„Klimanacht“ statt „Sternennacht“: Wie ein Frankfurter Künstler fürs Klima demonstriert

Der Frankfurter Künstler Dirk Baumanns interpretiert klassische Gemälde im Kontext der Klimakrise neu – und nimmt sie mit zu Protesten.
Frankfurt/Lützerath – Der Weg zum Tagebau Garzweiler führt über matschige Felder und Wege. Bei jedem Schritt sinken die Füße Zentimeter tief in den Schlamm ein. Sie aus dem Boden zu ziehen, kostet Kraft. Wind und Regen helfen dabei nicht gerade. Der Weg zu Dirk Baumanns Ziel ist eine Herausforderung. Er will zur Großdemonstration gegen den Abriss des Dorfes Lützerath am 14. Januar 2023.
Auf dem Weg kommt eine weitere Herausforderung dazu: Der Künstler aus Frankfurt hat zwei Gemälde dabei, die dem Wind viel Angriffsfläche bieten. Das geht in die Arme. „Das Hanteltraining kann ich mir heute sparen“, sagt Baumanns. Trotz eines Ausrutschers im Matsch schafft er es über einen letzten Wall und hat freie Sicht über den Tagebau und den Kohlebagger.
Frankfurter Künstler Dirk Baumanns protestiert mit Gemälden für Klimaschutz
Der Tagebau erinnert eher an eine Landschaft auf dem Mars als auf der Erde. Der braun-schwarze Boden zieht sich bis zum Horizont, wo – dank der Schornsteine und Kühltürme – ein Kraftwerk zu erahnen ist. RWE vergrößert den Tagebau, um noch 280 Millionen Tonnen Braunkohle abbauen zu können.
Gegen die Pläne hat sich viel Widerstand geregt. Aktivist:innen hatten das Dorf besetzt, bis zu 35.000 Menschen protestieren zudem laut Organisator:innen der Großdemonstration am 14. Januar 2023 gegen den Braunkohleabbau. Greta Thunberg ist dort und will Hoffnung machen: „Solange die Kohle im Boden ist, ist noch nichts verloren.“
Auch der Frankfurter Künstler Dirk Baumanns ist bei der Demonstration in Lützerath. Dabei sticht er aus der Menge heraus; nicht durch seine lilafarbene, blau, gelb, rot, schwarz gepunktete Jacke, sondern durch die originalgetreuen Kopien seiner Ölgemälde.
„Klimanacht“ statt „Sternennacht“: Frankfurter Künstler setzt Gemälde in den Kontext der Klimakrise
Die marsartige, lebensfeindliche Landschaft des Tagebaus ergänzt Baumanns durch sein Gemälde „Klimanacht“, das er in der Nähe der Abbruchkante in die Höhe hält. Das Ölgemälde ist von Vincent Van Goghs „Sternennacht“ inspiriert. Statt der nächtlichen Ruhe des Dorfes unter dem dunkelblauen Sternenhimmel zeigt Baumanns eine feurige Landschaft. Alles brennt – auch das Dorf. Um den Hals trägt der Frankfurter Künstler sein zweites Werk: „Mona Greta“. Es zeigt Thunberg im Stil von Da Vincis „Mona Lisa“, welche die Betrachter:innen mit ihrem Blick durchdringt.
Bei der Demonstration in Lützerath Mitte Januar erhält Baumanns viel Zuspruch. Andere Protestierende loben ihn, fragen ihn, wo es seine Kunst zu sehen gibt. Es gibt aber auch die andere Seite: skeptische, irritierte Blicke. Das sei normal, Kunst auf Demos sei eben ungewöhnlich, erklärt Baumanns. Kunst habe jedoch auch ihren Platz. „Es gibt nichts, das Menschen auf dieser emotionalen Ebene erreicht.“
Kunst aus der Krise: Wie der Frankfurter Künstler Dirk Baumanns das Thema Klima für sich entdeckt hat
Schon in der Kindheit und Jugend durch seinen Vater für einen nachhaltigen Umgang mit der Umwelt sensibilisiert, beschäftigt sich der 1980 geborene Baumanns seit über 20 Jahren mit dem Klimawandel. Neben sozialen Ungerechtigkeiten fließen auch die Klimakrise und Umweltzerstörungen in seine Kunst ein. Die Natur fasziniert ihn: „Sie ist immer für Überraschungen gut – bald vielleicht für eine böse.“ Gemeint sind Klimafolgen: Hitze, Trockenheit, Flutkatastrophen wie im Ahrtal.
