Frankfurt: Konsequent nüchtern

In der Selbsthilfeeinrichtung der „Fleckenbühler“ versuchen Suchtkranke gemeinschaftlichin ein geregeltes Leben zurückzufinden.
Die frisch gebackenen Kuchen duften köstlich. Ihre Bäckerin Anka, die Frau mit Baseballkappe auf dem Kopf und Schürze um die Hüfte, zeigt die Bleche mit „Mohn-Birne“ und „Apfelstreusel“ stolz auf einer Anrichte der Backstube, die sich hinter dem kleinen Café mit Bioladen der „Fleckenbühler“ im Frankfurter Stadtteil Niederrad anschließt.
Im Haus der Fleckenbühler in der Kelsterbacher Straße, nur ein paar Schritte vom Café entfernt, lebt Anka mit rund 60 weiteren Menschen, die drogenabhängig sind oder waren und die ihre Sucht mithilfe einer Lebensgemeinschaft hinter sich lassen wollen.
Das Besondere an der Einrichtung ist der Selbsthilfecharakter. Auf medizinische und therapeutische Betreuung wird bewusst verzichtet. Suchtkranke und ehemalige Abhängige leben konsequent nüchtern zusammen. Verboten ist neben Alkohol und anderen Drogen auch Tabak. Gewalt ist ebenfalls ein Ausschlusskriterium.
Anka hat 13 Jahre lang Marihuana geraucht und drei weitere Jahre Amphetamine, Ecstasy und Morphium genommen. „Der erste Tag hier war eine Katastrophe“, sagt die 37-Jährige. „Am Anfang hatte ich nur Drogenkonsum im Kopf. Beim Zucker holen habe ich dreimal vergessen, was ich machen wollte.“ Vom Konditormeister des Cafés, der selbst seine Sucht bei den Fleckenbühlern überwunden hat, lernte sie das Backen. „Langsam und ohne Stress“ habe sie Fortschritte gemacht. Eine Ausbildung zur Konditorin will die Polin, die ursprünglich nur ein Jahr bleiben wollte, inzwischen aber schon seit 16 Monaten ein Teil von Fleckenbühl ist, erst beginnen, wenn sie ihr Deutsch verbessert hat und in ihrer Abstinenz ausreichend stabil geworden ist. „Ich weiß, warum ich hier bin“, sagt sie und ergänzt: „Für mich.“
Ursprung auf Bauernhof
Seit fast 20 Jahren gibt es die Fleckenbühler in Frankfurt. Der Name geht auf den Bauernhof in Cölbe bei Marburg zurück, der 1984 ersten in Hessen eröffneten Einrichtung. „Hof Fleckenbühl ist die älteste historische Nennung“, berichtet Ronald Meyer. Der Vorsitzende des Trägervereins hat vor mehr als 50 Jahren in Berlin die erste Selbsthilfegemeinschaft als Teil der aus den USA stammmenden „Synanon“-Organisation mitgegründet, von der sich die Fleckenbühler 1995 trennten. Zu Beginn wollte der heute 70-Jährige selbst in Gemeinschaft mit anderen Suchtkranken seine Heroinabhängigkeit bewältigen, was ihm gelang.
„Jeder kann hier so lange bleiben, wie er will“, sagt Meyer, während er durch den Aufnahmebereich im Wohnhaus führt. Dort sitzen zwei Männer mit müden Blicken auf Sofas, ein Mitarbeiter am Schreibtisch telefoniert. Einer der beiden Wartenden hat eine Decke über die Beine gelegt. In einem kleinen Nebenraum stehen für erste Übernachtungen sechs Stockbetten bereit. „Wir nehmen Tag und Nacht Leute auf“, erzählt Meyer. Von den etwa 450 Ankömmlingen pro Jahr in Cölbe und Frankfurt bleibe nach zwei Wochen Probezeit etwa jeder oder jede Dritte übrig. Die meisten seien Männer, den Frauenanteil beziffert Meyer auf 18 Prozent.
Zwei Dutzend Berufe
Von ihrem ersten Tag in der Gruppe an arbeiteten die Bewohner:innen mit, in Frankfurt etwa im Büro, dem Umzugsunternehmen, der Küche oder in einem der Cafés in Niederrad und Sachsenhausen. Vor Ort können sie den Haupt- und Realschulabschluss nachholen oder einen von rund zwei Dutzend Berufe erlernen, zum Beispiel als IT-Fachkräfte oder Bürokaufleute, im Umzugs- und Transportgewerbe, im Verkauf, der Bäckerei oder in der Land- und Viehwirtschaft sowie der Käserei auf dem Hof in Cölbe.
Marco ist Malergeselle. Lehren zum Lackierer und Pferdepfleger hatte der Mann mit der stoppeligen Kurzhaarfrisur und den kräftigen, tätowierten Unterarmen wegen seiner Drogensucht abbrechen müssen. Mitte 20 war der Familienvater damals.
In Latzhose und knallrotem Shirt steht der 38-Jährige an der Spülmaschine in der Küche neben dem Speisesaal. „Ich habe mein ganzes Leben vor die Wand gefahren“, sagt er. Seine Arbeit, Frau und Kind habe er durch seine „polytoxe“ Abhängigkeit verloren. Alkohol, Heroin, Crystal hätten dazu gezählt. Wegen Beschaffungskriminalität saß er insgesamt zehn Jahre im Gefängnis.
Ein „falscher Freundeskreis“ habe ihn in die Sucht getrieben. Der „soziale Abstieg“, durch „Knast“ und ohne Arbeit teilweise auf der Straße leben zu müssen, habe ihn zum Umdenken bewegt. „Mein größtes Fernziel ist es, nüchtern zu leben und meinen Führerschein zu machen“, sagt Marco. Aber vor allem will er wieder Kontakt zu seiner Tochter haben, die mittlerweile 16 Jahre alt ist.