Frankfurt: „Männer kommen oft gar nicht mehr vor“

Ein spannender Abend über die Sprache: Die „Frankfurter Hausgespräche 2022“ haben begonnen. Es geht auch ums Gendersternchen.
Frankfurt - In Berlin, wo Kathrin Kunkel-Razum öffentliche Verkehrsmittel zu nutzen pflegt, kündigt die Ansage neuerdings Ber nau an, nicht mehr Ber nau , Betonung auf der ersten statt der zweiten Silbe. Frankfurterinnen und Frankfurter kennen das: Als hier 2019 die Ansagen automatisiert wurden, gab es plötzlich eine Schwan tha lerstraße und der Ausstieg war fortan in Fahrt richtung rechts. Duden-Chefredakteurin Kunkel-Razum zeigt mit dem Berliner Beispiel: Sprache gehört niemandem, Sprache verändert sich.
Aber ist das gerecht? „Soll, muss und kann Sprache gerecht sein?“, lautet der Titel der Reihe „Frankfurter Hausgespräche 2022“. Am ersten von vier Abenden ging es viel ums Gendern, um Sichtbarkeit, die sich durch Sprache herstellen lässt, aber auch um Philosophie.
„Wie weit prägt uns die Sprache?“, fragt Roland Kaehlbrandt, Vorstandsvorsitzender der Stiftung Polytechnische Gesellschaft, seine beiden Gäste. „Es gäbe die Welt gar nicht, ohne dass sie sprachlich vermittelt würde“, so weit geht der Journalist und Schriftsteller Thomas Steinfeld: „Die Welt nimmt erst Ordnung an, wenn die Sprache sie erfasst.“ Aber nicht auf Dauer. Konsequent fielen wir hinter alle philosophischen Errungenschaften zurück: „Alle 30 Jahre fängt die Diskussion von vorne an“, sagt der frühere Kulturchef der „Süddeutschen Zeitung“, die Diskussion, was die Sprache darf. Und er verwendet etwa eine Redewendung wie „Jedem das Seine“ ganz unbefangen.
„Frankfurter Hausgespräche 2022“: Und das Gendersternchen?
Was aber ist mit dem Gendersternchen? Ein Zuhörer im Saal klagt: „Das Sternchen stellt die Heterosexualität infrage, die es seit Jahrtausenden gibt.“ Die Pause, die in die gendergerecht gesprochene Sprache Einzug gehalten hat, nämlich jene zwischen „Lehrer“ und „innen“ sei zudem häufig „nicht lang genug“, moniert der Kritiker: „Ich und die anderen Männer kommen oft gar nicht mehr vor.“
Die „innen-Pause“ sei dem Deutschen immanent, hält Steinfeld fest, etwa in „be-obachten“. Mit Freude höre er übrigens die Abkürzungen „LuLs“ und „SuS“ – für „Lehrerinnen und Lehrer“ sowie „Schülerinnen und Schüler“.
Die Menschen wissen sich zu helfen. Wie geht der Duden damit um? In der jüngsten Ausgabe, jener von 2020, sei alles, wie es war bezüglich der Geschlechter, sagt Kathrin Kunkel-Razum. Online jedoch, wo die Rechtschreibbibel weitaus mehr Begriffe verzeichne, gebe es für jeden männlichen Eintrag auch eine Seite, die die weibliche Form enthalte. Aber: Jene weiblichen Seiten hätten Angaben enthalten wie „Influencerin – weibliche Form zu Influencer“. Kam nicht sehr gut an. „Also haben wir im Herbst beschlossen, auch diese 12 000 Seiten zu Vollartikeln zu machen“, berichtet Kunkel-Razum. „Der Knackpunkt ist: Hinter Influencer, Arzt, Lehrer steht: männliche Person.“
„Frankfurter Hausgespräche 2022“: Frauen sind nicht mehr mitgemeint
Ob das generische Maskulinum überhaupt noch eine Funktion habe, fragt Roland Kaehlbrandt, ob also „Fragen Sie Ihren Arzt oder Apotheker“ noch so verstanden werde, dass Frauen mitgemeint seien? Nein, sagt die Duden-Chefin, inzwischen wisse man nicht mehr, was die Überschrift „Lehrer machen Ausflug“ bedeute. „Machen da wirklich nur die Männer einen Ausflug? Das kommt von der neuen Verwendung der Begriffe.“
Wie ernst die Sache vielen ist, wissen beide Podiumsgäste nach unzähligen Zuschriften, Beleidigungen und zornig zurückgeschickten Paketen mit Duden-Ausgaben. „Deutschland muss ein glückliches Land sein, um sich über solche Dinge so aufregen zu können“, sagt Steinfeld. „Der beste Rat ist: gelassen bleiben“, sagt Kunkel-Razum. „Zu lernen, dass das Gender-Sternchen ,alle‘ heißt, ist so schwierig nicht.“ (Thomas Stillbauer)
Die Hausgespräche gehen am 4. Mai weiter, auch online. Das Programm: www.frankfurterhausgespraeche.de