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Grzimeks Erbe

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Von: Miriam Keilbach

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Das Serengeti-Büro der Zoologischen Gesellschaft liegt im Teil Seronera im Zentrum des Parks. Regelmäßige Besucher sind etwa Antilopen, Elefanten, Nilpferde und Hyänen.
Das Serengeti-Büro der Zoologischen Gesellschaft liegt im Teil Seronera im Zentrum des Parks. Regelmäßige Besucher sind etwa Antilopen, Elefanten, Nilpferde und Hyänen. © Miriam Keilbach

Ohne die Zoologische Gesellschaft Frankfurt gäbe es die Serengeti nicht mehr, sagt der Parkmanager. Auch 30 Jahre nach dem Tod von Bernhard Grzimek kümmert sich die ZGF um Tiere und Menschen.

Rian Labuschagne hat schon viel Geld an seine Frau Lorna verloren. Der Nashörner wegen. Wenn sie zusammen in der Serengeti unterwegs sind, diskutieren sie, ob der kleine graue Fleck in der Ferne ein Stein oder ein Nashorn ist. Lorna gewinnt fast immer. Als ehemalige und künftige Rhino-Beauftragte kennt sie ihre Tiere.

Es war 1992, als von den einst 700 Nashörnern in der Serengeti noch zwei Weibchen übrig waren. Dass es überhaupt noch Nashörner in der Serengeti gibt, ist einem Zufall geschuldet. Nebenan, im rund 150 Kilometer entfernten Ngorongorokrater kämpften die Bullen ums Revier, die Verlierer verließen den Krater in verschiedene Richtungen – einer fand im Serengeti-Abschnitt Moru Kopjes die zwei Weibchen.

Bis 1995 war die Serengeti ein gefährlicher Ort. Besucher und Angestellte wurden überfallen und ermordet, Ranger töteten für etwas Geld Tiere. Durch den Sozialismus war die finanzielle Situation schwierig, es gab keinen Tourismus und viel Wilderei. „Nach 1977 kamen keine Besucher mehr – ohne die Zoologische Gesellschaft Frankfurt (ZGF) hätte der Park nicht erhalten werden können“, sagt Markus Borner, langjähriger Afrika-Direktor der ZGF.

Dann kam die ZGF und entwickelte ein System. Ranger wurden besser ausgebildet und bezahlt, und für die Nashörner waren Rian und Lorna Labuschagne verantwortlich. Bis 1999 kümmerten sich die Südafrikaner als Technical Advisors um die Rhino-Projekte.

20 Ranger wurden angeheuert, um die drei Nashörner zu schützen. Es hat sich ausgezahlt: Inzwischen leben rund 30 Tiere dauerhaft im Park, allein die 39-jährige Mama Serengeti, eines der beiden überlebenden Weibchen, hat 13 Jungtiere. 51 Ranger halten 24 Stunden am Tag von acht Observationspunkten aus Ausschau nach den Tieren. Von den Hügeln rund um Moru, dem schönsten Teil des Parks, können sie kilometerweit sehen.

Früher gab es eine schwarze Landkarte, wo Nashornsichtungen mit Magneten festgehalten wurden. Sie hängt noch im Nebenraum des Besucherzentrums, das nach Michael Grzimek benannt ist. Heute läuft alles digital. „Aber wir wollen auch nicht, dass die Besucher zu genau wissen, wo die Tiere sich aufhalten“, sagt Rian Labuschagne, der nach einigen Jahren im Tschad seit März Serengeti-Projektmanager der ZGF ist. Das Nashorn, das nach ihm benannt wurde, ist erschossen worden. „Wer das Nashorn schützt, schützt auch jedes andere Tier.“

Das Nashorn-Projekt ist eines der letzten verbliebenen Tierprojekte, an dem die ZGF beteiligt ist. Bis vor kurzem unterstützte „Frankfurt“, wie die ZGF in Tansania genannt wird, auch ein Geparden-Projekt, bei dem die Raubkatzen beobachtet werden, um ihr Verhalten zu erforschen. Geblieben ist davon lediglich das ZGF-Auto, das der Projektleiter nutzt. Außerdem finden die Tierzählungen, die Bernhard Grzimek einst einführte, nach wie vor in ZGF-Flugzeugen statt.

„Grzimek war ein vorausdenkender Typ“, sagt Markus Borner, „er war früh der Ansicht, man müsse die Menschen vor Ort in den Naturschutz einbeziehen.“ Grzimek verirrte sich einst beim Wandern und übernachtete bei Massai. „Er hat bemerkt, dass die Menschen Teil des Ökosystems sind“, so Borner, der 35 Jahre in der Serengeti lebte. Grzimek war in dieser Sache visionär, erst in den 80er Jahren wandelte sich die Philosophie vom Parkschutz hin zur Community Work, „das war ein Erfolg“.

Mwita Ryoba Sabatera wohnt in Nyichoka in Fort Ikoma. Das Dorf grenzt an die Serengeti, doch Wildtiere kennen keine Grenzen. Früher haben Dorfbewohner Tiere getötet, wenn sie zu nahe kamen und drohten, Farmland zu vernichten, die meisten Bewohner lebten ohnehin von der Jagd. Heute setzen sie sich für deren Schutz ein – weil sie Geld damit verdienen.

