Frankfurt kriegt die Krise

Eine Ausstellung im Senckenberg-Museum in Frankfurt widmet sich Wesen und Sinn der weltweiten Konflikte: von der Klimakrise bis zum Verfall der liberalen Ordnung.
- „Making Crises Visible“ im Senckenberg-Naturmuseum in Frankfurt
- Ausstellung läuft vom 12. Februar bis zum 2. Juni
- Sorge um den Planeten treibt die Partner um
Mitunter kommt sie ganz unverhofft, die Krise: Eine Delegation der Hochschule für Gestaltung (HfG) wurde mitten in der heißen Vorbereitungsphase aufgehalten – in China. Coronavirus-Alarm. Flüge gestrichen. So standen vorige Woche einige modische Plastikkreationen im Senckenberg-Museum etwas einsam herum. Aber jede Krise endet einmal, die Ausstellung war nie in Gefahr.
„Making Crises Visible“ heißt das ganz große Gemeinschaftsprojekt der Forschenden und Kunstschaffenden: Krisen sichtbar machen. Wie lässt sich das bewerkstelligen? Xinyu Chen, Chunhua Chen und Tania Felske haben ihr Projekt für die Schau, eines der spektakulärsten unter 50 Kunstwerken, von langer Hand vorbereitet. Beinahe ein Jahr lang sammelten sie, was ihnen in die Hände fiel, Plastik aus dem Haushalt, aus der Uni, sie hoben Plastikmüll sogar von der Straße auf – und formten in aufopferungsvoller Kleinarbeit ein riesenhaftes Kunstwerk daraus: die „Plastikoralle“, nur echt mit einem einzelnen k in der Mitte.
Plastikmüll zerstört die verletzliche Natur
„Wunderbare Wechselwesen“ heißt das Werk. „Der Begriff passt auf die Koralle wie aufs Plastik“, sagt Tania Felske, während sie und die Kolleginnen mit Schere und Tacker hübsche Gebilde aus Chipstüten und Waschmittelflaschen basteln, um sie in ein überwältigend buntes, metergroßes Kunststoffgewächs einzufügen. Blumentiere nennt man Korallen auch. „Das Meer wird immer mehr zugemüllt“, sagt Tania Felske, „Organismen ersticken.“ Der unverwüstliche Plastikmüll zerstört die verletzliche Natur.
Exakt an der Stelle, an der sich das HfG-Krisenkunstwerk ausbreitet, wird einst im neugestalteten Senckenberg-Museum tatsächlich ein Korallenriff stehen, Herzstück der künftigen Meeresabteilung. Selten trafen sich bislang Kunst und Wissenschaft so unmittelbar – in jüngerer Zeit jedoch fällt auf, wie offen die Frankfurter Naturforscher für solche Kooperationen sind. Gerade erst sorgte eine Ausstellung beim Frankfurter Kunstverein für Aufsehen, zu der die Senckenberger etwa einen Milliarden Jahre alten versteinerten Baumstamm beisteuerten: „Trees of Life“.

