Hebammen verzweifelt gesucht

Freiberufliche Geburtshelferinnen sind in Frankfurt bis zum Jahresende ausgebucht. Das bedeutet Stress für Eltern und Ammen.
Ich habe mich schon in der dritten Schwangerschaftswoche um eine Hebamme gekümmert, die mein Baby und mich nach der Geburt versorgt. Ansonsten hat man in Frankfurt gar keine Chance“, erzählt eine Mutter. Eine andere Frankfurterin mit einem vier Wochen alten Baby bestätigt, dass sie sich direkt beim positiven Schwangerschaftstest im Geburtshaus angemeldet hat. „Es gibt nur ein Geburtshaus in Frankfurt, und da sind die Wartelisten sehr lang. Ich wollte unbedingt eine Eins-zu-eins-Versorgung. In den Kliniken ist das nicht möglich“, erzählt Daniela Mehler (33).
Beide Mütter gehen mit ihren Kindern beim „March of Roses“ durch die Frankfurter Innenstadt mit. Organisiert hatte den Protestmarsch vergangene Woche die Elterninitiative „Mother Hood“. Hebammen und Mütter verteilen Rosen an Passanten für „sichere Geburten“. Ein Herr nimmt eine Rose entgegen und nickt: „Ja, ja, sichere Geburten sind eine wichtige Sache.“
„Die Rosen stehen für die Verletzbarkeit der Frau bei der Geburt“, sagt eine der Vorsitzenden der Elterninitiative Mother Hood, Franziska Kliemt. „Der Stress, keine Hebamme zu bekommen, nicht rechtzeitig in der Klinik zu sein, sich eine Hebamme mit drei anderen Frauen teilen zu müssen, kann für Mutter und Kind zu körperlichen und psychischen Folgen führen“, betont sie. Der bundesweite Verein Mother Hood ging aus der Facebookgruppe „Hebammenunterstützung“ mit etwa 16.000 Mitgliedern hervor und wurde im Jahr 2015 gegründet. Gekommen sind aber nur 30 Demonstranten: „Das ist schade, in den sozialen Netzwerken sind die Eltern viel aktiver dabei“, sagt Kliemt.
„Seit drei, vier Jahren gibt es einen Hebammenmangel in ganz Hessen, auch in den ländlichen Regionen“, sagt die Vorsitzende des Landesverbandes der Hessischen Hebammen, Gabriele Kopp. Das Sozialministerium in Wiesbaden hingegen geht nicht von einem generellen Mangel aus. Die Probleme bezögen sich meist nur auf die eher kleine Gruppe der freiberuflich arbeitenden Hebammen, sagt der stellvertretende Sprecher Markus Büttner.
„In Frankfurt findet aber nur noch jede zweite Frau eine Hebamme fürs Wochenbett“, sagt dagegen Kopp. Nina Martin, Sprecherin des Deutschen Hebammenverbands, bestätigt den Mangel und betont, 80 Prozent der Hebammen arbeiteten freiberuflich: „Frankfurt ist Spitzenreiter beim Mangel in der Wochenbettbetreuung. Das zeigt auch unsere ,Landkarte der Unterversorgung‘.“ Auf unsere-hebammen.de tragen sich Frauen aus ganz Deutschland ein, wenn sie keine Hebamme gefunden haben. 3550 der 8924 Einträge zur fehlenden Wochenbett-Betreuung (Stand: Sonntag) kommen aus Frankfurt.
„Ich musste 25 Anrufe machen, bis ich eine Hebamme fürs Wochenbett gefunden habe“, sagt eine junge Frankfurter Mutter. „Mir war das wichtig, das ist mein erstes Kind, und ich brauche jemanden, der mir beispielsweise bei Stillproblemen hilft.“ Viele Hebammen erzählen von Frauen, die so verzweifelt sind, dass sie sogar Extra-Geld anbieten, um Hilfe zu bekommen.
Es gibt zahlreiche Anzeigen von Kliniken, die Hebammen suchen. „In den vergangenen 20 Jahren sind in Hessen rund 30 Kreißsäle geschlossen worden“, sagt Kliemt. In Darmstadt seien schon Hochschwangere, die bereits Wehen hatten, abgewiesen worden, weil die Kliniken voll waren. „Auch in Frankfurt ist das schon passiert“, erzählt eine Hebamme bei der Demo.