Seit 2007 ist Ikoma eine Wildlife Management Area (WMA), die ZGF leitete das Projekt. 24 Scouts aus den fünf Dörfern Ikomas laufen im Gebiet Patrouille. Sie sind Ranger und Tourguides zugleich. Für zehn Dollar können Touristen die WMA besuchen, sie sehen dort die gleichen Tiere wie in der Serengeti, es gibt Walking Safaris und Nachtsafaris. Die Hälfte des Geldes wird in den Erhalt der WMA und Gehälter investiert, die andere Hälfte – im vergangenen Jahr eine halbe Million Dollar – in Infrastrukturprojekte. „Der Tourismus hilft unserem Dorf“, sagt Sabatera. „Es war zuerst schwierig, die Dorfbewohner zu überzeugen, aber nun haben wir Geld für Schulen und eine gute medizinische Versorgung.“

Ein paar Kilometer weiter, in Bonchuga nordwestlich der Serengeti, schleift Joseph Mwita Chacha Holz ab. Der 37-Jährige hat eine Schreinerei eröffnet, er stellt Möbel her und verkauft sie. Noch vor einigen Jahren war er als Wilderer unterwegs, er handelte vor allem mit Gnufleisch. Geschätzt werden jährlich etwa 100 000 Gnus gewildert.

Vor acht Jahren etablierte die ZGF eine Art Mikrokredit-System. 15 bis 30 Bürger schließen sich zusammen, zahlen monatlich in eine Kasse einen kleinen Betrag ein, und nach und nach entscheidet das Gremium, welches Mitglied für welche Idee einen Kredit erhält. Mit dem Gewinn wird der Beitrag erhöht. Als Bank dient ein blauer Metallkasten.

Es gab Trainings in Sachen Unternehmertum, um der lokalen Bevölkerung eine Alternative zur Wilderei zu geben. Das Projekt läuft erfolgreich, inzwischen gibt es 36 Gruppen in zehn Dörfern rund um die Serengeti. Die Gruppen haben Kindergärten eröffnet und Bäume gepflanzt, Wilderei wird nicht mehr geduldet, es gibt sogar eine Elefanten- Taskforce: Wenn sich Elefanten dem Dorf nähern, wird die Taskforce gerufen, die die Tiere mit Lärm, etwa durch Kochtöpfe, vertreibt. Der Grund für den Erfolg ist simpel: „Ich verdiene mit den Möbeln mehr“, sagt Chacha.

In der Serengeti ist Grzimeks Name allgegenwärtig. Manchmal sind sie bei der ZGF verwundert, wie viele Deutsche sich an den Naturforscher und Fernsehmoderator auch 30 Jahre nach seinem Tod erinnern. „Serengeti darf nicht sterben“ hieß Grzimeks größter Erfolg, der Dokumentarfilm wurde 1960 mit einem Oscar ausgezeichnet. Diesem Motto folgt auch Park-Chef William Mwakilema, der betont, dass die Serengeti ohne Grzimek und ZGF wohl kaum in dieser Form erhalten geblieben wäre. „Der Serengeti geht es besser als je zuvor“, sagt Borner. Obwohl er offiziell seit fünf Jahren im Ruhestand ist, ist er noch einige Monate im Jahr vor Ort. Er fährt dann jeden Tag zwei Stunden durch das Gebiet – die Serengeti, sagt er, verliere ihren Reiz nicht. „Ich entdecke immer wieder Neues.“ Zuletzt war das viel Positives: „Wir haben dreimal mehr Tiere wie zu Grzimeks Zeiten.“

Das Ökosystem ist eng mit der Gnuwanderung verknüpft. Diese hatte Grzimek einst mit Tierzählungen vom Flugzeug aus erforscht und die Bedeutung herausgestellt. Rund anderthalb Millionen Gnus leben im Serengeti-Ökosystem, zu dem auch die Masai Mara in Kenia, der Ngorongorokrater und angrenzende Flächen, die teils WMA sind, gehören. Die Gnus wandern dem Regen nach, sie ziehen Hunderte Kilometer von Nord nach Süd – auch außerhalb der Parkgrenzen.

Für Tansania und Parkbetreiber Tanapa ist die Serengeti eine wichtige Einnahmequelle. Rund 50 Prozent der 72 Dollar, die jeder Besucher pro Tag an Eintritt zahlt, gehen an den Staat. Weitere 50 Prozent finanzieren auch den Naturschutz in anderen 15 Parks mit – denn außer der Serengeti macht nur der Nationalpark Kilimandscharo Gewinn.

Inzwischen trägt sich viel in der Serengeti selbst. Der Naturschutz funktioniert. Damit haben sich die Aufgaben der ZGF gewandelt. Sie betreibt noch eine Autowerkstatt, wo Ranger ihre Landrover, die aus Frankfurt gestiftet werden, warten und reparieren lassen können. „Für die Infrastruktur und das Community Management sind wir noch sehr wichtig“, so Borner, der inzwischen als Gastprofessor an der Universität von Glasgow arbeitet und dort etwa ein Projekt initiierte, in dem Wildhunde in der Serengeti ausgesetzt wurden. Allerdings gibt es eine Gefahr: Bricht der Tourismus irgendwann – ähnlich wie in Kenia 2015 – ein, gibt es kein Auffangsystem. Die Idee eines Trustfonds ist bislang gescheitert.

Eine weitere Herausforderung sieht er im Klimawandel. In der Serengeti wird generell mehr Regen erwartet, allerdings in kürzeren, heftigeren Abständen als bisher. Verdursten viele Gnus, weil der Mara River austrocknet, wird die Gnu-Population durch Raubtiere und nicht Futterreserven kontrolliert. „Wir müssen schauen, ob man etwa einen Wasserspeicher errichten kann“, sagt Borner. Doch das ist bislang Wunschdenken – für die Politik ist es noch kein Thema.

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