaltprävention ebenso wie um Fortbildungen oder Deeskalationstraining. Sie wünschten auch den verstärkten Einsatz von Sozialpädagog:innen oder die Möglichkeit, in „problematischen Klassen“ mit einer Doppelbesetzung zu arbeiten. Aber dafür fehle den Schulen meist das Personal.

Siehe Kommentar „Entspannung ist nicht in Sicht“

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