Die Arbeitsbedingungen für Hebammen haben sich deutlich verschlechtert, stellt Kopp fest. Dabei gibt es einen anhaltenden Babyboom. 12 805 Babys kamen voriges Jahr in Frankfurt auf die Welt. Mehr Babys gab es zuletzt 1965 (15 768). Bei den Gesundheitsämtern in Hessen sind insgesamt 800 freiberuflich tätige Hebammen (mit und ohne geburtshilfliche Tätigkeiten) registriert. Die genaue Anzahl der freiberuflich tätigen Hebammen lässt sich nicht ermitteln, da einige Hebammen Änderungen ihrer Tätigkeit nicht den Gesundheitsämtern anzeigen, teilt das Sozialministerium mit. Für Frankfurt gibt es laut Gesundheitsamt auch keine konkreten Zahlen. „Nur die freiberuflichen Hebammen müssen sich bei uns registrieren, aber das tun bei Weitem nicht alle“, sagt Sabine Fischer, Abteilungsleiterin für medizinische Dienste.
Karin Schön arbeitet seit über 20 Jahren als Hebamme. Sie bietet Hausgeburten im Rhein-Main-Gebiet an: „Ich bin so ausgebucht, dass ich sogar eine Kollegin neulich ablehnen musste. Viele Frauen haben schlechte Erfahrungen in der Klinik gemacht.“
Mehr Kaiserschnitte
Die Hebamme Nora Lutz, die früher in einer Frankfurter Klinik angestellt war und jetzt freiberuflich arbeitet, sagt: „In der Klinik kann man den Frauen nicht gerecht werden. Da betreut man im Schichtdienst fünf Frauen gleichzeitig. Es passieren Fehler, schlechte Herztöne werden überhört. Es kommt zu mehr Kaiserschnitten als nötig.“
Dass es mehr Kaiserschnitte gibt, belegt auch das Statistische Landesamt: Rund 17 500 von 53 500 Frauen haben 2015 per Kaiserschnitt entbunden, 3884 mehr als 15 Jahre zuvor. Dabei hatten damals noch gut 3600 Frauen mehr ein Kind zur Welt gebracht.
Nora Lutz bietet Stillberatung, Wochenbettversorgung oder geburtsvorbereitende Akupunktur an. Auch Eva Glave arbeitet freiberuflich als Hebamme. Bis Dezember sind die beiden in ihren Frankfurter Praxen ausgebucht. Andere Hebammen schreiben auf ihren Seiten, dass sie bis Ende Februar 2018 ausgebucht sind, oder sogar, dass sie gar keine Frauen mehr aufnehmen können.
Frauen bei der Geburt in der Klinik begleiten beide nicht mehr. „Ich kenne nur zwei freiberufliche Hebammen, die das noch in Frankfurt machen“, sagt Lutz. „Die Haftpflichtversicherung bei Geburten kann ich mir nicht leisten“, sagt Glave. Die jährliche Haftpflicht-Prämie für freiberufliche Hebammen, die als Geburtshelfer arbeiten, kostet bislang 6843 Euro, ab Juli soll sie auf 7639 Euro steigen. Aber auch ohne Geburtshilfe müssten sie hohe Prämien zahlen. Glave überlegt, als Hebamme aufzuhören: „Ich habe einen Stundenlohn von 7 bis 8,50 Euro, und die Lebenshaltungskosten in Frankfurt sind sehr hoch.“
Das Sozialministerium kündigt eine Untersuchung über die Situation der Hebammen im Land an. Außerdem sei in Frankfurt schon eine neue Hebammenschule zumindest beantragt worden – mit zunächst 20 Ausbildungsplätzen. In Frankfurt ist auch ein runder Tisch zum Hebammenmangel geplant.
Am heutigen Montag in der Sitzung des Ausschusses für Soziales und Gesundheit, 18 Uhr, Sitzungssaal „Haus Silberberg“ im Römer, Zugang über die Bethmannstraße 3, thematisiert die Linke den Hebammenmangel. Eltern und Hebammen dürfen sich zu Wort melden. (mit dpa)