Frankfurter Städelschule lädt zum Rundgang: Kunst mit Kick

Beim Rundgang der Städelschule an diesem Wochenende gibt es Installationen, Performances und ganz besondere Videos der Studierenden aus aller Welt zu sehen.
Als Yasmil Raymond die Städelschule am Abend verlässt, überkommt sie ein banges Gefühl: „Wird das wirklich alles fertig werden bis morgen früh?“ Am nächsten Morgen kann die Rektorin der Städelschule entspannt erzählen: „Die Studierenden haben abgeliefert. Die Magie passiert immer in der letzten Minute.“ Raymond lacht. An diesem Freitag fehlen wenige Minuten, bevor der Rundgang durch die Flure und Ateliers der Städelschule losgeht. Die 45-Jährige selbst ist in Puerto Rico geboren und seit April 2020 Rektorin in Frankfurt. Der erste Rundgang fiel wegen des Lockdowns aus. Es ist also ihr zweiter Rundgang, erzählt sie im Rektorat in der Dürerstraße 10.
Es gibt viele Treppen hoch-und runter- und überhaupt viel abzulaufen beim öffentlichen, kostenlosen Städelschule-Rundgang 2023. Bis einschließlich Sonntag (immer von 10 bis 20 Uhr) können Besucher:innen sich Skulpturen, Fotos, Installationen, Filme, Performances der Studierenden anschauen.
Die zwei Hauptstandorte befinden sich in Sachsenhausen (mit den vielen Treppen) und weiter draußen in Fechenheim in den Ateliers inmitten des Industriegebiets in der Daimlerstraße 32. Ein Shuttlebus fährt die Besucher:innen im Zweistundentakt zwischen den Standorten hin und her. Die Führungen finden auf Englisch und Deutsch statt.
Englisch ist auch die Unterrichtssprache der 147 Studierenden aus 40 Ländern. Sie kommen aus den Klassen der Professor:innen Monika Baer, Gerard Byrne, Benjamin Foerster-Baldenius, Judith Hopf, Hassan Khan, Tobias Rehberger, Willem de Rooij und Haegue Yang. Rektorin Raymond betont: „Kunst kann man nicht beibringen; es geht darum, die Studierenden in ihrer Kunst und der Art, wie sie diese angehen, zu unterstützen, sich darüber auszutauschen.“ Die Kunst, die beim Rundgang zu sehen ist, ist meist nicht selbsterklärend. Aber dafür oft extrem kreativ. Beispielsweise hat der Argentinier Tomás Maglione ein Video aus einer ziemlich besonderen Perspektive gedreht: „Ich habe eine Go-Pro-Kamera in eine Plastikflasche gesteckt und diese durchs Bahnhofsviertel gekickt.“ Die Impressionen sind in der Dürerstraße zu bewundern. Wer das komplette Video „Corner Scratch“ sehen mag, sollte sich 80 Minuten Zeit nehmen.
Mehrere Plastik- und Stoffbeutel unter Glas angeordnet hat der 1994 in Russland geborene Bogdan Ablozhny. Er erklärt, dass es sich nicht einfach um irgendwelche Beutel handelt, sondern: „Darin hat meine Mutter mir Geschenke wie Schokolade ver-packt. Das war das letzte Mal, dass ich etwas in der Hand hielt, was sie berührt hat.“ Allerdings lebe seine Mutter noch. Der Titel dieses Kunstwerks zeugt ebenfalls von Kreativität: „Mother – shame that we are family with lice“ („Mutter – eine Schande, dass wir eine Familie mit Läusen sind“).
Nina Nadig hat aus Lkw-Planen eine Art Backgammonspiel in der Lichthalle installiert: „Luck, Love, Lust, Lost“ lautet der Titel, den die Bremerin sich dafür ausgedacht hat. Bedeutungen gibt es einige. Eine davon, die sie nennt: „Das richtige Leben ist viel komplizierter als ein Spiel.“ Es gehe aber eben auch um Themen wie Lust, Sex, Selbstzerstörung, die Angst vor einer ungewissen Zukunft oder auch das Verlangen nach etwas, was man nie haben könne.
Das Programm
Die Städelschule öffnet an diesem Wochenende (täglich von 10 bis 20 Uhr) ihre Türen für die Öffentlichkeit zum Rundgang, der jährlichen Ausstellung der Studierenden, mit offenen Ateliers, Vorträgen, Performances und Filmvorführungen und mit freiem Eintritt für das gesamte Programm.
