Häuserkampf in Frankfurt: „Die Tochter des Polizeipräsidenten kämpfte auf unserer Seite“

Zur Eröffnung einer Ausstellung über den Häuserkampf vor 50 Jahren im Frankfurter Westend kamen viele, die damals protestiert hatten.
Die vermummten Polizisten kamen nachts. Brachen die Wohnungstür auf und rissen die Menschen aus dem Schlaf. „Sie hatten Helme auf und haben mir mit Taschenlampen ins Gesicht geleuchtet“, erinnert sich Sara Flora. Sie war damals sieben Jahre alt und gehörte zu den Kindern im besetzten Haus Bockenheimer Landstraße 93. Sie zitterte vor Angst. „Alle mussten sich nackt im Flur aufstellen mit erhobenen Händen.“
Die Italienerin hat diese Nacht nie mehr vergessen. Sie ist die jüngste Zeitzeugin, als im alten Studierendenhaus auf dem Bockenheimer Uni-Campus in Frankfurt die Ausstellung „Dieses Haus ist besetzt“ eröffnet wird. Die Schau erinnert an den „Häuserkampf“ von 1970 bis 1974 um den Erhalt des Wohnraums im Frankfurter Westend. Vor 50 Jahren war zum ersten Mal in Deutschland ein Haus aus Protest gegen Mietervertreibung besetzt worden: die Eppsteiner Straße 47. Es ging darum, den Abriss dieses und anderer Wohnhäuser zugunsten von Bürobauten zu verhindern.
Weit über 100 Menschen sind an diesem Abend gekommen. Viele Veteraninnen und Veteranen des Kampfes sehen sich zum Teil zum ersten Mal seit Jahrzehnten wieder. Es herrscht eine fröhliche, kämpferische Stimmung unter den Bäumen vor dem Studierendenhaus. Die Ausstellung darf wegen der Corona-Pandemie nur von wenigen Besuchern gleichzeitig betreten werden, also ist alles nach draußen verlagert in den lauen Spätsommerabend.

Der Häuserkampf hat das Leben vieler grundlegend verändert. Der Medizinstudent Alexander von Paleske entschied sich anschließend, als Arzt nach Afrika zu gehen, um zu helfen. „Ich bin 30 Jahre in Afrika geblieben“, sagt der weißhaarige Mann schlicht. Er gehörte zu den Besetzern des Hauses Corneliusstraße 24. „Wir haben unsere Familien damals in kurzer Zeit überzeugen können, mit uns einzuziehen.“
Der Jurastudent Christoph Kremer wurde einer der bekanntesten Rechtsanwälte für Mietrecht. „Ich habe damals entdeckt, dass Juristerei Sinn hat“, sagt der 70-jährige, ganz in Schwarz gekleidet. Er gehörte seinerzeit dem Häuserrat an, in dem sich die Menschen aus den zwei Dutzend besetzten Bauten organisierten. Kremer lacht. „Wir haben immer so getan, als gäbe es den Häuserrat, in Wahrheit gab es keine festen Strukturen; es war einfach ein lockerer Haufen von Leuten.“ Sie lebten im Wohngemeinschaften. „Wir waren Spontis im besten Sinne.“ Der Jurastudent hat im Häuserkampf „organisiert und gedolmetscht“, er lernte so Italienisch und hospitierte später in einer Anwaltskanzlei in Italien.
Die Schau
Die Ausstellung „Dieses Haus ist besetzt“ über den Frankfurter Häuserkampf von 1970 bis 1974 ist bis 18. Oktober 2020 im alten Studierendenhaus auf dem Campus Bockenheim, Mertonstraße 26-28, in Frankfurt zu sehen.
Die Öffnungszeiten sind montags von 15 bis 19 Uhr, mittwochs von 17 bis 21 Uhr, donnerstags von 15 bis 19 Uhr und sonntags von 14 bis 18 Uhr.
Wegen der Corona-Pandemie dürfen nur 17 Besucherinnen und Besucher gleichzeitig die Ausstellung betreten.
Wegen der großen Nachfrage empfiehlt das Kuratorenteam die schriftliche Anmeldung unter info@archiv-der-revolte.de.
