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Hoffnung, Wut, Rekord-Inzidenzen: So hat Corona Frankfurt auf den Kopf gestellt

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Von: Thomas Stillbauer, Georg Leppert

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Mehrere Menschen laufen mit heruntergezogenen Mund-Nasen-Masken auf einer Straße entlang, teils mit Plakaten.
Bis zu 5000 Menschen gehen in Frankfurt gegen Corona-Regeln auf die Straße. © Renate Hoyer

Aggressive Demonstranten, widersprüchliche Regeln, träge Impfkampagne: Die Corona-Lage in Frankfurt hat sich in den vergangenen zwei Jahren drastisch verändert.

Frankfurt – Die Corona-Pandemie beeinträchtigt das öffentliche Leben seit knapp zwei Jahren. Erst seit Montag (07.02.2022) gelten in Hessen wieder neue Corona-Regeln.

Rund anderthalb Jahre ist es her, da war eine Inzidenz von 35 das Maß aller Dinge. In Frankfurt am Main bedeutete das: Innerhalb von einer Woche hatten sich rund 260 Menschen infiziert. Ab diesem Wert drohten weitere Einschränkungen. Heute sind die Zahlen rund 60-mal so hoch. Und keinen interessiert es. Oder doch?

Corona-Bilanz in Frankfurt am Main: Erst Hoffnung auf Impfstoff – dann Weigerung

Die Macht: Im November 2020 gibt es noch einen großen Gegen-Protest, als „Querdenker“ in Frankfurt demonstrieren. Die Demo kommt kaum voran. Die Polizei muss alles geben, um den Corona-Maßnahmen-Kritiker:innen den Weg frei zu machen. Es ist kalt, dennoch wird der linke Gegen-Protest mit Wasserwerfern zweimal weggesprüht.

Ganz am Ende gibt es auch Wasserfontänen, als die Demonstrierenden den Goetheplatz nicht räumen wollen. Knapp eineinhalb Jahre später ist der sichtbare Widerstand gegen „Querdenker“ auf den Straßen deutlich geschrumpft.

Die Enttäuschung: Irgendwann wird klar, dass sich gar nicht alle Menschen impfen lassen wollen. Das war doch die große Hoffnung, die vielen Menschen half, optimistisch zu bleiben: dass alles wieder gut wird, wenn die Corona-Impfstoffe da sind.

Als das Serum dann kommt, als die Mainzer Gesundheitsfabrik dafür weltweit gefeiert wird, erweist sich: Es wollen nicht alle. Viele lehnen aggressiv ab. Spätestens jetzt ist die Atmosphäre vergiftet. Einen Wermutstropfen gab es dafür erst im Dezember: Als die Stiko eine Impf-Empfehlung für Kinder ausspricht, strömen Frankfurter Eltern mit ihren Kindern für die Corona-Impfung in Arztpraxen.

Frankfurt am Main: Parolen auf Corona-Demonstrationen und Regel-Widersprüche

Die Freiheit: Auf der Straße dominieren Anfang 2022 in Frankfurt jene, die nicht vertrauen. Die befürchten, dass man ihnen die Freiheit nehmen wolle. Die zumindest zweideutige Symbole, aber oft auch eindeutig rechte Parolen auf ihren Demonstrationen dulden. Die mit Leuten marschieren, die widerwillig Maske tragen, sich mit Naziopfern vergleichen, die Gelegenheit nutzen, aus dem Gefühl der momentanen Überlegenheit heraus sogar auf Kinder am Straßenrand loszugehen.

Zwei Menschen in einer Menschenmenge halten Pappschilder hoch, auf denen Botschaften geschrieben sind.
„Impfen statt Schimpfen“. Gegendemo in Frankfurt. © Renate Hoyer

Die Widersprüche: Ein Freitagabend in einem Fitnessstudio im Frankfurter Osten: Es wird trainiert, dicht an dicht. Niemand trägt Maske. Viele gehen danach in die Sauna. Zehn Leute sitzen in einer Kabine, man sitzt nackt zusammen, man schwitzt, alles legal.

Blick in ein großes Fußballstadion mit vereinzelten Spielern auf dem Rasen und gänzlich leeren Tribünen.
Bis vor kurzem spielte die Eintracht vor leeren Rängen. © Arne Dedert/dpa

Zeitgleich ein paar Kilometer weiter südlich: Eintracht Frankfurt spielt gegen Bielefeld. Im riesigen Rund verlieren sich 1000 Menschen. Mehr sind nicht erlaubt. Kaum einer versteht das noch. Und bei manchen Menschen wird aus Unverständnis Wut. Immerhin soll die Eintracht demnächst wieder 10.000 Fans empfangen können. In einem Stadion, das für mehr als 50.000 Menschen ausgelegt ist.

