„Ich bin ein Opfer von Polizeigewalt in Deutschland“

Derege Wevelsiep aus Frankfurt wirft der Polizei rassistische Gewalt vor. Seine Geschichte beginnt mit einer Fahrkartenkontrolle und endet mit verlorenem Vertrauen.
- Derege Wevelsiep aus Frankfurt wirft der Polizei rassistisch motivierte Gewalt vor
- Nach einer Fahrkartenkontrollen in Bornheim soll er geschlagen und beleidigt worden sein
- Schwarzsein in Deutschland: Wevelsiep hat das Vertrauen in Staat und Polizei verloren
Frankfurt – Da, wo es passiert ist, sieht alles noch so aus wie damals. Der Bahnsteig in der U-Bahn-Station Bornheim Mitte, auf dem sich der schwarze Deutsche Derege Wevelsiep im Oktober 2012 von einer Kontrolleurin anhören musste, er sei hier „nicht in Afrika“. Der Lift, in dem er mit den Polizisten nach oben fuhr. Die Bäckerei an der Ecke Berger Straße/Saalburgstraße, in deren Nähe die Beamten ihre Autos geparkt hatten. Dort sei er beleidigt und geschlagen worden – so erzählt es Derege Wevelsiep weiterhin.
Frankfurt: Freispruch nach Anklage wegen rassistischer Polizeigewalt
An seiner Darstellung des Geschehens hat sich nach dem Urteil des Landgerichts Frankfurt, das im Juni 2016 fiel, gar nichts geändert. Das Gericht hatte einen Polizisten zu 1400 Euro Geldstrafe verurteilt – allerdings nur wegen Beleidigung. Der Mann hatte Wevelsiep als „dummen Schwätzer“ bezeichnet. Vom Vorwurf der Körperverletzung sprach das Landgericht den Polizisten frei. In erster Instanz war er deswegen verurteilt worden. Doch das Landgericht entschied „in dubio pro reo“ für den Beamten. Sie sage nicht, dass Wevelsiep gelogen habe, erklärte die Richterin damals. Doch ein Gutachten ließ mehrere Möglichkeiten zu, wie sich der heute 48-Jährige seine Verletzungen am Kopf zugezogen haben könnte. Eine nicht unwahrscheinliche ist, dass er nicht geschlagen wurde, sondern sich beim Einsteigen ins Polizeiauto den Kopf gestoßen hat.
Für die Justiz ist die Geschichte damit abgeschlossen. Weder Staatsanwaltschaft noch Verteidigung legten Rechtsmittel gegen das Urteil ein. Für Wevelsiep hingegen ist gar nichts vorbei. Lange hatten seine Eltern und er überlegt, in Revision zu gehen. Manchmal hadert er mit sich, dass er es nicht getan hat. „Ich bin ein Opfer von Polizeigewalt in Deutschland“, sagt er klipp und klar. Aber damals konnte er einfach nicht mehr. Das Verfahren hatte Wevelsiep zermürbt, er wollte den Angeklagten nicht mehr sehen und auch die Zeugen nicht, zumeist andere Polizisten, die bedenkliche Auftritte hingelegt hatten. Es sei ihnen wohl in erster Linie darum gegangen, ihren Kollegen zu entlasten, stellte die Richterin seinerzeit fest. Und schließlich ging es Wevelsiep auch ums Geld. Das Verfahren, bei dem er als Nebenkläger aufgetreten war, hatte seine Familie mehrere Tausend Euro gekostet.
