Frankfurt: Weichen stellen gegen Rassismus

Podium im Haus am Dom fordert mehr gesellschaftliche Anstrengungen auf allen Ebenen. Weiter Kritik an Umgang mit Palmers Entgleisungen.
Es braucht tiefgreifende Veränderung an den hessischen Schulen, darin ist sich das Podium am Montagabend im Haus am Dom weitgehend einig. Eigentlich brauche es sie in der gesamten Gesellschaft. Der Kampf gegen Rassismus und Diskriminierung werde noch immer viel zu stiefmütterlich behandelt. Dabei ist der Vorfall, mit dem sich das Podium beschäftigt, schon ein bisschen her.
Im Frühjahr 2022 soll eine Schülerin an der Theodor-Heuss-Schule in Offenbach eine altertümlich übersetzte Rede von Martin Luther King vorlesen, in der das N-Wort vorkommt. Als sie sich weigert, zeigt die Lehrkraft kein Verständnis, lässt andere Schüler weiterlesen. Auch Beschwerden der Schülerin verhallen ungehört. Dabei trägt die Einrichtung das Siegel „Schule ohne Rassismus“.
Nach Auffassung des Podiums wäre der Vorfall eine gute Gelegenheit gewesen, das Siegel mit Leben zu füllen. Stattdessen: Schweigen. Schlimmer noch: Die Schule habe sich hinter dem Siegel verschanzt, um sich gar nicht mit dem Thema auseinandersetzen zu müssen, kritisiert die Offenbacher Stadtverordnete Hibba Kauser am Montag.
Neuen Schub bekommt die Debatte um den Gebrauch des N-Worts durch den viel kritisierten Auftritt von Tübingens OB Boris Palmer unlängst an der Frankfurter Goethe-Uni. Und durch den Versuch des gastgebenden Forschungszentrums Globaler Islam und seiner Direktorin Susanne Schröter, das Debakel kleinzureden.
Dabei sehen viele nicht Palmers Entgleisung als den eigentlichen Skandal an, sondern den Umgang damit. So attestiert Rüdiger Seesemann, Dekan an der Uni Bayreuth, der Direktorin „inakzeptables Gebaren“. Und nicht nur er: 212 Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler haben seine kritischen Stellungnahme unterzeichnet.
Vor der Konferenz habe sie öffentlich betont, Palmer sei kein Rassist – was dieser selbst spektakulär widerlegt habe, ätzt Seesemann. Bei der Konferenz hätten dann selbst Kritiker der vorgeblichen „Masseneinwanderung“ nach Deutschland ihrem Widerspruch Ausdruck verliehen. Schröter hingegen habe Palmers öffentliche Verwendung des N-Worts gebilligt.
Das sei zudem nicht das erste Mal, dass sie die Verbreitung diskriminierender, islamfeindlicher und rassistischer Ideologien unter dem Deckmantel der „objektiven Wissenschaft“ begünstigt habe. Schröters Forschungszentrum sei „zu einer Zumutung“ geworden. Sie nutze ihre akademischen Titel und ihre Position, um Wasser auf die Mühlen des Rechtspopulismus zu gießen.
Was zurück zum Podium im Haus am Dom führt. Rassismus ist an Schulen, Hochschulen und im öffentlichen Leben wohl längst nicht so geächtet, wie er eigentlich sein sollte. So berichtet die Frankfurter Stadtverordnete Mirrianne Mahn von ihrem vergeblichen Kampf, das N-Wort in der Stadt als rassistisch zu ächten. So geschehen in Metropolen, wie München, Köln, Kassel. Als innerhalb der Fraktion nach einen Kompromiss gesucht wurde, erst da sei sie wirklich wütend geworden. „Wie kann es bei Rassismus einen Kompromiss geben?“, habe sie entgeistert in die Runde gefragt.
Vielleicht hängt es an der Bildung. So fordert der Pädagoge Benjamin Ortmeyer auf dem Montagspodium eine Reform des Lehramtsstudiums. Die Studierenden müssten sich mehr mit der NS-Zeit, mit Kolonialismus und Antisemitismus auseinandersetzen. Hibba Kauser wünscht eine Reform des Siegels „Schule ohne Rassismus“, etwa die Möglichkeit, es abzuerkennen. Muhammed Hüseyin Simsek vom Kinder- und Jugendparlament Offenbach plädiert generell für mehr Mitspracherecht der jungen Menschen in Schulen.
Mirrianne Mahn fordert mehr gesamtgesellschaftliche Anstrengungen ein, vor allem in hierarchisch organisierten Räumen. Wenn Wohnungsmakler oder Supermarktpersonal sie diskriminiere, ärgere sie das. Aber nicht lange. Anders sei das beim Arzt, bei der Polizei oder in der Schule. Ihre Grundschullehrer etwa hätten ihr lediglich eine Hauptschulempfehlung ausgesprochen. „Das sind Dinge, die Weichen stellen für den Rest des Lebens.“
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