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Frankfurt: Kunstklau unter der Honsellbrücke

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Von: Sabine Schramek

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Jürgen Wiesner zeigt auf einem Foto, wie die verschwundene Plane aussah. Rainer Rüffer
Jürgen Wiesner zeigt auf einem Foto, wie die verschwundene Plane aussah. Rainer Rüffer © Rainer Rüffer

Der Fotograf Jürgen Wiesner vermisst sein großformatiges Werk.

Seit dem 8. Oktober vergangenen Jahres hing die „Denkwand“ an Stahlträgern unter der Honsellbrücke. Eine 20 Kilo schwere Plane, bedruckt mit 40 Fotos rund um die Gegend der ehemaligen Großmarkthalle am Osthafen, wie sie im Winter 1978/79 aussah. Jetzt ist das Kunstwerk weg. Kinder, die auf dem gigantischen Schrottplatz toben, ein Krangreifer, der Autos zerquetscht, ein einzelner Arbeitsschuh, Kinder, die auf der Rampe des früheren Großmarkts spielen, auf der im Zweiten Weltkrieg Juden nach Auschwitz deportiert wurden, das alte Arbeitsamt. Diese und 35 weitere Schwarz-Weiß-Fotos vom Leben und Sein am Osthafen im Winter 1978/79 sollen seit Oktober zum Denken und Erinnern anregen.

„Am Sonntag war die Denkplane noch da. Jetzt ist sie einfach weg“, sagt Jürgen Wiesner (78) ungläubig. „Ob Graffiti-Sprayer die Denkwand geklaut haben, weil die Plane sie störte, oder sie Reichsbürger abgehängt haben, weiß ich nicht. Abgerissen worden ist die 20 Kilo schwere Plane nicht, sondern alles ist sehr sorgfältig abgehängt worden“, so der Mann, der seit über 40 Jahren fotografiert. Zunächst habe er auch Clean FFM in Verdacht gehabt. „Aber die waren es nicht, da habe ich vorhin angerufen“, erklärt Wiesner.

Die aufgezogenen Fotos gehörten zu einer Ausstellung von ihm im angrenzenden Kunstverein Familie Montez, die bis zum 13. November lief. „Zweifelsgewann“ hieß der Titel der Innenausstellung „Affairen des Lichts“ mit Wiesners Werken aus der Zeit von 1980 bis 2022. Fotografien, Texte, ein Film, Klänge, Dokumente und Fundsachen hat er dafür zusammengestellt.

Wiesner fotografiert am liebsten im Morgenlicht oder zur blauen Stunde und am allerliebsten an einem kleinen Tümpel in den Schwanheimer Dünen in der Gemarkung Zweifelsgewann. „Zu jeder Jahreszeit, bei jedem Wetter. Seit 40 Jahren.“ Diese Wasserfläche hatte er in unterschiedlichsten Variationen in die Ausstellung gebracht. „Und auf der Fläche unter der Brücke, dort, wo die Menschen spazieren gehen, habe ich die Plane mitgebracht, die die gesamte Breite und die halbe Höhe der Wand ausgefüllt hat.“

Die Denkwand war schon einmal im Osthafen. Wiesner hatte sie zur Eröffnung des Hafenparks am Fuße der EZB gestaltet – mit dem Abriss der Großmarkthalle. Sein ganzes Leben als Fotokünstler habe er zusammengetragen für die Ausstellung beim Kunstverein Familie Montez. Wiesner schüttelt wieder den Kopf. Mit einem Architekten hat der gebürtige Frankfurter, der in Höchst lebt und dort ein Atelier hat, über eine weitere Idee der Denkwand gesprochen. „Eine Installation zur Erinnerung hier unter der Brücke auf weißen Wänden und doppelt so hoch wie die Plane“, schwebt ihm vor. „Der Architekt war begeistert.“ Im Moment ist er vor allem frustriert. „Es ist irgendwie völlig absurd, dass die Denkwand fast fünf Monate hier hing und nichts ist passiert. Und von heute auf morgen ist sie spurlos verschwunden.“ Ob er eine neue Plane machen lässt, weiß er noch nicht. „Dann kommt wieder irgendwer und nimmt sie ab“, fürchtet er.

Von dem Verschwinden der Fotoplane scheint niemand etwas mitbekommen zu haben. Zumindest nicht im Kunstverein. „Die Denkwand hing um die Ecke unter der Brücke und war unbeaufsichtigt. Vielleicht waren es Jugendliche“, mutmaßt Mirek Macke, der Direktor des Kunstvereins, während er die Beleuchtung für die neue Ausstellung „Dark Eden“ des deutsch-amerikanischen Künstlers Oliver Estavillo aus Fulda nachjustiert, damit die großen bunten und gesellschaftskritischen Ölgemälde noch intensiver wirken. Seit es wärmer geworden ist, seien wieder richtig viele junge Leute rund um den Hafenpark am Main unterwegs.

Anzeige hat Wiesner noch nicht erstattet. „Ich habe bei der Polizei angerufen und mir wurde gesagt, dass ich eine Online-Anzeige in den nächsten Tagen machen soll. Das habe ich noch nie gemacht, werde es aber tun. Ich hoffe einfach nur, dass die Denkwand wieder gefunden wird. Den Leuten hat sie gut gefallen.“

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