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Gedenken: Die „Nie wieder“-Fackel weitertragen

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Von: Timur Tinç

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Gagern-Schülerin Susanne Naumer spricht zu den Gästen in der Paulskirche.
Gagern-Schülerin Susanne Naumer spricht zu den Gästen in der Paulskirche. © Rolf Oeser

In der Paulskirche geht es beim Internationalen Gedenktag für die Opfer des Nationalsozialismus um die Verantwortung der jungen Generation beim Erinnern. Zum ersten Mal spricht eine Schülerin bei der zentralen Gedenkveranstaltung der Stadt Frankfurt.

In der Frankfurter Paulskirche haben am Freitagnachmittag rund 250 Menschen an einer Gedenkstunde anlässlich des Internationalen Gedenktags für die Opfer des Nationalsozialismus teilgenommen. Am 27. Januar 1945 wurde das Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau von der Roten Armee befreit. „Die Geschichte erscheint manchmal ganz weit weg, aber in Wahrheit ist sie nur wenige Augenblicke entfernt“, sagte Bürgermeisterin Nargess Eskandari-Grünberg (Grüne). Dabei verwies sie auf Orte in Frankfurt wie die Festhalle, wo Jüdinnen und Juden zusammengetrieben wurden oder auf den Standort der Europäischen Zentralbank, von wo aus ganz in der Nähe Tausende Menschen deportiert wurden.

„Wir dürfen nicht gleichgültig sein, wenn die Verschwörungstheoretiker und Querdenker sich mit Anne Frank vergleichen. Und wir dürfen nicht gleichgültig sein, wenn ein antisemitischer Künstler in der Festhalle auftritt“, sagte die Bürgermeisterin angesichts des geplanten Auftritts von Rockmusiker Roger Waters.

Es sei von großer Wichtigkeit, das Gedenken an kommende Generationen weiterzugeben. Sie sei deshalb besonders glücklich über die Anwesenheit von drei Schulklassen aus dem Gagern-Gymnasium. Und dass Gagern-Schülerin Susanna Naumer als Hauptrednerin fungierte. Sie erzählte von der Gedenktafel für Erika Brinkmann, an der sie immer vorbeigehe, wenn sie in den Neubau ihrer Schule laufe. Brinkmann war Schülerin der Samson-Raphael-Hirsch-Schule, einer jüdisch-orthodoxen Schule, die 1939 von den Nazis geschlossen und von amerikanischen und britischen Fliegern bombardiert wurde.

Nach dem Abriss im Jahr 1960 entstand dort der Erweiterungsbau für das Gagern-Gymnasium. „Während ich mich in aller Ruhe auf das Abitur vorbereite, musste sie bereits Verfolgung erleiden“, sagte die Bundessiegerin von „Jugend debattiert 2021“. Erika Brinkmann sei nach Belgien geflohen, von dort nach Auschwitz deportiert und ermordet worden, mit ihr Vater Herbert, Mutter Miriam und die Geschwister Jenny, Alexander, Charlotte und Jakob. „Die Jungen sind nicht verantwortlich für das, was damals geschah. Aber sie sind verantwortlich für das, was in der Geschichte daraus wird“, zitierte Naumer den ehemaligen Bundespräsident Richard von Weizsäcker.

Nicht trotz, sondern wegen des zeitlichen Abstands sei es wichtig, die Fackel des „Nie wieder“ weiterzutragen damit die Erinnerung nicht verblasse. Und das nicht nur durch einen soliden Geschichtsunterricht, sondern „wenn wir emotional nachempfinden können, was Holocaust bedeutet“, sagte Naumer. Zum Beispiel mit Exkursionen nach Auschwitz oder in das KZ Katzbach in Frankfurt oder wenn man über Stolpersteine tatsächlich stolpere und sich über die Menschen informiere.

Marc Grünbaum, Vorstandsmitglied der Jüdischen Gemeinde, betonte, dass Gedenktage für die Opfer, Täter und nachfolgenden Generationen da seien. „Für alle, die zuhören können und vor allem wollen.“ Für die Menschen aus der jüdischen Gemeinde sei das Erinnern allgegenwärtig. Grünbaum hat zu Hause ein Familienbild hängen, das ihn jederzeit daran erinnert, welche Menschen er nie kennenlernen konnte. Er wandte sich in seiner Rede direkt an die Schülerinnen und Schüler: „Vergegenwärtigt euch, weshalb es wichtig ist, sich damit zu befassen, wenn die Gesellschaften auseinander brechen und wenn der Mensch dem Menschen zum Monster wird“, sagte Grünbaum. „Ihr habt die Chance, die Zukunft der Anderen zu gestalten.“ Er vertraue ihnen, dass sie den richtigen Weg finden.

Nach den Reden wurden in Anwesenheit von EZB-Chefin Christine Lagarde und weiteren Vertretern der Jüdischen Gemeinde zwei Kränze vor das Mahnmal für die Opfer des Nationalsozialismus an der Paulskirche gelegt.

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