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Frankfurt: Wenn es an der Grundversorgung mangelt

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Von: Timur Tinç

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Viele Eltern wie Aman Yohanness belasten die steigenden Preise für Lebensmittel und Energie. Christoph Boeckheler
Viele Eltern wie Aman Yohanness belasten die steigenden Preise für Lebensmittel und Energie. Christoph Boeckheler © christoph boeckheler*

Bei der Stiftung Arche können Kinder kostenlos Mittagessen. Weil bei immer mehr Familien das Geld wegen der hohen Inflation fehlt, werden für die Einrichtungen mittlerweile 20 bis 30 Portionen pro Tag mehr als sonst bestellt.

Die Schülerinnen und Schüler der Berthold-Otto-Schule stehen bei der Essensausgabe der Kinderarche diesmal besonders erwartungsfroh an. Es gibt Würstchen mit Pommes, welches Kind mag das nicht? Jeden Mittag gibt es bei der Kinderarche für die Sechs- bis Elfjährigen ein warmes Essen. Genauso wie wenige Meter weiter für die Jugendlichen zwischen zwölf und 17 Jahren, die in die Jugendarche Griesheim kommen. „Ein wichtiger Grundsatz bei uns ist, dass die Kinder essen dürfen, bis sie satt sind“, sagt Daniel Schröder, Leiter der Arche-Stiftung christliches Kinder- und Jugendwerk in Frankfurt.

Spätestens seit Anfang Mai und der stark angestiegenen Inflation haben er und seine Kolleginnen und Kollegen festgestellt, dass mehr Kinder und Jugendliche das Angebot der kostenlosen warmen Mahlzeit annehmen. Oder dass sie gleich mehrmals am Tag bei ihnen essen. „Manche Kinder kommen zum Essen, machen Hausaufgaben und essen dann nochmal“, erzählt Schröder. Für andere sei es die einzige Mahlzeit am Tag. Am Nachmittag gibt es noch Obst.

Neben den zwei Einrichtungen in Griesheim gibt es zwei weitere in der Nordweststadt. In jeder Arche werden seit einigen Wochen täglich 20 bis 30 Portionen mehr als sonst bestellt. „Das sind ungefähr 100 Essen am Tag mehr“, sagt Schröder. Pro Essen zahlt die Stiftung dem Caterer 3,20 Euro. Außerdem ist die Nachfrage nach Lebensmitteln gestiegen. Während der Coronavirus-Pandemie hat die Arche Lebensmittelspenden bekommen und bedürftigen Familien mitgegeben. „Es kommt aber nicht mehr so viel rein“, berichtet Schröder. „Wenn wir etwas bekommen, geben wir es auch raus.“

Schon Corona hat viele Familien, deren Kinder zur Arche kommen, vor massive Probleme gestellt. Väter und Mütter, die ihre Jobs verloren haben, Kurzarbeit oder gestiegene Energiekosten in der Zeit zu Hause. „Durch die Inflation tritt gar keine Entspannung ein, es wird immer nur noch schlimmer“, sagt Schröder. Der Unterschied zu der Zeit vor zwei Jahren sei, dass die Menschen damals noch gesagt hätten, sie würden es irgendwie hinkriegen, indem sie sparsam lebten. „Das hat sich total verändert“, berichtet Schröder. Bei vielen gehe es nun um die Existenz.

Die Arche

Seit 2010 gibt es den ersten Standort der Arche in Griesheim an der Berthold-Otto-Schule, ein Jahr später folgte das Kleine Zentrum in der Thomas-Mann-Straße in der Nordweststadt, 2014 dann eine Betreuung in der Erich-Kästner-Schule. 2017 kam die Jugendarche in Griesheim hinzu.