Die Gefahr durch den Klimawandel wurde Baumanns während seines Studiums an der Hochschule für Gestaltung in Offenbach bewusst. Neben Fächern wie Kunstgeschichte wurden auch aktuelle politische Themen besprochen. Darunter auch ein Bericht des Weltklimarates IPCC 2001 zum damaligen Stand der Erderwärmung. „Das hat schnell niemanden interessiert“, sagt Baumanns. Ihn habe es jedoch beschäftigt. Seitdem macht er Kunst aus der Krise.
Künstler aus Frankfurt: Auf „Mona Greta“ folgen „Klimanacht“ und „Wanderin über dem steigenden Meer“
Mit „Mona Greta“, mit der Baumanns immer wieder auf Klima-Demonstrationen war, war der Beginn seiner jüngsten Reihe. Baumanns interpretiert damit bekannte Meisterwerke neu. Neben Da Vinci und Van Gogh hat sich Baumanns dabei etwa Caspar David Friedrichs „Der Wanderer über dem Nebelmeer“ oder Tischbeins „Goethe in der Campagna“ inspirieren lassen. Anstatt Goethe zeigt Baumanns dabei etwa Elon Musk, der einen Joint raucht, während im Hintergrund Rauch aus verschiedenen Schornsteinen in die Luft steigt.
Die Neuinterpretationen wollte Baumanns in die Museen neben die Klassiker bringen – ohne Erfolg. Mithilfe von Fotomontagen brachte sie Baumanns zumindest digital dort hin. Seine Neuinterpretation von Van Goghs „Sternennacht“ hat der Frankfurter Künstler dadurch ins New Yorker Museum of Modern Art (MoMa) gebracht. Mit dieser Inszenierung hat Baumanns sogar den Hessischen Rundfunk getäuscht, der einen TV-Beitrag zum vermeintlichen Erfolg veröffentlicht und dann, nach Bekanntwerdens des Schwindels, wieder gelöscht hat.
Von Selbstinszenierung will Baumanns jedoch nichts wissen – auch bei Demonstrationen wie in Lützerath geht es ihm nicht darum. Dann könne er abstrakte Kunst machen, für die Menschen viel Geld ausgeben und sie sich ins Wohnzimmer hängen, erklärt Baumanns. Der gebürtige Offenbacher will stattdessen „gesamtgesellschaftlich und politisch relevante Kunst“ machen und gesellschaftliche Prozesse anregen oder zumindest begleiten.
Frankfurter Künstler Dirk Baumanns will Klimakrise in der Kunstwelt sichtbarer machen
Mit den Fotomontagen seiner Neuinterpretationen der Klassiker im Kontext des Klimawandels wollte Baumanns die Strukturen der Kunstwelt kritisieren. „Den Leuten ist egal, was du machst, Hauptsache, es ist furchtbar viel Geld wert oder hängt im Museum“, sagt Baumanns. Außerdem wollte er dem Klimawandel dadurch mehr Platz in Museen verschaffen. Derzeit spiele die Krise keine angemessene Rolle. „Die Museen sind auch ins kapitalistische System eingeflochten. Sie wagen nichts Neues, um Tickets zu verkaufen“, erklärt sich der Frankfurter Künstler das Problem.
Dirk Baumanns ist ein äußerlich ruhiger, gelassener Mensch, der Kunst und Klimaschutz zu seinem Leben gemacht hat. Wer mit ihm spricht, spürt seinen Idealismus, seine Begeisterung; aber auch Frust wegen der Widerstände in der Kunst und beim Klimaschutz. Auf einem schlammigen Weg irgendwo in der Nähe des Tagebaus spricht Baumanns das aus: „Manchmal glaube ich, das Leben wäre einfacher, wäre ich mit einer Arschlochmentalität geboren. Da reißt man sich in der Kunst und bei Demos den Arsch auf, und es kommt so wenig dabei heraus.“
Optimismus trotz Krisen: „Dann stellen wir die Bagger ab“
Baumanns ist sonst ruhig und empathisch, aber dabei zeigt er auch seine Ungeduld, die er mit vielen in der Klimabewegung teilt. Gehandelt werde erst, wenn es die eigene Gesundheit betreffe, erklärt er und nennt Corona als Beispiel. „Alle sind so egoistisch. Aber das funktioniert beim Klimawandel nicht, weil er schleichend ist und nur manche betrifft.“
Baumanns bleibt dennoch optimistisch. Zwar hätte er sich am 14. Januar 2023 in Lützerath mehr Demonstrierende gewünscht. „Der Rest der Gesellschaft braucht noch einen Anstoß“, sagt der Künstler, „dann stellen wir die Bagger einfach ab“. Und er nimmt Bezug zu Greta Thunbergs Rede bei der Kundgebung: „Am Ende ist es, wie Greta gesagt hat: Solange die Kohle noch in der Erde ist, ist es nicht vorbei.“ (Max Schäfer)