Frankfurt: Wie Bildungsgerechtigkeit gelingen kann

Ein Diskussionsabend im Frankfurter Museum für Kommunikation über Deniz Ohdes Roman „Streulicht“ gibt nicht nur Einblick in die Lebensgeschichte der Autorin. Sondern wirft auch einen kritischen Blick auf das deutsche Schulsystem.
Das Interesse an Deniz Ohde und ihrem Debütroman „Streulicht“ ist groß. Die Autorin – Jahrgang 1988 – sitzt am Donnerstagabend fast etwas schüchtern hinter einem Tisch, auf dem ihr Roman liegt. Ihr gegenüber Dutzende Menschen, keiner der aufgestellten Stühle im Museum für Kommunikation ist mehr frei. Dann liest Ohde drei Passagen aus ihrem Buch. Mit ruhiger Stimme schildert sie die Erlebnisse der Icherzählerin.
Die Unterscheidung ist wichtig: Ohde ist nicht die Icherzählerin, das betont sie stets. Auch wenn einige Dinge aus dem Roman autobiografische Züge haben. Beide haben einen türkischen und einen deutschen Elternteil, beide scheiterten zunächst am klassischen Schulweg, beide verlassen am Ende das Industriemilieu ihrer Heimat.
„Streulicht“ ist in gewisser Weise eine Geschichte über das Scheitern und Versagen. In Teilen des eigenen, aber vor allem des Systems. Die Icherzählerin ist ein Arbeiterkind mit Migrationsgeschichte und bekommt dies stets zu spüren. Die Protagonistin selbst empfinde sich nicht als Migrantin, sagt Ohde.
Neben der Autorin sitzen noch Migrationspädagogin Anja Kittlitz und FR-Redakteur Oliver Teutsch auf dem Podium. Denn neben dem Roman geht es an diesem Abend auch um das deutsche Bildungssystem und die Schulen im Land. „Die Schule und die Lehrer:innen verpassen es, eine Beziehung mit der Erzählerin aufzubauen“, analysiert Kittlitz zunächst. Sie werde ständig infrage gestellt, ohne wirklich auf sie als Individuum einzugehen. Dies führe letztlich zum Bruch in der Bildungskarriere.
Kittlitz ist Geschäftsführerin und Mitbegründerin der Schlau-Werkstatt, die sich für mehr Bildungsgerechtigkeit in der Migrationsgesellschaft einsetzt. Sie glaubt, dass Kinder Raum benötigten, um eigene Visionen für ihre Zukunft zu entwickeln.
Die Schule solle helfen, Kinder zu starken Persönlichkeiten zu entwickeln, die eine eigene Meinung hätten. Alles Dinge, die die Protagonistin auf ihrer Schule nicht erlebt. Den Schulen im Land mangele es an Ressourcen, kritisiert Kittlitz. Sowohl personell bei Lehrkräften und Schulsozialarbeit als auch in finanzieller Weise. Viel zu häufig fielen Stunden und in Teilen sogar ganze Tage aus, weil die Personaldecke zu dünn sei. Bildung müsse von der Politik endlich weiter oben priorisiert werden, um allen Kindern gleiche Chancen zu bieten.
Damit Bildungsgerechtigkeit gelinge, bräuchten die Lehrkräfte das Wissen über den Umgang mit der vorhandenen Heterogenität in den Klassen.
Kittlitz meint damit nicht die Migration, sondern die individuelle Verschiedenheit. „Wenn jede Person im Kleinen etwas verändert, kann man etwas Großes im Ganzen bewegen.“ Dazu brauche es motivierte Lehrerinnen und Lehrer mit der richtigen Haltung. Dabei dürfe man sie aber nicht allein lassen. Kittlitz wünscht sich deshalb Schulbegleitungen, Teamteaching und multiprofessionelle Teams.
Wie wichtig jede einzelne Lehrerin und Lehrer ist, verdeutlicht Ohde dann noch an einem Beispiel. In der Grundschule habe ihre Lehrerin angesichts ihrer ausgedachten Texte gesagt, „du hast einen richtigen eigenen Stil“. Das habe sie bestärkt. „Ich will nicht sagen, dass mich das geprägt hat, aber ich habe es mir bis heute gemerkt.“
Solche kleinen Ermutigungen hülfen Kindern. Und sie seien auch in der heutigen Zeit vonnöten, bemerkte Ohde. Bei ihrer Lesetour durch Frankfurt sei eine Schülerin auf sie zugekommen und habe gesagt, dass sie sich im Roman wiederfinden könne und wütend sei. Dass diese Wut sich in den Zeilen von „Streulicht“ manifestiert habe, habe ihr geholfen. Ohde schöpft Hoffnung daraus, dass nun Angehörige ihrer Generation Lehrerinnen und Lehrer sind und durch ihre eigenen Hintergrundgeschichten vielleicht ein besseres Verständnis für die Lebenswirklichkeit der Kinder haben.