An den Standorten Dürerstraße 10 und Daimlerstaße 32 zeigen die Studierenden ihre aktuellen Werke. Ein kostenloser Shuttlebus verkehrt täglich im Zweistundentakt.
Zudem gibt es Filmvorführungen im DFF – Deutsches Filminstitut & Filmmuseum, Schaumainkai 41. Und Kunst im Portikus, Alte Brücke 2, Maininsel.
Am Samstag gibt es von 11 bis 13 und 14 bis 16 Uhr „Smelling Snow“, ein Teeritual von Ming Yuan (Garten vor der Aula, Dürerstraße 10). rose
Das komplette Programm :
www. staedelschule.de
Die Britin Rachel Ashton hat aus ihrem Film bestimmte Szenen als Foto eingerahmt. Eines zeigt den Rücken eines Mannes mit einer Narbe, die wie ein Baum aussieht. „Die Idee dazu hatte ich, weil ich auf Wikipedia die Geschichte eines Mannes entdeckt habe, der siebenmal vom Blitz getroffen wurde und dennoch überlebte.“
Das Glas des Rahmens ist kaputt, es erinnert an die Blitzschläge. Der Mann, der übrigens Roy C. Sullivan hieß, starb 1983. Der US-Amerikaner soll sich das Leben genommen haben. Wegen Liebeskummer. Ob das wirklich so war, wurde nie geklärt. Unweit dieses Bildes hängt eine andere Filmszene, die eine Frau zeigt. „Dafür war meine Inspiration der Film ,In einem Jahr mit 13 Monden“, der in Frankfurt gedreht wurde und die Geschichte einer Transsexuellen erzählt.“ Es ist ein Film von Rainer Werner Fassbinder aus dem Jahre 1978.
Eine besondere Performance, die sich mit der Zukunft des Theaters und so eben auch mit der Interaktion mit dem Publikum befasst, hat sich der Brite Sam Cottington (28) überlegt. In seiner Installation liegen mehrere Mobiltelefone zum Aufladen. Eines klingelt, und die Besucher:innen sollen das Gespräch annehmen. „Sie telefonieren dann mit einer Schauspielerin.“ Was diese sagen und wie die Kommunikation ablaufen wird, soll eine Überraschung bleiben.
Donghoon Gang (30) ist auf der Insel Jeju geboren und aufgewachsen, seit 2019 studiert er an der Städelschule. „Eigentlich bin ich Komponist“, sagt der Südkoreaner. Und so präsentiert er eine Sound Installation mit dem Titel „Not quite my temper“. Ihm gehe es um die psychologische Wirkung von Musik“, also darum, wie bestimmte Musik Menschen steuern und kontrollieren kann. Als Erstes ertönt Marschmusik, die an die NS-Zeit erinnern soll, sie geht über in Jazzmusik, die „von den Nazis verboten“ wurde.
Ebenfalls mit dem Zweiten Weltkrieg beschäftigt sich Larry Bonchaka in einem der Fechenheimer Ateliers: „Vanishing Point“ heißt seine Installation. Zu sehen ist eine schwarz-weiße Tapete, darauf senegalesische Soldaten, die für Frankreich kämpfen mussten. „Die Tirailleurs. Ihre Geschichte wurde auch wegen des Whitewashing des französischen Militärs vergessen. Sie wurden auch nie entschädigt und auch nicht zu ihren Familien zurückgebracht, wie ihnen das versprochen wurde“, erzählt Bonchaka. Unter das Schwarz-Weiß-Bild hat er schwarze Puppen mit kaputten Gesichtern gelegt. „Die Besucher können sich eine dieser Puppen gegen eine Spende mitnehmen. Das Geld geht an die Familien dieser Soldaten. Manche der Soldaten leben auch noch.“ Um sie zu ehren, hat der Künstler ein paar Puppen in bunten Farben und mit Schmuckverzierungen in Holzkästen aufgestellt. „Die sind aber nicht zum Mitnehmen.“
Ihm gegenüber präsentiert sein ghanaischer Landsmann Samuel Baah Kortey eine Installation, die sich mit der Verehrung der „immer nur als Weiße dargestellten Heiligen“-Figuren in ganz Afrika auseinandersetzt. Zu sehen ist eine weiße Maria. Zu lesen gibt es handgeschriebene Briefe von Kindern aus Ghana, die sich Jesus wie folgt vorstellen: „Ein sehr schöner Mann. Mit weißer Haut.“

