Friedenspreis-Verleihung: Stadtverordnete Mahn über ihre kritischen Worte zur Buchmesse

Die Grünen-Stadtverordnete Mirrianne Mahn stört mit energischen Worten zur Buchmesse die Verleihung des Friedenspreises in der Paulskirche. Die Reaktionen sind nicht nur positiv.
Am Tag danach geht es Mirrianne Mahn nicht gut. Dass ihr Auftritt in der Paulskirche nicht überall positiv aufgenommen würde, war der Stadtverordneten der Frankfurter Grünen klar. Dass sie deswegen auch übel beleidigt würde, hatte sie wohl befürchtet. Aber was die 32-Jährige, die in Kamerun geboren wurde, am Montag alles lesen musste, das war dann doch zu viel. „98 Prozent der Mails, in denen ich kritisiert werde, sind rassistisch“, sagt Mahn im Gespräch mit der Frankfurter Rundschau, für das sie sich Zeit nimmt, weil die FR ihren Werdegang verfolgt, seit sie im März ins Stadtparlament gewählt wurde. Ansonsten vermeidet sie am Montag Telefongespräche. Es ist alles etwas viel, seit Mahn am Sonntagmittag live im ZDF zu sehen war.
Zur Verleihung des Friedenspreises des Deutschen Buchhandels an die simbabwische Autorin Tsitsi Dangarembga war Mahn als Stadtverordnete, zumal als Vorsitzende des Kulturausschusses, eingeladen. Das ist der Politikerin wichtig, weil in der Berichterstattung bisweilen der Eindruck entstanden sei, sie sei irgendeine Aktivistin, die es von Anfang an auf Störung und Provokation abgesehen habe. „Ich war als Stadtverordnete da, und als Stadtverordnete muss ich das Wort ergreifen, wenn ich Missstände sehe – damit kann ich dann nicht warten bis zur nächsten Plenarsitzung“, sagt Mahn.
Das Wort ergriffen hat sie dann auch – und zwar während Oberbürgermeister Peter Feldmann (SPD) sprach. Gerade wollte das Stadtoberhaupt Tsitsi Dangarembga gratulieren, da stand Mahn hinter ihm. Erst wirkte sie etwas schüchtern, doch als Feldmann dann meinte, sie könne ja später noch etwas sagen, da wurde sie energisch und erklärte, dass sie sich jetzt öffentlich äußern müsse.
Feldmann, der kaum überrascht wirkte, obwohl er nicht eingeweiht war, ließ Mahn reden, er richtete sogar die Mikrofone so aus, dass die Stadtverordnete gut zu verstehen war. Und so dankte Mahn „dem Peter“ (beide kennen sich seit Jahren) für seine „wichtigen Worte“, jedoch müsse sie als Schwarze Frau auf ein Paradox hinweisen: „Das Paradox ist, dass wir hier in der Paulskirche, der Wiege der Demokratie, einer Schwarzen Frau den Friedenspreis verleihen, aber Schwarze Frauen auf genau dieser Buchmesse nicht willkommen waren.“ Denn Schwarze hätten sich auf der Messe eben nicht sicher fühlen können. Damit griff Mahn die Debatte über Rechtsradikale auf der Messe auf, die zum Boykott von mehreren Autorinnen und Autoren geführt hatte. Knapp zwei Minuten sprach Mahn, unter anderem warnte sie vor dem „nächsten Hanau“. Dann verließ sie unter Applaus die Bühne.
Ob sie Stolz empfinde, ist Mahn am Montag gefragt worden.
„Nein, ganz gewiss nicht, ich habe nichts Besonderes geleistet.“
Aber immerhin hat sie den bedeutenden Friedenspreis als Bühne genutzt, um auf Ängste Schwarzer Menschen aufmerksam zu machen?
„Ach was, ich saß in der achten Reihe, bin ein paar Meter nach vorne gelaufen, das was nichts Spektakuläres, die Security war ja auch völlig entspannt, und dann habe ich mit brüchiger Stimme ein paar Sätze gesagt.“
Ob sie jetzt nicht viel zu bescheiden ist?
„Nein, wirklich nicht. An der Aktion war nichts mutig oder gefährlich. Ich habe Demos organisiert, war bei Besetzungen dabei, ich wusste manchmal vor lauter Pfefferspray im Auge nicht mehr, wo oben und unten ist – das ist etwas anderes, aber in der Paulskirche, da war doch alles ganz ruhig.“
Ob sie eine solche Aktion wiederholen würde?
„Kann ich nicht sagen, das kommt zu sehr auf die Umstände an.“
Am Sonntagmittag jedenfalls habe sie so handeln müssen. Nicht völlig spontan. Den Gedanken, sie könnte bei der Preisverleihung etwas sagen, hatte sie mehrfach in dieser Woche, in der sie immer wieder über rechte Verlage auf der Messe sprach. Doch die Entscheidung, tatsächlich nach vorne ans Redepult zu gehen, die sei vor Ort gefallen, deshalb hatte sie auch kein Manuskript vorbereitet. „Ich kam mir vor wie auf einer inszenierten Veranstaltung“, sagt Mirrianne Mahn. Die Politik, die Verlage, die Messe, sie alle hätten sich in der Woche der Buchmesse selbst gefeiert für einen Diskurs über Rassismus, der für „andere existenziell“ ist.
Das alles klingt, als sei Mahn durch und durch überzeugt von ihrer Aktion – aber das ist sie nicht. Schon am Sonntagabend kamen ihr Zweifel. War der Rahmen richtig gewählt? Wie empfand Tsitsi Dangarembga, „die ich sehr verehre“, den Protest? Mahn kann am Montag auf ihre eigenen Fragen keine gesicherten Antworten liefern. Zumindest würde sie mit Dangarembga gerne in Kontakt treten, um ihr den Auftritt näher zu erklären.
Montagfrüh um 6 Uhr saß Mahn in ihrem Büro im Kinder- und Jugendtheaterzentrum, wo sie als Referentin für Diversität angestellt ist. Einfach ungestört etwas arbeiten, das sei ihr wichtig gewesen, sagt sie. Als die Kolleginnen und Kollegen, die sie allesamt im Fernsehen gesehen hatten, kamen, war es vorbei mit der Ruhe. Gegen Mittag schrieb sie dann eine Mail an die gesamte Belegschaft: Ja, sie sei die Frau, die Peter Feldmann ins Wort fiel, sie habe nicht schweigen können, gebe gerne auch persönlich Auskunft zu dem Auftritt – nur die Worte, die ihr Peter Feldmann ganz am Ende der Rede ins Ohr flüsterte, die blieben geheim.
