Frauen erobern den Kaisersaal

Die Herrscher weichen den Feministinnen der ersten Stunde: 48 überlebensgroße Porträts von Frauenrechtlerinnen verdecken gut zwei Wochen lang die gekrönten Häupter im Frankfurter Römer.
Tony Sender hängt schon, Marie Juchacz auch, Rosa Luxemburg wird gerade ausgerollt, andere Fahnen liegen noch in Warteposition auf den Bänken: 48 Porträts von Vertreterinnen der ersten Frauenbewegung sollen zum Internationalen Frauentag, der am heutigen Freitag mit einem Empfang im Kaisersaal gefeiert wird, den ehrwürdigsten Raum im Frankfurter Römer zu einem Kaiserinnensaal des Feminismus machen. Rund 180 Jahre haben Kaiser und Könige des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation von den Wänden auf ungezählte Besucher herabgeblickt, erzählen Dorothee Linnemann vom Historischen Museum und Linda Kagerbrauer vom Frauenreferat. Seit Donnerstag werden sie nun von den überlebensgroßen Frauenporträts verdeckt. Schnell stellen sich bei Betrachterinnen und Betrachtern Respekt und Ehrfurcht ein.
Selbstverständlich werden die Fahnen mit den Frauenporträts so befestigt, dass Kaiser Karl und den anderen Regenten kein Haar gekrümmt wird. Das Historische Museum ist auch für den Erhalt und die Pflege der aristokratischen Bildersammlung verantwortlich. Schon länger wurde beim Empfang zum Internationalen Frauentag darüber nachgedacht, dass man doch „mal was mit den Kaisern machen“ müsse, so die Leiterin des Frauenreferats, Gabriele Wenner. Vor einem Jahr sei dann die Idee für die Ausstellung entstanden. Man habe Wert darauf gelegt, Frauen mit verschiedenen politischen Haltungen auszuwählen und nationale, internationale und regionale Aspekte zu berücksichtigen. Außer Tony Sender, deren Name mit einem Preis verbunden ist, mit dem die Stadt Frankfurt die Gleichstellung der Frau fördern möchte, ist auch Berta Pappenheim vertreten. Die Leiterin des Israelitischen Frauenvereins in Frankfurt und Gründerin des Jüdischen Frauenbundes setzte sich besonders gegen Frauen- und Mädchenhandel und deren sexuelle Ausbeutung ein.
Die deutsche Sozialreformerin, Sozialdemokratin und Frauenrechtlerin Marie Juchacz gilt als die erste Parlamentarierin, die 1919 in der Weimarer Nationalversammlung eine Rede hielt. Darin weist sie darauf hin, dass das Wahlrecht eine „Selbstverständlichkeit“ sei, die den Frauen „bis dahin zu Unrecht vorenthalten“ worden sei. Auch Emmeline Pankhurst, eine der bekanntesten englischen Sufragetten, die mehrmals verhaftet wurde, hat einen Ehrenplatz im Kaisersaal bekommen. So unterschiedlich die porträtierten Frauen auch sein mögen – sie alle haben für das Frauenwahlrecht gekämpft, so Kagerbauer und Linnemann. „Das Wahlrecht haben wir, Equal Pay noch nicht“, ergänzt Gabriele Wenner. Gleiche Bezahlung für gleiche Arbeit habe zu den Forderungen der ersten Frauenbewegung gehört. „Unsere Großmütter haben auch schon für die Gleichberechtigung gekämpft“, sagt Wenner. Die Ausstellung soll dazu beitragen, „dass diese Frauen nicht in Vergessenheit“ geraten. „Wir kümmern uns darum, was noch zu tun ist.“ Ein Jahr lang, bis zum nächsten Internationalen Frauentag, soll die Kampagne „Frauen.Macht.Politik“ laufen und Mut machen, nicht nur das aktive, sondern auch das passive Wahlrecht wahrzunehmen, sich einzumischen und mitzugestalten.
Indessen geht der Verdrängungswettbewerb im Kaisersaal weiter: Ein Porträt nach dem anderen wird entrollt und einem Potentaten vor die Nase gesetzt. Karl der Große, gleich rechts neben der Eingangstür, wird dem Treiben noch eine Weile zuschauen können – er wird voraussichtlich als letzter verhüllt. Schon wird im Saal der Ruf nach einer „Dauerausstellung“ laut. Bislang ist geplant, dass die Frauen nach der Ausstellung, ab dem 27. März auf Reisen gehen. Schulen, Banken oder andere Einrichtungen können sich um eine Patenschaft bemühen. Sie dürfen das erwählte Porträt zeigen und sich mit der Geschichte dieser Person und der Frauenbewegung insgesamt auseinandersetzen.