Für den Frankfurter Oberbürgermeister Mike Josef fängt die Arbeit jetzt an

Mike Josef wird zum Stadtoberhaupt ernannt. Der SPD-Politiker wird die oft unentschlossen wirkende Römer-Koalition antreiben müssen.
Das Timing hätte kaum besser sein können, auch wenn Mike Josef gar nichts damit zu tun hat. Einen Tag bevor der SPD-Politiker im Plenarsaal des Römers zum Frankfurter Oberbürgermeister ernannt wird, verkündet die National Football League in den USA, dass Frankfurt in diesem Herbst nicht ein Saisonspiel ausrichten darf, sondern gleich zwei. Und dass auch nicht irgendwelche durchschnittlichen Teams ins Waldstadion kommen, sondern unter anderem der Liga-Primus aus Kansas City.
Für Menschen, die sich nicht für Football interessieren, mag das keine große Sache sein. Für Mike Josef schon. Er hatte – in seiner Funktion als Sportdezernent – jahrelang dafür gekämpft, dass die NFL zumindest einige ihrer Gastspiele in Frankfurt austrägt und immer wieder auf die wirtschaftliche Bedeutung hingewiesen. Das Stadion, so viel steht jetzt schon fest, wird zweimal ausverkauft sein, und viele Fans werden von sehr weit her anreisen. Auch aus den USA. Und Football-Fans auf Tour sind nicht für ihre sparsame Lebensweise bekannt.
Es sind solche Erfolge, die Mike Josef jetzt braucht. Der 40-Jährige selbst hatte direkt nach seiner Wahl Ende März darauf hingewiesen, dass Frankfurt vor zahlreichen Herausforderungen steht, die noch um einiges größer sind als die Organisation zweier Footballspiele. Schon im Wahlkampf machte er deutlich, dass bei Fragen wie dem neuen Standort für die Städtischen Bühnen jetzt genug geredet wurde und Entscheidungen her müssen. Die Ärmel hat Mike Josef bereits hochgekrempelt. Jetzt muss er liefern.

Vor allem wird sich der Sozialdemokrat als Teamplayer beweisen müssen, denn alleine kann er so gut wie gar nichts ausrichten. Die Macht eines Oberbürgermeisters ist begrenzt. Er repräsentiert, er leitet die Sitzungen des Magistrats, und theoretisch könnte er die Stadtregierung umbilden und Posten neu verteilen. Das hat Josef aber nicht vor – aus gutem Grund. Ein solcher Schritt würde von den Politiker:innen im Römer, die sich bei der Festlegung der Ressorts im Koalitionsvertrag etwas gedacht haben, als Affront empfunden. Josefs Konkurrent in der Stichwahl, der CDU-Politiker Uwe Becker, hatte im Wahlkampf zu oft und zu laut darüber nachgedacht, den Grünen das Verkehrsdezernat wegzunehmen. Aus deren Stammwählerschaft bekam Becker dann so gut wie keine Stimme. Im Gegenteil: Viele Grüne, die nach dem Ausscheiden ihrer Kandidatin Manuela Rottmann vielleicht gar nicht zur Stichwahl gegangen wären, unterstützten plötzlich Mike Josef, um Becker zu verhindern.
Wo kommen die Städtischen Bühnen hin, welche Schulbauten haben Priorität, wie wird die Verkehrswende umgesetzt, welche Sicherheiten bekommen Mieterinnen und Mieter? Die Antworten auf diese Fragen geben die Stadtverordneten. Die Umsetzung übernehmen die Fachdezernentinnen und -dezernenten. Was kann Josef überhaupt tun?

Die Antwort darauf zeigt ausgerechnet ein Rückblick auf die Arbeit des früheren Oberbürgermeisters Peter Feldmann, der ohne Josefs Entscheidung, eine Abwahl voranzutreiben, wohl immer noch im Amt wäre. Um seine Themen durchzusetzen, machte Feldmann Druck. Im Magistrat, in den Aufsichtsräten der städtischen Gesellschaften, bei öffentlichen Auftritten. Immer wieder setzte er seine Forderungen auf die Agenda. Das wirkte anfangs engagiert und kämpferisch, als Feldmann den Mietpreisstopp bei der ABG durchsetzte. Später war es befremdlich, als der Oberbürgermeister im Alleingang den Wegfall von Kita-Gebühren verkündete und aus seinem Umfeld zu hören war, die CDU könne ja jetzt noch öffentlich erklären, dass sie gegen diese Regelung sei – das komme bei den Eltern bestimmt sehr gut an.
