Frankfurt: Leben im Plastikzeitalter

Ein Frankfurter Projekt hat das Phänomen Kunststoff aus vielen Blickwinkeln erforscht – jetzt erscheint ein Buch dazu.
Die gigantischen Plastikberge und riesigen Kunststoffinseln auf der Erde wachsen und wachsen, Mikroplastik findet sich in vielen Organismen wieder – und was tun wir? Mit dem „Plastikzeitalter“ haben sich Forscherinnen und Forscher fünf Jahre lang in dem Projekt „PlastX“ beschäftigt und die Kunststoffe als Systemrisiko untersucht. Die Projektleiterinnen Johanna Kramm und Carolin Völker vom in Frankfurt ansässigen Institut für sozial-ökologische Forschung (Isoe) haben die Ergebnisse nun in einem Sammelband herausgegeben: „Living in the Plastic Age“ – leben im Plastikzeitalter.
Kunststoffe hätten seit ihrer Erfindung im 19. Jahrhundert fast alle Bereiche des täglichen Lebens revolutioniert, schildern sie. Doch der Massenkonsum stelle Gesellschaft und Natur im Plastikzeitalter – einer Ära analog zur weit zurückliegenden Steinzeit und zur Eisenzeit – vor große Probleme. Fest stehe, dass die Plastikwirtschaft sich fundamental ändern müsse. Aber die Produktion habe sogar noch zugenommen.
Das Buch über die Probleme des Plastikzeitalters soll das breite Interesse auf das Thema lenken, sagt Isoe-Forscherin Johanna Kramm im Gespräch mit der FR. „Wir haben gemeinsam mit Doktorandinnen und Doktoranden aus verschiedenen Disziplinen daran gearbeitet.“ Politik- und Umweltwissenschaften, Psychologie, Soziologie, Ökotoxikologie, Umwelt- und Technikwissenschaften – „selten, dass so viele verschiedene Bereiche zusammenkommen, dadurch ergeben sich andere Fragestellungen, man kann das Thema umfassender bearbeiten“.
Die Soziologie etwa überlege, welche Rolle Plastik in der Gesellschaft spiele, eine andere Forschungsrichtung, wie es sich im Supermarkt einsparen lasse, die nächste, welche Chemikalien in Kunststoffen steckten. „Händler wissen oft gar nicht, was drin ist“, sagt Kramm.
Wie geht die Wissenschaftlerin persönlich mit dem Thema um? „Ich versuche, in Unverpacktläden einzukaufen“, sagt sie. Pfandsysteme seien absolut sinnvoll, nicht nur für Kaffee to go, auch für Produkte, wie Waschmittel. „In Unverpacktläden kauft eine Klientel, die sowieso schon ein Bewusstsein entwickelt hat“, sagt Johanna Kramm. Es habe Experimente von Supermarktketten gegeben, ebenfalls Angebote zum Nachfüllen zu machen. „Aber es ist schwierig, einfach nur etwas hinzustellen. Es braucht eine öffentliche Debatte, sonst gerät das Thema schnell in Vergessenheit.“
Um manche Plastikprodukte werde die Menschheit wohl nicht herumkommen, etwa in der Medizin, „da ist es einfach zu gut anwendbar“, sagt die Humangeografin, Expertin für sozial-ökologische Risikoforschung und Transformation. „Aber wir müssen darauf achten, dass es nicht in die Umwelt gerät – und dass es unbedingt recycelbar ist.“ Weißes Plastik ohne Aufdruck habe die besten Voraussetzungen, wiederverwendet zu werden.
Im vorigen Mai haben die Vereinten Nationen in einer Resolution die „Beendigung der Plastikverschmutzung“ bis Ende 2024 angemahnt. Ein wichtiger Schritt, sagen die Forscherinnen, aber notwendig sei ein gesellschaftlicher Wandel im Umgang mit Verpackungen und Verpackungsmüll. Dass dieser Wandel komme, sagt Johanna Kramm, diese Hoffnung habe sie. Hin zu einer von Grund auf veränderten Plastikproduktion und zu mehr Kreislaufwirtschaft. Aber das erfordere die Zusammenarbeit „von Wissenschaft und gesellschaftlichen Akteuren auf allen Ebenen“, sagt Co-Herausgeberin Carolin Völker.
Genau das zeigt der Sammelband „Living in the Plastic Age“, erschienen im Campus Verlag in englischer Sprache, als wissenschaftliches Hintergrundwerk zu der Frage, was die Plastikforschung macht und wie die europäische Kunststoffstrategie zu bewerten ist.
Johanna Kramm/Carolin Völker (Hg.): Living in the Plastic Age. Perspectives from Humanities, Social Sciences and Environmental Sciences. Frankfurt/New York: Campus Verlag, 2023. Erhältlich als Buch und digital als Open-Access-Publikation.