Es ist die Sorge um den Planeten, die die Partner umtreibt. „Für uns Wissenschaftler ist interessant: Was sind die großen Bedrohungen?“, sagt Katrin Böhning-Gaese aus dem Senckenberg-Präsidium. Und nennt an erster Stelle den Wandel in der Landnutzung durch den Menschen, der die enormen Verluste der biologischen Vielfalt verursacht. „Plastik ist da eher unter ferner liefen“, sagt die Direktorin des Senckenberg-Biodiversitäts- und Klimaforschungszentrums, „aber das Thema erreicht eine hohe Aufmerksamkeit.“
Die Naturforscherin sieht die Suche nach Lösungen für die aktuellen Umweltkrisen im Mittelpunkt – den Zugang dazu ermögliche die Kunst, freut sie sich.
„Wir können das Ruder noch herumreißen, wenn wir sofort auf allen Ebenen anfangen“, ist sich Böhning-Gaese sicher. Von „Fünf-vor-zwölf-Rhetorik“ hält sie nichts: „Wir haben keine Zeit für Schuldzuweisungen – wir brauchen die große Transformation, alle gemeinsam!“ In der Krisenausstellung ist die „Plastikoralle“ der HFG ihr Lieblingswerk: „Super, die Ästhetik und der Einsatz der Studierenden.“
„Elefanten-App“ zur Rettung der Dickhäuter
Die Offenbacher Gestaltungshochschule hat Herausragendes geleistet, fast drei Semester lang an der Ausstellung gearbeitet, beim Speed-Dating mit Forschern die Sinne geschärft, immer wieder in Meetings die Schwerpunkte erarbeitet und verfeinert. Jetzt sieht man etwa Donald Trump mit erhobenen Daumen, aber auch Merkel, Macron, viele andere Staatschefs in Siegerpose. Die Installation wird die politischen Pappkameraden ganz nahe an ihre Opfer bringen: zu den vom Aussterben bedrohten Säugetieren, die das Naturmuseum zeigt. Ein Diorama von Felix Werner („Making Pollution Visible“) füllt Raum mit Müll, Sinnbild unserer Zeit. „Alle Arbeiten lassen sich auf das Verhältnis von Mensch und Umwelt zurückführen“, sagt Ellen Wagner, die das Projekt an der Seite von Felix Kosok für die HfG mitkonzipiert hat.
Eine „Elefanten-App“ zur Rettung der Dickhäuter in der Ausstellung kommt erstaunlicherweise nicht von den Künstlern, nicht von den Biologen, sondern von den Sozialwissenschaftlern der HSFK. „Uns interessiert Grundlagenforschung, aber wir wollen unsere Erkenntnisse auch in der Gesellschaft nutzbar machen, dort, wo wir denken, da müsste was passieren“, sagt HSFK-Geschäftsführerin Nicole Deitelhoff. „Die Elefanten-App hat ihr eigenes Publikum und kann da tatsächlich etwas bewirken.“ Es wäre der „charismatischen Megafauna Elefant“ (Ellen Wagner) zu wünschen – und macht die Ausstellung noch spannender.

„Making Crises Visible“: Ausstellung im Senckenberg-Museum in Frankfurt
„Making Crises Visible“ (deutsch: Krisen sichtbar machen) läuft vom 12. Februar bis zum 2. Juni im Senckenberg-Naturmuseum in Frankfurt. Zu sehen sind 50 künstlerische Arbeiten zum Thema, dazu kommen Veranstaltungen, Vorträge, Diskussionen.
An dem Projekt sind ganz unterschiedliche Partner beteiligt, darunter der Leibniz-Forschungsverbund „Krisen einer globalisierten Welt“, die Hessische Stiftung Friedens- und Konfliktforschung (HSFK), die Hochschule für Gestaltung (HfG), die Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung und die Goethe-Uni. Schirmherrin ist Hessens Wissenschaftsministerin Angela Dorn (Grüne).
Die Kunst, überwältigend in Anzahl und Kreativität, zeigt Krisensymptome vom bedrohten Tier bis zum Schildermeer der Demonstrationen, vom genmanipulierten Reis über die Maschinenpistole aus dem 3-D-Drucker bis zu Nahrungsmitteln aus Geldscheinen, die man nicht essen kann – Skulpturen, Bilder, Filme, Hörspiele.
Den theoretischen Überbau liefern Saaltexte über die Krisen der Welt, beigesteuert von Fachleuten aus allen Forschungsgebieten. Es geht um Klima, Radikalisierung, Räume, Gerechtigkeit und immer um die entscheidende Rolle des Menschen in der nach ihm selbst benannten Epoche, dem Anthropozän.
Das Programm, Informationen zum Projekt und Standpunkte der Fachleute unter makingcrisesvisible.com. ill