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Frankfurt: Vorerst kein Polizeichat-Prozess

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Von: Hanning Voigts, Stefan Behr

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Im ersten Polizeirevier gab es auch illegale Abfragen von Adressen und anderen Daten. Foto: Renate Hoyer
Im ersten Polizeirevier gab es auch illegale Abfragen von Adressen und anderen Daten. Foto: Renate Hoyer © Renate Hoyer

Im Skandal um die rechtsextreme Polizei-Chatgruppe „Itiotentreff“ lässt das Landgericht Frankfurt die Anklage nicht zu. Die Gruppe war wegen des „NSU 2.0“ aufgeflogen.

Das Landgericht Frankfurt hat die Anklage gegen die sechs mutmaßlichen Mitglieder einer internen Chatgruppe des 1. Polizeireviers nicht zugelassen. Sowohl Gericht als auch Staatsanwaltschaft bestätigten am Mittwoch entsprechende Berichte des HR und der „Frankfurter Allgemeinen Zeitung“, denen die bereits am 13. Februar von der 6. Großen Strafkammer gefällte, aber noch nicht rechtsgültige und offiziell nicht einsehbare Entscheidung vermutlich aus dem Dunstkreis des 1. Reviers zugespielt worden war.

Betroffen sind fünf Polizisten des 1. Reviers sowie die Lebensgefährtin eines der Beamten. Sie sollen von 2014 bis 2018 unter anderem in einer Chatgruppe mit dem recht sinnigen Namen „Itiotentreff“ rassistische, antisemitische und rechtsextreme Inhalte geteilt haben. So waren in dem Chat etwa Bilder von Adolf Hitler und rassistische Sprüche gegen Muslime zu sehen, aber auch eine menschenverachtende, sexualisierte Darstellung des syrischen Flüchtlingsjungen Alan Kurdi, der 2012 vor der türkischen Küste ertrunken war.

Die Chatgruppen wurden bei den Ermittlungen zum „NSU 2.0“ eher zufällig entdeckt, als die Ermittler Handys von Polizist:innen beschlagnahmten, die im Verdacht standen, dem damals noch anonymen Drohbriefschreiber die Adresse der Rechtsanwältin Seda Basay-Yildiz verraten zu haben. Die Staatsanwaltschaft hatte im April 2022 Anklage unter anderem wegen des Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen, Volksverhetzung und Besitzes und Verbreitung pornografischer Schriften erhoben.

Die Frage der Verbreitung

Genau in der Verbreitung steckt aber offensichtlich die juristische Crux. Die FAZ liest aus der Nichtzulassung, weil es sich um geschlossene Chatgruppen gehandelt habe, sei das für alle angeklagten Tatbestände notwendige Merkmal des „Verbreitens“ der Inhalte nicht erfüllt. Die Strafkammer beziehe sich auf die in Artikel 5 des Grundgesetzes garantierte Meinungsfreiheit. Eine Meinung per se dürfe nicht verboten werden, sondern nur die Art der Kommunikation, und um ein Verbreiten im strafrechtlichen Sinn handele es sich erst, „wenn der inkriminierte Inhalt einem größeren Personenkreis zugänglich gemacht wird“. Dieser müsse zumindest so groß sein, „dass er für den Täter nicht mehr kontrollierbar ist“. Das Versenden bloß innerhalb der Gruppe, die aus höchstens zehn Teilnehmern bestanden habe, reiche dafür nicht aus. Teilweise fielen die Inhalte sogar unter den strapazierbaren Begriff „Satire“ und seien daher von der Kunstfreiheit gedeckt.

Gegen den Nichteröffnungsbeschluss hatte die Staatsanwaltschaft unmittelbar Beschwerde beim Oberlandesgericht (OLG) eingelegt. Das OLG wird nun entweder den Beschluss des Landgerichts bestätigen oder aber die Anklage zulassen und damit eine Hauptverhandlung ermöglichen. Nadja Niesen, Pressesprecherin der Staatsanwaltschaft, bezeichnete am Mittwoch die Auffassung des Landgerichts als zumindest „nicht völlig abwegig“. Bei der Frage, ab welcher Teilnehmergröße man von einer „Verbreitung“ ausgehen könne, gebe es juristisch „keine klare Definition“, sagte Niesen

Das alles gilt freilich nur für das Strafrecht. Die Frage, ob Polizeibeamte mit einer solchen Meinung, ob sie sie nun im juristischen Sinne verbreiten oder auch nicht, weiterhin im Polizeidienst tragbar sind, ist eine Entscheidung, die die Behörde selbst treffen kann. Hessens Innenminister Peter Beuth sagte dazu am Mittwoch bei einer Pressekonferenz in Wiesbaden, die Frage der Zulassung einer Anklage sei „eine Entscheidung der unabhängigen Justiz“. Die Inhalte der Chats seien in jedem Fall „völlig inakzeptabel“ und hätten keinen Platz bei der hessischen Polizei.

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