Frankfurt: Mahnwache am Mainufer

Tausende gedenken am Samstag der im Frankfurter KZ Katzbach ermordeten Zwangsarbeiter
Nahe dem Eisernen Steg steht ein Mann. Er steht da nicht herum, um sich an dem sonnigen Frühlingssamstag zu ergötzen, sondern er steht da aus einem guten Grund. Den verrät das Pappschild, das er vor dem Bauch trägt: „Ich stehe hier für Ryszard Mankus“, im Alter von 27 Jahren von den Nazis ermordet und zuvor Gefangener im Konzentrationslager Katzbach, mitten in Frankfurt.
Und damit steht er nicht alleine. 1616 Menschen aus Frankfurt und dem Umland stehen mit ihm, bilden am Nachmittag eine Menschenkette am nördlichen Mainufer von der Friedens- bis zur Flößerbrücke. Sie alle tragen selbst gemachte Schilder, die namentlich der 1616 in das Konzentrationslager in den ehemaligen Adlerwerken verschleppten Menschen gedenken. Viele von ihnen haben sich wochenlang mit dem Menschen beschäftigt, dessen Namen sie da tragen, einige sogar dessen Beruf oder einstigen Wohnort recherchiert.
Lange war das KZ Katzbach ein blinder Schandfleck in der Frankfurter Stadtgeschichte. Im August 1944 war es auf dem Gelände der Adlerwerke im Gallus in Betrieb genommen worden. Von der SS wurde das KZ in den rüstungsrelevanten Adlerwerken mit insgesamt 1616 Zwangsarbeitern versorgt - die meisten von ihnen beim Warschauer Aufstand festgenomme Polen.
Nur die wenigsten von ihnen überlebten. Im März 1945 wurde das KZ „evakuiert“. Mehr als 500 Gefangene, die zu schwach zum Marschieren waren, wurden in plombierte Güterwaggons gepfercht und nach Bergen-Belsen verfrachtet. Viele überlebten die Fahrt nicht.
Wenige Tage später wurden 350 weitere Häftlinge auf den „Todesmarsch“ geschickt. Sie mussten über Hanau, Schlüchtern und Fulda nach Hünfeld marschieren. Die 280, die den Marsch überlebten, wurden wieder in Waggons von Buchenwald nach Dachau verfrachtet - das etwa 40 von ihnen lebend erreichten. Die Befreiung Frankfurts am 28. März 1945 kam für die KZ-Häftlinge in den Adlerwerken jedenfalls zu spät. Auf dem Frankfurter Hauptfriedhof liegen mehr als 500 in Frankfurt ermordete KZ-Häftlinge - lange Zeit unter der Scharade „polnische Soldaten“.
Wenn man das alles weiß, dann wirken einige Szenen an diesem sonst doch so sonnigen Samstag ziemlich gruselig. Etwa die am Eisernen Steg stehende Installation der Künstlerin Ulrike Streck-Plath, die aus in Lumpen gehüllten Metallgestellen besteht, die an den Todesmarsch nach Hünfeld erinnern sollen. Etliche von denen werden immer wieder durch starke Windböen umgeblasen und von hilfsbereiten Passanten wieder aufgerichtet - die vermutlich gar nicht ahnen, wie schrecklich symbolisch das alles ist. Ebenso wenig weiß vermutlich der Straßenmusiker, der ukrainebeflaggt ausgerechnet die traurige Titelmelodie aus „Titanic“ namens „My heart will go on“ bläst, dass dies angesichts der Gedenkveranstaltung eine ganz besondere Note hat. Immer wieder fragen Spaziergängerinnen und Spaziergänger die Teilnehmer:innen, was für eine tiefere Bewandtnis denn diese Aktion habe - und sind dann über die Antworten bass erstaunt. Ein Konzentrationslager? Mitten in Frankfurt? Das gab’s doch gar nicht.
Diese Antwort hat Lothar Reininger, ehemaliger Betriebsratsvorsitzender der Adlerwerke und Vorstand der Initiative „Leben und Arbeiten in Gallus und Griesheim“ (LAGG), wohl schon hundertfach gehört. In seiner Rede, die wie die anderen auch am Mainufer über Lautsprecher und einen eigens eingerichtetet Youtube-Kanal übertragen wird, erzählt er Geschichten, die einem die Haare zu Berge stehen lassen.
Etwa die von dem Gedenkstein, den die seit Jahren gegen das Vergessen kämpfende LAGG 1997 an dem Massengrab auf dem Hauptfriedhof aufstellte. Ausgerechnet der grüne Umweltdezernent Tom Koenigs verhinderte, dass darauf auch an die Verantwortlichkeit der Dresdner Bank, damals eine der Hauptaktionäre der Adlerwerke, erinnert wurde. Erst später wurde der Initiative gestattet, den Text zu ergänzen. Er lautete so: „Hier ruhen 528 Menschen … Sie starben mitten in Frankfurt, unter Verantwortung von SS, Geschäftsleitung, Dresdner Bank und Stadt … Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch.“