Frankfurt: Wevelsiep hat nach Vorfall Vertrauen in Polizei verloren
So bleibt Wevelsiep nur, seine Version der Geschichte zu erzählen. Er drängt sich den Medien nicht auf. Aber wenn sich wie jetzt gerade die Journalisten anlässlich der Black-Lives-Matter-Bewegung an den Fall erinnern, sagt er nicht Nein. Dann berichtet er, wie die Fahrkartenkontrolle eskalierte. Im Kern ging es um die Frage, ob man ein Ticket weitergeben darf. Die Kontrolleurin machte ihren rassistischen Spruch, Wevelsiep antwortete, man sei auch nicht mehr im Jahr 1942. Die Kontrolleure wollten die Polizei rufen, Wevelsiep hielt das für eine gute Idee, „weil ich ja beleidigt wurde und weil ich damals noch Vertrauen in die Polizei hatte“. Die Beamten kamen und seien ihm gegenüber sofort feindlich eingestellt gewesen, sagt Wevelsiep. Die Situation wurde immer hektischer, schließlich wollten ihn die Polizisten in seine Wohnung in Preungesheim fahren, wo sein Ausweis lag. Am Auto hätten sie ihn gefesselt und geschlagen, beteuert Wevelsiep. „Ich lag drei Tage im Krankenhaus, ich war eine Nacht auf der Intensivstation, meinen Sie, die hätten mich aus Spaß in der Klinik behalten?“, fragt er.
Gut geht es Derege Wevelsiep knapp acht Jahre nach dem Vorfall nicht, das sieht man ihm an. Er hat das Vertrauen verloren. In den Staat, insbesondere in die Polizei. Würde er jetzt auf der Straße ausgeraubt, würde er keine Anzeige erstatten, sagt er. Zu groß sei die Scheu vor den Beamten. Wobei, vor ein paar Monaten, als er beruflich in Hamburg war, habe er seine Brieftasche verloren. Da musste er den Verlust unbedingt bei der Polizei melden und tat das auch. Allerdings bat er einen Kollegen, mit zur Wache zu kommen.
Schwarzsein in Deutschland: Frankfurter schöpft nach Demos gegen Polizeigewalt Mut
Immer wieder fragt sich Wevelsiep, ob er Deutschland nicht verlassen sollte. Ob es nicht besser wäre, nach Äthiopien zu ziehen. In das Land also, das er 1990 als Flüchtling verließ, nachdem sein Vater – übrigens ein Polizist – ermordet wurde. Aber dann fragt er sich, was seine beiden Söhne in Äthiopien sollen. Sie wurden in Deutschland geboren, haben hier ihre Freunde, sie wollen hier leben. Wevelsiep wirkt unschlüssig.
Immerhin, die Demonstrationen gegen Polizeigewalt und Rassismus, „die machen mir Mut“, sagt er. Ab und zu erkennt ihn jemand und spricht ihn an. Meistens bekommt er dann zu hören, er könne stolz auf sich sein. Er habe Polizeigewalt öffentlich gemacht, er habe es geschafft, dass ein weißer Polizist auf der Anklagebank sitzt, weil er einen Schwarzen geschlagen haben soll. Seine Ängste werden dadurch nicht weniger.
Derege Wevelsiep aus Frankfurt: „Wenn mein Sohn Polizist wird, drehe ich durch“
Doch kleingekriegt hat man ihn nicht. Vor einiger Zeit fuhr Wevelsiep im ICE von Straßburg nach Frankfurt. Plötzlich seien Polizisten in den Waggon gekommen. Nur von einem Passagier hätten sie den Ausweis verlangt – von ihm. Ein klassischer Fall von Racial Profiling. Wevelsiep weigerte sich, andere Fahrgäste solidarisierten sich, die Polizisten zogen unverrichteter Dinge ab.
Das Gespräch mit Derege Wevelsiep in dem Café unweit der besagten U-Bahn-Station Bornheim Mitte dauert jetzt schon länger als eine Stunde und muss langsam enden. Sein zehnjähriger Sohn möchte auch noch Zeit mit ihm verbringen. Kürzlich hat sich Derege Wevelsiep mal gefragt, was er eigentlich täte, wenn sein Sohn Polizist würde. „Dann drehe ich durch“, sagt er.
Von Georg Leppert
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