Feldmann regierte anfangs gegen eine schwarz-grüne Koalition. Josef, der das Planungsdezernat abgeben und das Sportressort behalten wird, war von Anfang an Teil des Regierungsbündnisses aus Grünen, SPD, FDP und Volt. Mehr noch: Josef hat die Koalition als SPD-Chef ausgehandelt.

Diese Konstellation bringt viele Vorteile mit sich. Die politischen Weichen sind so gestellt, dass Josef zumindest die Chance hat, seine Wahlversprechen (etwa verstärkten Mieterschutz oder mehr Geld für Schulen und Kitas) umzusetzen. Die SPD-Fraktion wird ihrem Oberbürgermeister folgen, auch mit den Grünen und Volt versteht er sich gut, das Verhältnis zur FDP ist in Ordnung. Auf der anderen Seite: Anders als Feldmann kann Josef jetzt nicht lospoltern. Er hat keine Koalition, die er vor sich hertreiben könnte mit lauten und medienwirksamen Auftritten.

Einfach wird die Arbeit in dem oft zerstritten und noch häufiger unentschlossen wirkenden Römer-Bündnis nicht. Doch Josef kann auch schwierige Entscheidungen treffen, das hat er direkt nach seiner Wahl bewiesen, als es darum ging, das Amt des Planungsdezernenten zu besetzen. Kolja Müller, sein Stellvertreter als SPD-Chef, wäre die naheliegende Wahl gewesen. Josef entschied sich für den Stadtplaner Marcus Gwechenberger.
Politisch hätte alles für Müller gesprochen, der als Führungskraft in der SPD Erfahrung gesammelt hat. Josef wählte die fachlich bessere Lösung. Müller schluckte, aber war nicht frustriert, sondern machte weiter. Am Freitag lässt er sich – aller Voraussicht nach – zum Vorsitzenden der SPD wählen.
Am heutigen Donnerstag – gegen 18 Uhr – wird Stadtverordnetenvorsteherin Hilime Arslaner (Grüne) Mike Josef die goldene Amtskette umhängen. So oft wie sein Vorgänger wird er sie wohl nicht tragen. Josef kann repräsentieren, vor allem aber sieht er sich als Arbeiter – der noch viel mehr erreichen will, als zwei Footballspiele nach Frankfurt zu holen. (Georg Leppert)
Aufgaben für Mike Josef
Klima
Die Herausforderung: Frankfurt ist in Sachen Klimaschutz nicht untätig. Die Parteien der Koalition und auch des Vorgängermagistrats mit CDU-Beteiligung haben Beschlüsse gefasst, um den CO2-Ausstoß zu begrenzen. So soll die Stadt bis 2035 klimaneutral werden; fast 250 Millionen Euro sind für erforderliche Schritte allein bis 2025 veranschlagt, Begrünungsprogramme laufen, ein Klimareferat ist gegründet. Reicht das? Nein, sagen die Kritiker:innen, von den „Fridays for Future“ bis zur „Letzten Generation“. Es müsse viel mehr geschehen, der Umbau Frankfurts etwa zur fahrrad- statt autofreundlichen Stadt müsse schneller gehen, fordert die Initiative Klimaentscheid. Die Wärmedämmung der Häuser ist vordringlich, und: Wo bleiben die Solaranlagen auf möglichst allen Dächern?
