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Frankfurt: Wer Kirche sucht, der findet

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Von: Peter Hanack

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Das Pax&People im Europaviertel. Wer will, trifft hier die Pfarrer Harald Stuntebeck (li.) und Matthias Weber. Kaffee gibt es auch.
Das Pax&People im Europaviertel. Wer will, trifft hier die Pfarrer Harald Stuntebeck (li.) und Matthias Weber. Kaffee gibt es auch. © Christoph Boeckheler

Weniger Mitglieder, weniger Präsenz? In Frankfurt probieren Katholiken und Protestanten Neues aus: zum Beispiel Pax&People im Europaviertel. Das Religiöse kommt dezent daher.

Eine riesige Theke, Barhocker drumherum, die Kaffeemaschine chromblitzend wie beim Nobelitaliener: Pax&People geizt nicht mit seinen Reizen. „Ob es wirklich eine so schöne Espressomaschine sein müsste, darüber gab es anfangs, als es um die Einrichtung ging, noch Diskussionen“, erzählt Pfarrer Harald Stuntebeck. „Aber guter Kaffee, der ist hier im Quartier nun mal wichtig“, fügt er an.

Das Pax&People liegt mitten im Europaviertel, Pariser Straße 68, direkt am Europagarten. Viel internationaler wird Frankfurt nicht mehr. 2017 hat das ökumenische Projekt hier begonnen, als allenthalben die feinen Wohnadressen rundum noch gen Himmel wuchsen. Inzwischen ist fast alles bezogen. Auf manchen Balkons stehen noch Umzugskartons, die meisten beschriftet in Sprachen, die auf eine weite Reise schließen lassen.

Open Office und Kaffee gratis

Wer es nicht besser weiß, könnte das inklusive Büros und Küche rund 120 Quadratmeter große ökumenische Ladencafé für einen Gastronomiebetrieb halten wie das Café gleich nebenan. Die ebenerdige Glasfront steht wortwörtlich für Transparenz, vor den Türen lädt eine Tafel zum „Open Office“ bei freier WLAN-Nutzung ein, an einem länglichen Tisch arbeitet ein junger Mann am Laptop, der Kaffee ist kostenlos. Und wer nicht möchte, der muss auch nicht reden.

Die offene Gestaltung ist Programm. Offen sein für alle Menschen, egal, welchem Glauben sie anhängen, woher sie kommen, wie lange sie bleiben. So soll Pax&People funktionieren.

Junger Stadtteil

„Wir sind hier mitten in einer Laborsituation, einem großen offenen Prozess“, sagt Pfarrer Matthias Weber, das evangelische Pendant zum Katholiken Stuntebeck. Ausprobieren, was Kirche den Menschen geben kann, da sein für das, was sie brauchen – darum soll es im Pax&People gehen, erklärt Stuntebeck, der das Projekt von Anfang an mitentwickelt hat, dessen Träger das Bistum Limburg, die Katholische Stadtkirche und das Evangelische Stadtdekanat Frankfurt sind.

Das Europaviertel ist ein junger Stadtteil. Nicht nur, was die Gebäude angeht. Hier leben viele junge Menschen, das Durchschnittsalter liegt bei 33 Jahren, in ganz Frankfurt sind es 41. Es gibt überdurchschnittlich viele Single-Haushalte. Viele Gutverdienende und viele, die nur auf der Durchreise zum nächsten Karriereschritt sind. Die Fluktuation ist hoch, da soll Pax&People eine verlässliche Anlaufstelle sein.

Jeden Donnerstag um 9.15 Uhr gibt es im Lichtraum, ein an das Foyer angrenzendes, in helles Holz gefasstes Karree, eine Viertelstunde Zeit der Stille und Meditation mit anschließendem Espresso. Weil Mütter aus dem Viertel sich das wünschten, hat Pax&People eine Krabbelgruppe eingerichtet. Regelmäßig wird international gekocht, hängen in wechselnden Ausstellungen Bilder an den Wänden.

