Frankfurt: Prozess wegen Abseilen

Klimaaktivistinnen und -aktivisten müssen sich vor dem Amtsgericht verantworten, weil sie sich für den Dannenröder Forst von einer Fußgängerbrücke über die A661 abgeseilt haben. Im Prozess sorgen sie für allerlei Trubel.
Wald schützen ist kein Verbrechen“, steht auf einem Transparent der Demo, die am Freitagmorgen den Amtsgerichtsprozess ante portas begleitet. Diese Aussage ist korrekt. Das Amtsgericht mit dem Kasperletheater zu verwechseln, ist auch kein Verbrechen. Anderen Menschen die Zeit zu stehlen, ist auch kein Verbrechen – leider.
Zu den fünf angeklagten Personen lässt sich nicht viel sagen. Sie selbst machen auch keinerlei Angaben. Eine verteidigende Person stellt sehr früh den Antrag, dass in diesem Prozess ausschließlich geschlechtergerechte Sprache verwendet werden dürfe, da „nicht alle hier binär“ seien. Dem Antrag wird stattgegeben. Die fünf angeklagten Personen fühlen sich offensichtlich recht jung. Das muss genügen.
Angeklagt sind die fünf wegen Nötigung. Nötigung ist kein Verbrechen, sondern juristisch betrachtet nur ein Vergehen, und zwar im konkreten Fall dieses: Am 26. Oktober 2020 seilen sich die fünf klimaaktiven Personen von einer Fußgängerbrücke über die A661 bei Oberrad ab, um gegen die Rodung des Dannenröder Forstes zu protestieren, was zu Stau und stockendem Verkehr führt.
Keine große Sache, möchte man meinen. Aber es lässt sich natürlich eine draus machen. Zu Verhandlungsbeginn machen die angeklagten Personen von ihrem Recht Gebrauch, ein bis zwei Personen aus dem Publikum zusätzlich zu den verteidigenden Personen als Beistand auf die Anklagebank zu bitten. Auf der wird es daraufhin sehr eng, was zu Stühlerücken und Tischeschieben führt.
Schnell bilden sich zwei Fraktionen: Die Angeklagtenseite fordert Freiheit für alle Möbel, das Justizpersonal beharrt auf einer konservativen Sitzordnung und der Freihaltung eines Fluchtwegs. Schließlich wird der Prozess aus Platznot in den Hochsicherheitssaal I verlegt, der eigentlich eher für Mord und Totschlag genutzt wird.
Dort werden erst einmal Anträge gestellt. Die Anträge der professionellen verteidigenden Personen sind formaljuristisch wohlformuliert, aber schlampig gegendert. So wird in einem etwa beklagt, die Medien denunzierten „Klimaaktivist:innen als Ökoterroristen“. Die Anträge der begleitenden Laien sind juristischer Unfug, aber von ergreifender Geschlechtergerechtigkeit. Abgelehnt werden so ziemlich alle.
Zur Sache äußern wollen sich die angeklagten Personen nicht, dafür darf jede ein selbst gemachtes Referat über ein Thema, das ihr am Herzen liegt, vortragen. Für jedes davon gibt es Szenenapplaus aus dem Publikum, was normalerweise bei Gericht streng verboten, aber diesmal geduldet wird.
Überhaupt ist die richtende Person mit ihrer überraschenden Rolle als Gaststar der Muppet Show etwas überfordert. Das wird deutlich, als eine angeklagte Person in ihrem Vortrag erläutert, sie halte Gerichte für „widerliche, ekelhafte Scheißmaschinen, die täglich Menschenleben zerstören“, sie „verachte dieses Scheißsystem zutiefst“ und würde jetzt gerne gehen, wenn’s recht wäre.
Anderswo gäbe es für so etwas Schimpfe und Ordnungsgeld, hier bittet die richtende die pöbelnde Person nach etwas Bedenkzeit lediglich, doch noch ein bisschen zu bleiben,.
Bisher sind zwei weitere Verhandlungstage angesetzt. Selbst hoffnungslos optimistische Personen bezweifeln, dass die ausreichen. Erfahrene Prozessbeobachtende rechnen vielmehr nicht mit einem Urteil vor der Klimaapokalypse.
Wobei das Ende eh schon klar ist. Denn laut einer angeklagten Person „gewinnt am Ende immer der alte weiße Mann“. Und die einzige Person im großen Saal, die äußerlich als solcher gelesen werden kann, findet sich aufseiten der verteidigenden Personen.