„Querdenker“ bedrohen Familien – deutliche Kritik an Corona-Politik in Frankfurt

Die Stadtpolitik: Im Dezember beantragt Nico Wehnemann, den Frankfurter Weihnachtsmarkt abzubrechen. Der Antrag scheitert krachend. Seitdem beschäftigt sich die Politik kaum mehr mit Corona. Es gibt wichtigere Themen: Die Dezernentinnen und Dezernenten der SPD müssen im Amt bestätigt werden und in der nächsten Sitzung wird über den Haushalt diskutiert.

Die Pandemie rückt fast nur der Vertreter der Gartenpartei in Erinnerung. Er wäre auf jeder „Querdenker“-Demo willkommen. Das Masketragen fällt ihm schwer, in einem Antrag sagt er zu Schutzmaßnahmen, „Erinnerungen an ganz andere Zeiten werden wach und vorstellbar“. Zu später Stunde fordert der Mann die Stadtverordneten auf, sie sollten sich doch nicht alles gefallen lassen. Vereinzelt gibt es Buhrufe.

Die Angst: „So schlimm war es noch nie“, sagt eine Mutter, die sich nach der Holzhausenpark-Demonstration Ende Januar bei der FR meldet. „Wir haben Angst gehabt.“ Aus den „Querdenker“-Reihen sind Familien am Ende des Oeder Wegs minutenlang beschimpft und bedroht worden.

Es sind Szenen, die man sich vor zwei Jahren nicht hätte vorstellen können, nicht im Frankfurt des 21. Jahrhunderts. „Mir fehlt die klare Stimme der Politik“, sagt die Mutter. „Vielleicht will sich der Herr Feldmann mal an den Straßenrand stellen und das erleben.“

Corona-Bilanz in Frankfurt am Main: „Querdenker“ werden radikaler

Die Eskalation: Wer sich den Demonstrationen entgegenstellt, muss damit rechnen, ein paar Tage später Eier gegen die Fensterscheibe geworfen zu bekommen – ohne Demo.

Ein Leserbrief nach der Frankfurter Demonstration vom 29. Januar: „Ich frage mich inzwischen, gehen wir auch in unserem ehemals so demokratisch-toleranten Staat hinsichtlich Meinungsäußerung, Überwachung und Kontrolle in Richtung autoritärer Staaten?“

Er vergleicht die Situation bei uns mit jener in Hongkong. Ihm schwant, dass „unsere grundgesetzlich garantierten Rechte eingeschränkt oder sogar abgeschafft werden“ sollen. „Was ist in fünf Jahren los?“

In Internetforen wird Nordendbewohner:innen Gewalt angedroht, weil sie ein Tuch „Mit Nazis geht man nicht spazieren“ an ihr Haus gehängt haben. Was genau an dem Satz falsch sein soll, erschließt sich nicht.

Corona-Impfungen in Frankfurt am Main: US-Amerikaner wird zu gewisser Prominenz

Die Impfungen: Im Chango, einem Club für lateinamerikanische Musik, steht Kerry Reddington und wartet auf Kundschaft. Ordnungsdezernentin Annette Rinn (FDP) ist gekommen, aber die ist längst geimpft und nur zu Besuch.

Der US-amerikanische Geschäftsmann, der in der Kommunalen Ausländervertretung sitzt, hat es mit diversen Aktionen in der Frankfurter Stadtgesellschaft zu einer gewissen Prominenz gebracht.

Im Chango hat er gemeinsam mit dem Betreiber Ferdinand Hartmann und dem FDP-Politiker Yanki Pürsün ein Impfangebot aufgebaut. Das Besondere daran: Man muss sich nicht anmelden. Vor ein paar Wochen noch gab es Schlangen die gesamte Münchener Straße herunter.

Viele Menschen stehen mit Mund-Nasen-Masken hintereinander bei dem Eingang zu einem Gebäude, vor dem ein Schild steht.
Die Schlangen beim Impfen gibt es nicht mehr. © Rolf Oeser

Heute kommen deutlich weniger Menschen. Immerhin 150 bis 200 sind es pro Tag. Einen deutschen Pass hat fast niemand. Das Angebot zielt gerade auf Migrantinnen und Migranten ab. Reddington sagt, er wolle weiter impfen lassen, „bis diese crazy Pandemie vorbei ist“.

Corona-Situation in Frankfurt am Main: Wie wird es mit der Pandemie weitergehen?

Die Perspektive: 80 Prozent der Menschen mit mindestens einer Impfung bis Ende Januar – dieses Ziel hatte die Bundesregierung ausgegeben und weit verfehlt.

Was passiert, wenn es nie erreicht wird? Oder wenn neue Varianten auftauchen, gegen die die Vakzine weniger wirksam sind? Bleibt es dann bei Einschränkungen? Werden die Demos dann noch größer, noch aggressiver, noch beleidigender?

Es sind diese Fragen, die sich in Frankfurt viele Menschen stellen, während sie versuchen, mit der neuen Pandemie-Situation irgendwie umzugehen. (Georg Leppert, Thomas Stillbauer)

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