Happy Hour in der Matrix

Der Besuch der „Gesund leben“-Messe für Gesundheit, Ernährung und Fitness macht klar: Hauptsache gesund!
Vor der Jahrhunderthalle steht ein Mann, der sich lässig eine Wirbelsäule über die Schulter drapiert hat. Er macht einen recht stabilen Eindruck, also kann es sich nicht um seine eigene handeln. Das wäre an und für sich ein beunruhigender Anblick, zumal hier und heute kein Konzert von Ozzy Osbourne auf dem Programm steht. Aber kein Grund zur Angst: Der Mann ist bloß Rückenschmerzkiller und zeigt seine Kunst auf „Gesund leben“, der Messe für Gesundheit, Ernährung und Fitness. Eine Gesundheitsmesse ist viel gesünder als ein Ozzy-Konzert. Und weitaus günstiger (Eintritt: zehn Euro). Aber mitunter auch ein bisschen bizarrer.
Schon kurz hinter dem Eingang begrüßen den Gast am Wochenende Sessel, die ein bisschen sehr an eine Honda Gold Wing erinnern, nur ohne Verbrenner, dafür mit „sehr genauem Bodyscan, super 3-D-Mechanismus mit sechs Tiefen-Einstellungen, der für eine weich abgestimmte Massage sorgt, und der tollen L-Track-Funktion“, nicht zu verwechseln mit der gleichsam eingebauten „Negativ-Ionen-Funktion“. Drinnen liegen Menschen mit VR-Brille und Kopfhörer, die sich vermutlich in dem „40-Minuten-Rundum-Wohlfühlprogramm ,Fantasiereise‘“ befinden. Scheint zu funzen, jedenfalls vermitteln die Sesselmenschen den Eindruck, als sei gerade Happy Hour in der Matrix.
Die am Stand nebenan feilgebotenen „Wachsduftwürfel“ der Sorte „Namasté“ verhalten sich zu dem Cyberpunkmöbel wie Asbach Uralt zu LSD. Die Würfel haben bloß folgende Risiken und Nebenwirkungen: „Ich trete mit mir in Kontakt und nehme mich in Liebe an.“ Oder Sie treten sich selbst in den Hintern, weil Ihr Nachbar schon einen flotten Fantasiereiseflitzer hat und Sie einen doofen Wachswürfel haben. Der Mann mit der Wirbelsäule kann den Schmerz dann ja lindern.
Ein Besuch auf der Messe kann ein schlechtes Gewissen machen. Etwa wenn dem Gast sein Dinkeldünkel einen Besuch am Bäckerstand verunmöglicht und er auch auf den an einem Stand präsentierten gesunden Knabberkram mit einem nachdenklichen „Ja, aber …“ reagiert. Die Zapfen der Zeder etwa, preist ihr Verkäufer, stammten „vom widerstandfähigsten Baum der Welt“, was sich auch im Kauvergnügen niederschlage. Weniger widerspenstig gäben sich da die „Brokkolisamen, gekeimt“, Verzehrvorschlag: „Einfach unbegrenzt lange drauf rumkauen!“
Alle, die ihre Fantasiereisen immer noch auf dem Sitzsack vor der Glotze machen und sich hierfür mit Pistazien und Dosenbier proviantieren, können sich da schnell ausgegrenzt fühlen.
Aber das müssen sie nicht. „The power of pistachies“ rühmt ein weiterer Stand. Pistazien seien „vollständige Proteine“ und „voller Antioxidantien“ und ergo das ideale Futter für Studierende und Fantasiereisende. Na also, geht doch! Die einzigen Biergläser auf der Messe sind zwar ebenso groß wie leer, stammen von der Klinik Hohe Mark und sollen vor der Suchtgefahr warnen, aber dafür informiert der Nachbarstand, dass es sich bei dem umstrittenen Testosteron um das „Königshormon“ handele und es für das männliche Wohlbefinden noch wertvoller als Bier sei.
Testosteron hängt auch ein paar Meter weiter in der Luft. „Die Presse ist eine Katastrophe“, zetert ein Redner unter dem Beifall des Publikums. Das ist ein bisschen ungerecht, weil die Frankfurter Rundschau ja auch Medienpartner der Gesundheitsmesse ist. „Und wissen Sie auch, warum die Presse eine Katastrophe ist?“ „Das weiß doch jeder!“, ruft eine Frau. „Weil die Presse den Knoblauch bitter macht!“, schimpft der Redner unter beifälligem Gemurmel. Nicht so aber die hier erhältliche Knoblauchreibe, die sei die beste der Welt und aus Keramik und aus Finnland, da lache der Knoblauch. Ach so. Missverständnis.
Glasklar hingegen ist die Sache am Nebenstand. Hier bietet eine Frau Gemüseschäler an. Der ist an sich nicht gesund, dafür das, was er schält. Die Frau verkauft aber kein Gemüse, sondern Schäler. Ihr Verkaufsargument allerdings ist so schön und schlicht und wahr, dass allein dies den Eintrittspreis mehr als wettmacht: „N’Schäler kammer immer gebrauche!“
Das sind dann aber auch schon die philosophischen Höhepunkte, ansonsten ist eine Gesundheitsmesse eine ernste Angelegenheit. Etwa 80 Aussteller präsentieren hier ihre Produkte und Dienstleistungen, ein paar davon mit esoterischem Touch, die meisten nüchtern naturwissenschaftlich. Und es gibt gar Stände, die zu Herzen gehen, etwas der von „Trees of Memory“, einem Verein mit der wunderschönen Idee, mit „Erinnerungsbäumen“ an Menschen, die Suizid begangen haben, zu erinnern.
Rund 60 Expertenvorträge gibt es an den beiden Wochenendtagen der Messe, von Arthrose bis Zipperlein. Kostenlose Checks wie Hörtest, Blutzuckermessung, Stoffwechselanalyse und auch Testosteronbestimmung sind ein prima Angebot vor allem an Menschen, die sonst nie zum Arzt gehen. Aber die gehen vermutlich auch nicht auf die Gesundheitsmesse.
Dabei gibt es dort sogar etwas zu gewinnen. Wer bei der Besucherumfrage mitmacht, hat etwa die Chance auf die Teilnahme an einen „Achtsamkeitskurs Waldbaden“ oder einer „Klangschalen-Massage“. Das mag etwas hart klingen für jemanden, durch dessen Adern noch zu viel Königshormon rinnt. Aber das Leben ist ja oft härter als ein Zedernzapfen. Die Gesundheitsmesse hingegen ist nur einmal im Jahr.