Tiefgreifender Wandel

Der Kirche laufen die Gläubigen weg, die Zahlen sind dramatisch. Bis zum Jahr 2060 soll es in Hessen nur noch halb so viele Christen und Christinnen geben wie heute.

560 777 Katholik:innen lebten 2021 im Bistum Limburg. 2012 waren es noch 648 570 gewesen. 22,1 Prozent der Bevölkerung waren damit katholisch. 2012 lag der Anteil noch bei 27,2 Prozent. Die Zahl der Gottesdienstteilnehmer:innen ging von 73 236 auf nur noch 22 615 zurück.

Die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) zählte Ende 2020 genau 1 446 971 Mitglieder. 2019 waren es noch 1 483 767 Mitglieder, ein Rückgang um 2,5 Prozent.

Um auf die Veränderung zu reagieren, hat die EKHN ihre Dekanate neu geordnet. Ziel des vor 25 Jahren begonnenen Prozesses ist es, die Kirchenstruktur den sinkenden Mitgliederzahlen anzupassen. Am 1. Januar 2022 ist die tiefgreifende Strukturreform zu einem Ende gekommen. Aus den einstmals 61 Dekanaten sind in mehreren Stufen 25 geworden.

In Frankfurt hat am 1. Januar der Umbauprozess der katholischen Stadtkirche begonnen. Hintergrund ist eine groß angelegte Neustrukturierung im Bistum Limburg, der sogenannte Transformationsprozess (Trafo), bei dem unter anderem aus elf Bezirken fünf Regionen gebildet werden. Frankfurt wird damit eine der fünf Regionen im Bistum. pgh

Also einfach ein hübscher, kirchlich finanzierter Stadtteiltreff? „Ja, auch das“, sagt Weber. Schließlich gebe es im gesamten Europaviertel so gut wie keine öffentlichen Orte, keinen Saal, außer jenen im Altenheim. Doch wer in Pax&People Kirche sucht, der findet sie auch.

Da ist die Madonna mit Jesuskind, die auf einem Sims über der Kaffeemaschine steht, das dezent in die Wandvertäfelung eingelassene Kreuz im Lichtraum, dessen Hintergrundbeleuchtung sich ein- und ausschalten lässt. Subtil auch der religiöse Bezug mit den zwölf Stühlen am Esstisch, die an das letzte Abendmahl erinnern. Und natürlich die beiden Pfarrer Stuntebeck und Weber.

Glaube, Leben, Seelsorge

Lebensfragen, Glaubensfragen, Seelsorge – das gibt es ebenfalls im Pax&People. Ein Tischgebet vor gemeinsamen Mahlzeiten. Aber Religion steht nicht im Vordergrund. „Die Gespräche, sie ergeben sich oder auch nicht, es ereignet sich hier, aber niemand ist zu irgendetwas gezwungen“, sagt Stuntebeck.

„Wir müssen als Kirche eine Wahrnehmungsfähigkeit entwickeln für das, was die Leute wollen“, erklärt Weber. Es gehe um einen „Perspektivwechsel, bei dem wir nicht ankommen und behaupten, wir wüssten schon, was wichtig ist“. Bei Pax&People gehe es nicht ums Missionieren, nicht darum, neue Mitglieder für die Kirche zu gewinnen.

„Was wir hier haben, ist eher eine suchende Bewegung“, beschreibt es Stuntebeck. „Gott ist auch hier, im Europaviertel, gegenwärtig. Und wir sind auf der Suche, wie wir ihm begegnen können.“

Und danach, wie Kirche es schafft, den Menschen auch künftig zu begegnen – sogar in einer Stadt wie Frankfurt.

Siehe „Gott ist in der kleinsten Hütte: das Tiny House im Lyoner Quartier“

Gottesmutter und guter Kaffee sind mehr als nur Staffage im Pax&People.
Gottesmutter und guter Kaffee sind mehr als nur Staffage im Pax&People. © Christoph Boeckheler

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