Das kann Mike Josef tun: Der OB wird nicht alleine die Photovoltaik-Panels auf die Häuser schrauben können. Er wird die Bäume nicht zurückbringen, die für den Bau des Riederwaldtunnels fielen und ein tiefes Loch in die Herzen der Frankfurter Klimaschutzbewegung rissen. Aber ein OB kann und muss zusammenführen, motivieren, er kann Wissenschaft und Jugend mehr Gehör verschaffen, den Blick der Bevölkerung auf das Wesentliche lenken helfen. Ein OB ist einer, dem man zuhört – wenn er eine Überzeugung hat. Im Wahlkampf hat Josef unter anderem auf Klimaschutz gesetzt. Jetzt kann er beweisen, wie weit er dafür geht. Nicht zuletzt sitzt er in den maßgeblichen Aufsichtsräten, etwa bei ABG, Fraport, Mainova, RMV. Da ist überall noch Luft nach oben, was das Klima angeht. ill
Kultur
Die Herausforderung: Frankfurt hat eine lebendige Kulturszene. Dazu zählen die Museen, Oper, Schauspiel, Mousonturm. Und auch zahlreiche freie Theater, Schauspieler:innen, Musiker:innen, bildende Künstler:innen. Die Kulturszene trägt sich nicht alleine durch den Verkauf von Karten und Getränken, weder die Oper noch Stadtteiltheater. Die Stadt Frankfurt muss dafür sorgen, dass die Kulturszene am Leben bleibt. Durch einen ausreichend finanzierten Kulturetat. Da ist vor allem bei der bildenden Kunst noch Luft nach oben. Und bei Stadtteilfesten, die um ihre Existenz bangen. Finanziert werden sollen der Neubau von Oper und Schauspiel, ein Aufführungs- und Proberaum für das Frankfurt-LAB auf dem Kulturcampus in Bockenheim sowie das Kinder- und Jugendtheater im Zoo-Gesellschaftshaus.
Das kann Mike Josef tun:
Der Oberbürgermeister ist der oberste Repräsentant der Stadt. Auch wenn er persönliche Vorlieben hat, darf er keine Berührungsängste mit der Kultur haben. Weder mit der Hochkultur der Oper noch der Volkskultur auf Straßenfesten. Es ist peinlich, wenn ein Oberbürgermeister sich zu fein fühlt für die Dippemess oder zu bodenständig für die Oper. Der OB muss für die Finanzierung der Kulturszene sorgen und die Finanzierung der Großprojekte selbstbewusst gegenüber dem Land einfordern. Mehr als zwei Drittel der Menschen, die in Frankfurt in die Oper gehen, kommen nicht aus Frankfurt. Die Stadt finanziert das sechsmalige Opernhaus des Jahres fürs Umland mit. Und das Land stellt sich bislang nicht der Pflicht zur finanziellen Beteiligung. fle
Verkehr
Die Herausforderung: Frankfurt will bis 2035 klimaneutral werden. Also 7,9 Millionen Tonnen CO2 vermeiden. Dazu zählt auch der Verkehr. Der war laut kommunaler Treibhausgasbilanzierung (2019) zuletzt für 21 Prozent der Treibhausgasemissionen verantwortlich: 1,67 Millionen Tonnen CO2. Hinzu kommt der Frankfurter Flughafen - 900 000 Tonnen CO2. Wie der Frankfurter Verkehr klimaneutral werden kann, steht im neuen Masterplan Mobilität. Kurz gefasst: Der Verkehr soll sich weg vom Auto auf die umweltfreundlichen Verkehrsarten verlagern. Ein paar olle Benziner und Diesel wird es auch 2035 noch geben. Die Mehrheit der Pendlerinnen und Pendler soll aber auf den Nahverkehr umsteigen oder ein E-Auto fahren. Flugzeuge sollen, wie es die EU vorgibt, zum Teil mit E-Fuels fliegen statt mit Kerosin.