Die Ausstellung wird vom Kulturamt der Stadt Frankfurt, vom AStA der Goethe-Universität, von der Stiftung Citoyen und vom Ortsbeirat 2 unterstützt. jg
Denn der Häuserkampf, das war auch eine Sache von ausländischen Familien; viele Menschen aus Italien und der Türkei beteiligten sich. „Viele Häuser im Westend wurden von Spekulanten mit Arbeitsmigranten vollgestopft, die wohnten erbärmlich, mussten aber 300 oder 400 Mark im Monat zahlen.“ Der aus Ungarn stammende Jurastudent Ludwig Salgo, der Mitglied der linken „Basisgruppe Jura“ an der Goethe-Universität war, hat dann einfach „gefragt, wie wir helfen können“. Er gehörte zu den Besetzern des Hauses Corneliusstraße 24. „Am Anfang hatte die Polizei sogar Schiss, etwas gegen uns zu unternehmen.“ Es gab einen Beschluss des SPD-Unterbezirksparteitags, die besetzten Häuser nicht zu räumen.
Doch dann änderte SPD-Oberbürgermeister Rudi Arndt den politischen Kurs und beauftragte den sozialdemokratischen Polizeipräsidenten Knut Müller, hart gegen die Besetzer vorzugehen. Es kam zu heftigen Auseinandersetzungen auf der Straße, bis zu 8000 Menschen beteiligten sich an Demonstrationen. Rolf Engelke, einer der Kuratoren der Ausstellung, zitiert aus der „Frankfurter Neuen Presse“, die in den besetzen Häusern „Brutstätten der politischen Kriminalität“ gesehen habe. OB Arndt nannte die Besetzer „schlimmer als SA-Horden“.
Christoph Kremer erinnert sich an eine bizarre Situation. „Bei der Räumung unseres Hauses standen auf der einen Seite die Polizisten und der Polizeipräsident und der Anwalt des Hausbesitzers. Und auf unserer Seite kämpften die Tochter des Polizeipräsidenten und die Tochter des Rechtsanwalts.“ Ludwig Salgo wurde später ein bekannter Familienrechtler, unterrichtete an der Fachhochschule und an der Goethe-Uni. Heute ist der 73-Jährige noch immer Seniorprofessor des Fachbereichs Jura. Er weiß noch, dass die Hausbesetzer bald mit Strafverfahren überzogen wurden. „Aber wir bekamen Solidarität und Spenden aus dem gesamten Westend.“
Für Lelia Flora war die Situation besonders prekär. Die Italienerin gehörte mit ihrem Ehemann und Tochter Sara zu den Besetzern des Hauses Bockenheimer Landstraße 93. „Aber ich arbeitete als Programmiererin in der Pharmaforschung bei der Hoechst AG.“ Und beim Unternehmen durfte natürlich niemand erfahren, dass sich die Computerspezialistin dem Häuserkampf angeschlossen hatte.
Die Besetzungen wurden auch von Mietstreiks begleitet: Hunderte von Menschen weigerten sich, überhöhte Mieten zu zahlen. Nach vier Jahren fiel die Bilanz des Häuserkampfs zwiespältig aus. 24 Bauten im Westend konnten vor dem Abriss bewahrt werden, doch viele andere wurden zugunsten von Bürogebäuden, nicht selten Hochhäusern, von Banken und Versicherungen abgebrochen. Der damals SPD-geführte Magistrat hatte vielen Spekulanten Ausnahmegenehmigungen erteilt. Ausstellungskurator Rolf Engelke spricht von „rücksichtslos durchgesetzter Planung für die Finanzmetropole Frankfurt“. Er zitiert ein Plakat der Protestbewegung aus dem Jahr 1974: „Banken, SPD und Magistrat sind ein Gangstersyndikat“.
Auch in der Gegenwart sei die Situation in Frankfurt von „Wohnungsnot“ und „Gentrifizierung“ gekennzeichnet: „Der Luxuswohnungsbau ist nicht zu übersehen“. Engelke schließt mit dem Satz: „Das Ziel einer Stadt für alle bleibt auf der Tagesordnung.“ Da gibt es großen Beifall vor dem alten Studierendenhaus.