Frankfurt: Nachschlag nach der Schießerei im Allerheiligenviertel
Gerichtsprozess wegen Überfall auf Pizzeriagäste mit Beigeschmack von Familientreffen
Gürsel, Baris und Mahir S. stehen am Montagmorgen wegen gefährlicher Körperverletzung vor dem Amtsgericht. Am Abend des 5. August 2021 sollen sie laut Anklage zwei Männer im Außenbereich einer Pizzeria im Ostend überfallen, mit Fäusten und einem Stuhlbein zu Boden geschlagen und dort auf sie eingetreten haben. Zudem sollen sie einen Kellner, der dies nicht dulden wollte, verprügelt haben. Der eine Gast erlitt einen Bruch des Ringfingers, der andere eine Kopfplatzwunde und Prellungen. Am schlimmsten erwischte es den Kellner, der wegen einer Fraktur der Augenhöhle operiert werden musste.
Nun ist es so, dass Gürsel (30), Baris (27) und Mahir (31) allesamt Mitglieder einer Großfamilie sind. Und zwar einer solchen, wie Karl Kraus sie im Kopf gehabt haben mag, als er einst so schön formulierte: „Das Wort ,Familienbande‘ hat einen Beigeschmack von Wahrheit.“ Laut Zentralregister haben die drei einen bunten Strauß von Delikten im Portfolio, von Sufffahrt und Unfallflucht über Verstöße gegen das Waffengesetz, Bedrohung, Körperverletzung, Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte bis zu Vorenthalt von Arbeitsentgelt.
Familienhobbys, könnte man meinen, immerhin gilt Familie S. als eine der beiden Parteien in der von manchen als „Clankrieg“ bezeichneten Auseinandersetzung zweier Gruppierungen mit beschränkter Gesetzestreue aus dem Gallus beziehungsweise Allerheiligenviertel. Höhepunkt war bislang der Überfall auf einen von Familie S. betriebenen Kiosk im Januar 2021, bei dem auch scharf geschossen wurde, für den einige der Angreifer im November vom Landgericht zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt worden waren und der eine ganze Reihe kleinerer Scharmützel nach sich zog.
So wohl auch dieses. Baris S. gibt zu, ein wenig rumgeprügelt zu haben, weil man geglaubt habe, die beiden Überfallenen „hätten irgendwas mit einem Überfall auf einen Kiosk oder so“ zu tun. Gürsel gibt immerhin zu, dabeigewesen zu sein, aber nur so zum Gucken, nicht zum Mitmachen. Mahir sagt, er habe daheim an der Konsole gedaddelt, Fifa, er schwöre.
Mit der Wiedererkennung tun sich manche Zeugen schwer. Keiner hat nach eigenen Angaben je von Familie S. gehört, und ob die Angeklagten mit den Angreifern identisch sind, wissen auch nicht alle so genau. Deren Aussehen beschreibt ein Zeuge so: „Das Übliche: Bart, kurze Haare, sportlich gekleidet.“ Das aber trifft nicht nur auf die Angeklagten zu, sondern auch auf alle Familienmitglieder im Publikum, die optisch so divers wirken wie die Wilde 13 der Augsburger Puppenkiste. Das mag an den Genen liegen oder am Barber oder an beidem. Oder an der sportlich-legeren Kleidung.
Interessant ist die Aussage eines Zeugen, der sagt, dass nach der Schlägerei einer der Polizisten vor Ort zu einem Kollegen gesagt habe, man solle alle Mitglieder der Familie S. „in einer Reihe aufstellen und in den Kopf schießen“. So was gehe natürlich gar nicht, sagt der Amtsrichter und verurteilt stattdessen Gürsel zu zehn und Baris neun Monaten Freiheitsstrafe auf Bewährung, Mahir wird freigesprochen.
Diese Schlacht wäre also auch geschlagen. Aber der Krieg, oder wie immer man das nennen will, geht natürlich weiter.