Großes Kino

In der Politik geht es nicht nur um Sachfragen, auch der große Auftritt ist wichtig. Den beherrschen manche besser und manche nicht ganz so gut. Die Kolumne aus dem hessischen Landtag.
Politik hat, das gilt auch im Hessischen Landtag, viele Ebenen. Und die sind gar nicht immer so leicht auseinanderzuhalten. Natürlich geht es bei politischem Handeln um die Inhalte, also darum, was jemand regeln oder verändern möchte. Zugleich kommt es, zumal in einer medial getriebenen Demokratie, aber auch stark auf Kommunikation an. Kurz gesagt: Die tollsten Ideen nützen dir nix, wenn du nicht in der Lage bist, dich auszudrücken. Ganze Stäbe von Kommunikationsprofis in Parteien und Ministerien zeugen davon.
Und so bekommt Politik, und das gilt ganz besonders im Hessischen Landtag, auch eine theatrale Dimension. Oft ist die Art und Weise, wie eine Politikerin oder ein Politiker etwas sagt, genauso wichtig wie das, was gesagt wird. Auf den Auftritt kommt es an, egal ob bei der Pressekonferenz oder im Plenarsaal. Günter Rudolph zum Beispiel, Fraktionsvorsitzender der SPD, mag den großen Auftritt. Wenn er der schwarz-grünen Landesregierung bei einer Grundsatzdebatte ihre Verfehlungen um die Ohren pfeffern kann, ist Rudolph in seinem Element. Da werden Wortspiele und Seitenhiebe eingebaut, dass es eine Art hat. Ob wirklich alles, was Rudolph vorträgt, im Detail stimmt, ist dann teils gar nicht mehr so wichtig.
Draufhauen ist einfach nicht jedem gegeben
Anderen ist das Draufhauen dagegen nicht unbedingt gegeben. Jan Schalauske, Fraktionschef der Linken, übt wie seine Kollegin Elisabeth Kula auch oft scharfe Kritik, aber er ist einfach ein eher ruhiger Mensch, das steht dem politischen Auftritt mit Knalleffekt manchmal im Wege. Andreas Lichert von der rechtsextremen AfD hat damit hingegen gar kein Problem. Der haut in einer Rede zur Inflation auch mal den antisemitisch konnotierten Begriff „Hochfinanz“ raus und weiß dabei ganz genau, welche Empörung er erntet. Bei der AfD hat man sowieso öfter das Gefühl, dass es primär um die Show geht. Um die, nun ja, Inhalte geht es jedenfalls meistens nicht.
Womit wir schon beim Thema Zeitreise wären. Denn neulich gab es im Hessischen Landtag einen Auftritt aus einer längst vergangenen Zeit: Volker Bouffier, langjähriger Ministerpräsident, kam als Zeuge in den Untersuchungsausschuss zum Mordfall Lübcke. Und plötzlich hatten alle Beobachter:innen wieder diese unverkennbare Bassstimme im Ohr, die früher noch wesentlich häufiger im Parlament zu hören war. Geschicktes Antworten auf heikle Fragen, eine wohldosierte Portion Menschlichkeit, professioneller Umgang mit Fernsehkameras: Solche Auftritte, das bewies der Tag im Ausschuss, hat Bouffier definitiv noch voll drauf. Besser als manches aktive Regierungsmitglied.
Ist Al-Wazir in Hanau eingeschlafen?
Apropos: Ein Mitglied der hessischen Landesregierung hatte vor kurzem einen nicht ganz so glücklichen Auftritt, und zwar Wirtschaftsminister Tarek Al-Wazir. Der war, so wie SPD-Bundesinnenministerin Nancy Faeser und Ministerpräsident Boris Rhein (CDU), zum Gedenken an die Opfer des rassistischen Anschlags in Hanau gekommen. Hinterher wurde dem Grünen von mehreren Hinterbliebenen auf Twitter vorgehalten, er sei bei der Gedenkfeier wenig konzentriert gewesen und – horribile dictu! – sogar eingeschlafen. Al-Wazir schrieb dazu, er sei „in Trauer in mich gekehrt“ gewesen, und das scheint bei einem Profi wie Al-Wazir auch wahrscheinlicher.
Das weitere Jahr 2023 wird übrigens an politischen Auftritten, ob gelungen oder nicht, nicht gerade arm werden. Am 8. Oktober wird ein neuer Landtag gewählt. (Jutta Rippegather und Hanning Voigts)
Jutta Rippegather und Hanning Voigts berichten für die FR aus dem hessischen Landtag. Einmal die Woche geben sie ihren Senf dazu. Alle Kolumnen im Internet unter: fr.de/loewensenf