Das kann Mike Josef tun: Der Oberbürgermeister sollte mit gutem Beispiel vorangehen. Sein Dienstwagen sollte elektrisch fahren, nicht mit fossilem Treibstoff. Zur Vorbildfunktion gehört auch, mit dem Bahn, dem Fahrrad oder zu Fuß zu Terminen zu kommen. Der frühere Verkehrsdezernent Klaus Oesterling und der jetzige Verkehrsdezernent Stefan Majer verzichten privat bewusst aufs eigene Auto. Bei städteübergreifenden Themen wie Tempo 30 in Kommunen und der Citymaut sollte sich der Oberbürgermeister beim Deutschen Städtetag engagieren. Man denke nur an Petra Roth, die lange Präsidentin des Deutschen Städtetags war. Ohne gute Zusammenarbeit mit der Region wird kein Park-and-Ride-Konzept funktionieren. Und ohne auskömmliche Finanzierung gelingt die Verkehrswende auch nicht. fle
Wohnen
Die Herausforderung: In Frankfurt gibt es viel zu wenig günstigen Wohnraum. Die Mieten steigen und steigen. Viele Menschen haben Angst, sich das Leben in der Stadt nicht mehr leisten zu können. Zwei Drittel der Mieterhaushalte in der Stadt wären von ihren Einkommen her berechtigt, eine Mittelstandswohnung mit Mieten von 8,50 bis 10,50 Euro pro Quadratmeter oder eine Sozialwohnung für 5,50 bis 6,50 Euro pro Quadratmeter zu beziehen. Doch gerade der Bestand an Sozialwohnungen ist in den vergangenen Jahren immer weiter geschrumpft. Ende 2020 hatte das Amt für Wohnungswesen nur noch Belegungsrechte für 30 477 Wohnungen. Zum selben Zeitpunkt standen aber 8973 Haushalte mit 22 832 Menschen auf der Warteliste. Die Vermittlungsquote war miserabel. Die Lage dürfte sich seitdem nicht verbessert haben. Jedes Jahr fallen sehr viele Sozialwohnungen aus der Bindung. Trotz des Baulandbeschlusses entstehen immer noch zu wenig neue geförderte Wohnungen, um dies auszugleichen.
Das kann Mike Josef tun: Direkt Veränderungen anstoßen kann der Oberbürgermeister als Aufsichtsratschef der Wohnungsgesellschaft ABG Frankfurt Holding. Das städtische Unternehmen könnte Sozialwohnungen bauen, die erst nach 50, 75 oder 100 Jahren aus der Bindung fallen. Noch wichtiger wäre es, endlich ein zentrales Versprechen aus dem Koalitionsvertrag zu erfüllen und die Mieten für alle Haushalte bei der ABG, die Anspruch auf eine Sozialwohnung haben, auf 6,50 Euro pro Quadratmeter zu senken. cm
Bildung
Die Herausforderung: Um mit der wachsenden Stadt und der damit einhergehenden steigenden Zahl an Kindern Schritt halten zu können, müssen Kitaplätze geschaffen werden. Doch es mangelt an Erzieher:innen. Um Fachkräfte anzuwerben und zu halten, hat die Stadt eine Koordinierungsstelle geschaffen, die beispielsweise Berufsbildungsmessen für Erzieher:innen organisiert, es wird Werbung für den Beruf gemacht. Aber es fehlen weiterhin Erzieherinnen und Erzieher in Frankfurt.
Auch Schulen muss die Stadt bauen. 28 neue Schulen will die Stadt in den nächsten Jahren eröffnen. Es geht um 14 000 Plätze. Zwar werden Schulen gegründet, doch die Stadt hinkt bei Bau und Sanierung hinterher. Sie ist beim Schulbau zu langsam.
Das kann Mike Josef tun: Josef hat im Wahlkampf eine Milliarde Euro für Schulen und Kitas versprochen, die in sechs Jahren zusätzlich zur Verfügung stehen sollen. Für mehr Geld muss er sich bei den Stadtverordneten einsetzen, das kann er nicht alleine entscheiden. Um das Bauen und Sanieren zu beschleunigen, will er die Aufgabe ausgliedern – einer neu zu gründenden Gesellschaft übertragen oder von einer bereits bestehenden städtischen Gesellschaft übernehmen lassen. Auch dafür muss er die Stadtverordneten überzeugen.
Dem Mangel an Erzieher:innen will Josef mit mehr Gehalt entgegenwirken und sich für einen „Frankfurt-Zuschlag“ von 200 Euro im Monat starkmachen. So soll der Arbeitsort Frankfurt attraktiver werden. Josef will das Gespräch mit dem Land Hessen über einen „Frankfurt-Zuschlag“ für Erzieher:innen suchen. sabu