Frankfurt, wie es früher war – und ganz früher

Das Filmkollektiv hat Zeitdokumente von 1909 bis 1968 zu einer faszinierenden DVD zusammengestellt. Alte Bekannte kommen auch drin vor.
Frankfurt – Wie sich die Zeiten ähneln. „Frankfurts Problem: Verkehrsnot“, heißt es zu Beginn des kurzen, originellen Films. Wann war das? 1962. Schon damals überfüllte Straßen, genervte Menschen in Autos und überfüllten Straßenbahnen. Mit dem Bau der sogenannten Stadtbahn sollte das besser werden – dafür warb der bunte Puppentrickfilm „Operation Stadtbahn“, jetzt für alle wieder zu sehen in einer neuen DVD-Edition. Mit lustigen Figuren, die durch die Stadt flitzen und an der Hauptwache darauf warten, dass endlich das moderne Verkehrsmittel durch den Tunnel rauscht. Sechs Jahre später brachte das Presse- und Informationsamt der Stadt den Film erneut heraus, diesmal aber mit einem U statt des S an der Haltestelle. Die Bezeichnung U-Bahn hatte sich im Volksmund längst durchgesetzt.
Ein multimediales Ereignis ist es, das Felix Fischl und der Verein Filmkollektiv Frankfurt jüngst unter dem Titel „Bauten, Bürger und ein Bembel“ herausgegeben haben. Auf der DVD sind zehn mitunter kuriose und ergreifende Imagefilme der Stadt aus den Jahren 1909 bis 1968; hinzu kommt ein ausführliches 60-seitiges Booklet, das Hintergründe zu jedem Film erzählt und das Ganze erst richtig spannend macht.
Ein Blick durchs Fenster in die ganz alte Frankfurter Zeit
Zu sehen ist unter anderem „Der Unfall des Clouth’schen Motorballons bei der ILA in Frankfurt a/M“ aus dem Jahr 1909. Der Stummfilm zeigt einen Zeppelin beim Abheben und viele Leute mit Seilen auf der Internationalen Luftfahrt-Ausstellung. Keine Sorge, es ist kein schrecklicher Unfall – eigentlich bemerkt man ihn zunächst gar nicht recht, aber im Begleittext ist zu erfahren, dass die Höhensteuerung sich selbstständig macht und das Luftschiff unbeabsichtigt auf einem Feld landet. Aber wie diese Leute aussehen! Welch ein Blick durchs Fenster in die ganz alte Frankfurter Zeit.

Zusammen mit dem folgenden Beitrag auf der DVD, „Rundgang durch die ILA in Frankfurt a/M“, ebenfalls von 1909, handelt es sich um zwei der ältesten existierenden Filmaufnahmen aus der Stadt. Der Rundgang zeigt in historisch-wackeligen Bildern die Festhalle, ein lustiges Zeppelinkarussell, schöne große Frankfurter Stadthäuser, festlich gekleidete Menschen vor riesigen Luftschiffhangars. Die Kamera schwenkt einfach übers Gelände – und man sitzt völlig fasziniert davor, saugt die Atmosphäre der Heimatstadt in alter Zeit ein.
Mich begeistert die Art und Weise, wie das Publikum angesprochen wird“
„Mich begeistert die Art und Weise, wie das Publikum angesprochen wird“, sagt Felix Fischl, der Geschäftsführer des Filmhauses Frankfurt. Ursprünglich auf der Suche nach Filmen zur Architektur und Stadtentwicklung in Frankfurt, über die er auch ein Buch schrieb, stieß er auf die Imagefilme und begann nachzuforschen: „Wer hat diese Filme gemacht, wann und in wessen Auftrag?“ Bald stellte er fest, dass es einen großen Schatz an solchen Zeitdokumenten gibt, und forschte in den Archiven des Deutschen Filminstituts, des Medienzentrums Frankfurt und des Instituts für Stadtgeschichte, sogar bundesweit und bei ausländischen Quellen sah er sich um. Bei den zehn Filmen, die es auf die DVD schafften, ging es ihm darum, möglichst solche zu zeigen, die noch nicht allgemein bekannt waren.