Die Arche finanziert sich fast nur aus Spenden. In Frankfurt belaufen sich die jährlichen Kosten auf rund 1,5 Millionen Euro. In jeder Arche gibt es drei bis vier Vollzeitstellen, zudem sind Ehrenamtliche, Praktikant:innen und FSJler:innen im Einsatz. FR

Spendenkonto der Arche Frankfurt: IBAN DE35 5004 0000 0313 2099 00 oder direkt über die Internetseite www.freunde-arche-ffm.de

Steigende Preise belasten

Aman Yohanness ist froh, dass sein 13-jähriger Sohn zur Arche gehen kann. „Er isst zwei bis drei Mal in der Woche hier“, sagt der alleinerziehende Vater. Der 48-Jährige arbeitet als Sicherheitsmitarbeiter bei einem großen Telekommunikationsunternehmen. Trotz seines festen Jobs seien die steigenden Preise „eine Katastrophe für mich“, erklärt der Äthiopier, der seit 20 Jahren in Deutschland lebt. Kürzlich hat er vom Frankfurter Energieversorger Mainova eine Nachzahlungsforderung für Strom in Höhe von knapp 380 Euro bekommen. Eine Ratenzahlung sei nicht möglich. „Wie soll ich das mit 1600 Euro netto schaffen?“, fragt er sich. Gleichzeitig wurden ihm die monatlichen Stromkosten um 32 Euro erhöht. Und der Käse, den Yohannes immer im Supermarkt um die Ecke kauft, kostet statt 1,70 Euro jetzt 2,50 Euro, Öl statt einem Euro nun vier Euro. Mehl, wenn es da ist, Wurst, Obst und Gemüse, alles ist teurer geworden. Manchmal esse er selbst nur ein Brot mit Butter zum Frühstück.

Yohanness sagt, er könnte es sich einfach machen: seine Arbeit aufgeben, zum Jobcenter gehen und irgendwo schwarz arbeiten. Das würden einige machen und hätten dadurch mehr Geld zur Verfügung als er. „Ich will das aber nicht. Ich habe meinen Stolz“, sagt er. Er will seinem Sohn, der aufs Gymnasium geht, ein Vorbild sein. „Ich will Gas geben für den Kleinen“, sagt er. „Wir essen drei Mal am Tag – Gott sei Dank.“ Dass er damit ein wenig abhängig von der Arche ist, löse in ihm schon ein Schamgefühl aus, gibt er zu. „Obwohl ich arbeite, schaffe ich es aber nicht.“ Er verdiene zum Leben, für mehr reiche es nicht. Das geht vielen Familien so, mit denen die Mitarbeitenden der Arche, drei bis vier Vollzeitkräfte sind es pro Einrichtung, konfrontiert sind. „Die Familien stehen unter Druck. Das kann man sich nicht vorstellen. Keiner weiß so richtig, wie es weitergehen soll“, sagt Schröder. Die Kinder hätten ein Sensorium dafür, dass etwas nicht in Ordnung ist. Die meisten wüssten sehr gut, wie die Situation zu Hause ist und sehen es am leeren Kühlschrank. Bei den Jugendlichen hat Schröder eine große Lethargie festgestellt. „Viele sind völlig antriebslos. Sie fragen sich: Wenn die guten Dinge wegfallen, warum soll ich mich dann für Schule aufraffen?“ Das habe eine sehr große Sogwirkung.

Arche bietet Ferienfreizeit

In ihren Einrichtungen will die Arche den Jugendlichen zumindest einen Teil der Sorgen nehmen. Neben Essen gibt es Hausaufgabenbetreuung. In der Kinderarche gibt es einen großen Spielraum mit Lego, Playmobil und allerlei Gesellschaftsspielen sowie andere Aktivitäten auf dem Schulhof. In der Jugendarche gibt es im Keller eine große Bühne mit Leinwand, wo man auch Playstation spielen kann. Darüber hinaus werden Ferienfreizeiten, wie Camping oder Kanufahren, angeboten. „Für viele ist das dann der einzige Urlaub im Jahr“, sagt Schröder.

Für ihn ist klar, dass die Politik die mittlere und soziale Unterschicht in einem Maß unterstützen müsse, dass es das Leben der Familien wieder lebenswürdig macht. „Es kann nicht sein, dass Kinder hungern müssen.“

In der Arche gibt es etwas Warmes zu essen und Hilfe bei den Hausaufgaben. CHRISTOPH BOECKHELER
In der Arche gibt es etwas Warmes zu essen und Hilfe bei den Hausaufgaben. CHRISTOPH BOECKHELER © christoph boeckheler*

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