Das trifft auf „Ferien im Alltag“ (1961) nur bedingt zu. Der Film machte vor fünf Jahren Furore, als das Stadtarchiv nach dem Darsteller des blonden Peter suchte, der da durch die Stadtnatur strolcht. Nach einigen Monaten hieß es, der einst kleine Schauspieler sei wohl gefunden – aber leider schon tot. Jetzt erfahren wir anlässlich der Veröffentlichung: mitnichten. Der Mann lebt. Und arbeitete sein Berufsleben lang passenderweise im Tourismus.
Der Film von 1961, das ist das Neue, besteht eigentlich aus drei Filmen. Szenen aus „Alltag unter Bäumen“ und „Nicht nur der Urwald ruft“ sind mit drin.
So lernt man immer mehr im Lauf dieser herrlichen Frankfurt-DVD. Über das Stadtleben von 1923, als die Internationale Messe nach Frankfurt rief und alle, wirklich alle Menschen Hüte trugen. Was für ein Trubel rund um die Hauptwache mit Straßenbahnen und Autos auf der Zeil. Enorme Werbefiguren – ein Bär, der „Zahnrad-Reifen“ von Peters Union feilbot. Ein „Haus Offenbach“ war Teil des Messegeländes. Daneben im „Haus Schuh und Leder“ warb man für „Eri, die feine Schuhpflege“. Und draußen für eine „Schlacken-Brecher-Maschine“ und einen Motorsessel, der angeblich Raum und Strom sparen sollte, hergestellt in der Sophienstraße 23. Dazu bei allen Stummfilmen die wunderbare Klaviermusik, die der Wiesbadener Spezialist Uwe Oberg eingespielt hat.
Frankfurt-Filme
Die DVD „Bauten, Bürger und ein Bembel – Historische Frankfurter Imagefilme 1909-1968“ ist für 25 Euro in ausgewählten Frankfurter Buchhandlungen und Museumsshops zu haben, darunter die Hessen-Shops, das Filmmuseum, Filmforum Höchst, die Karl-Marx-Buchhandlung in Bockenheim, Thalia im Nordwest- und im Main-Taunus-Zentrum und Walther-König-Buchhandlung in der Frankfurter Innenstadt.
Mehrere Filme befassen sich mit dem im Krieg zerbombten und danach wieder aufgebauten Frankfurt. Es sind verstörende Bilder: der Römer 1944 mit Schmierereien, „Führer befiehl, wir folgen“, alles in Schutt und Asche, wie soll das wieder in Ordnung kommen? „Frankfurt blutete aus 1000 Wunden“, heißt es in einem Film. Aber es wird wieder gut. „Wiedergeburt einer Weltstadt“ (1952) zeigt ermutigende Bilder, Brücken werden gebaut, ein neuer Sender auf dem Heiligenstock, die Westend-Synagoge wird wiederhergestellt, das Goethehaus, Sportstätten – und 7000 Wohnungen in einem Jahr.

Über der Hauptwache prangt Werbung für die Frankfurter Rundschau. Es geht aufwärts. „Hier paart sich traditionsbewusste Beharrlichkeit mit neuzeitlichem Aufwärtsstreben“, dichtet der Sprecher über die Bilder des Stadtzentrums. Die Worte von Oberbürgermeister Walter Kolb, als er im Mai 1952 drei Mal mit dem Hammer auf den Grundstein zum offiziellen Wiederaufbaubeginn in der Altstadt klopft: „Frieden für unsere Stadt – Frieden für unser Land – Frieden für die ganze Welt.“
Der titelgebende Film „Bauten, Bürger und ein Bembel“ (1960, mit Musik von Emil Mangelsdorff) zeigt die unvergessenen „Zum Blauen Bock“-Stars Reno Nonsens und Otto Höpfner beim Zwiegespräch in einer Ebbelweikneipe über alles, was wichtig war: Schule, Altersheime, die Altstadt, Wohnungsbau, Verkehrsprobleme – da, schon wieder: alles genau wie heute. Fast.
Frankfurt ganz groß im Kino
„Es ist ein Ausschnitt aus all den Filmen, der die schönen Seiten zeigt“, sagt Felix Fischl. „Ich bin da Lokalpatriot“, er lacht, „auch wenn ich eigentlich aus München komme.“ Dafür ist er schon lang genug am Main. Die Ästhetik der Imagefilme hat es ihm angetan. „Und Filme sind für diesen Zweck, für den sie gedreht wurden, am spannendsten, weil sie die bestmögliche Orientierung bieten.“
Der Eindruck eines Drehkreuzes für Kohleloren ist eben viel stärker, wenn ein Schwarz-Weiß-Film von 1923 zeigt, wie die Wagen auf der Internationalen Messe wenden. Oder wie viele Tierfelle damals gehandelt wurden. Dass am „Haus Offenbach“ eine riesenhafte „Odol“-Reklame prangte, faszinierte den Kameramann offenbar nachhaltig. Und die Rhenus-Transportgesellschaft war auch schon groß im Geschäft.

Auf der DVD gibt es zusätzlich englische Fassungen, Untertitel – und sie ist freigegeben für Zuschauerinnen und Zuschauer ab null Jahren. „Damit sind die Filme jetzt wirklich für alle erreichbar“, sagt Felix Fischl. Außerdem plant er Großes. „Die Imagefilme dürfen jetzt auch offiziell an Kinos verliehen werden“ als Leinwandfassungen in bester Qualität. „Das wird 2022 ein Event geben – hoffentlich“, kündigt er mit Blick auf die Pandemieentwicklung an. Frankfurt ganz groß im Kino: „Da kommt noch was.“ (Thomas Stillbauer)