Frankfurt: Jüdisches Leben entdecken

Die Initiative 9. November zeigt im Bunker an der Friedberger Anlage fünf Ausstellungen.
Majer Szanckower hat eine spannende Geschichte zu erzählen, wie er in Frankfurt so etwas wie eine Heimat gefunden hat. Er berichtet davon im Hochbunker an der Friedberger Anlage 5. In einer Ausstellung – und am Sonntag, 24. April, auch persönlich. Der Verein „Initiative 9. November“ hat die Saison eröffnet. Zur Feier des Tages mit Führungen zu den fünf Dauerausstellungen zu jüdischem Leben.
Im Winter pausiert der Betrieb im ungeheizten Weltkriegsbauwerk, zu kalt ist es innerhalb der eineinhalb Meter dicken Mauern. Von Ende April bis Ende November ist es zugänglich. Es gibt jüdische Spuren im Ostend zu entdecken, das Wirken von jüdischen Musikern – oder vielmehr das Nichtwirken – eine Fotoschau zu aktuellem jüdischem Leben in Frankfurt. Wer sich in den Bunker hineinwagt, fragt sich schnell, kommt das Frösteln von der fehlenden Heizung oder von den eindringlichen Bildern, beklemmenden Texten, bewegenden Schicksalen?
Majer Szanckower ist zum Beispiel ein sogenanntes Föhrenwald-Kind. Am Ende des Zweiten Weltkriegs hatten zehn Millionen Menschen in Europa ihre Heimat verloren. Sie waren „Displaced Persons“ (DP), heimatlose Ausländer. Eine heterogene Gruppe: jüdischer und nichtjüdischer KZ-Überlebender, Kriegsgefangener und Zwangsarbeiter. Ihre Versorgung stellte die Siegermächte vor große Herausforderungen.
Wo sollten sie hin? Die meisten konnten oder wollten nicht in ihre Heimatländer zurück. Zunächst mussten sie in den DP-Lagern ausharren, bis sich ihre Zukunft irgendwie klärte. Das war nicht immer schön. „Es scheint, als ob wir die Juden so behandeln, wie es die Nazis taten, abgesehen davon, dass wir sie nicht vernichten“, berichtet etwa der US-Kommissar für Einwanderung, Earl G. Harrison, im August 1945.
Szanckower kommt 1947 in Berlin zur Welt. Seine Eltern haben da schon einiges erlebt, fliehen 1939 aus Polen nach Taschkent, von dort dann nach dem Krieg mit Hilfe von Schleusern nach Berlin. 1948 reist die Familie weiter, mit den sogenannten Rosinenbombern der US-Armee. Die versorgen das geschlossene Berlin, auf dem Rückweg fliegen sie Jüdische DPs aus. Szanckowers Familie landet im Lager in Föhrenwald. 1957 muss sie dort ausziehen, Bayern braucht das Lager für Sudetendeutsche. Etwa 100 von ihnen ziehen nach Frankfurt, in zwei Blocks an der Waldschmidtstraße.
Renata Berlin und Rainer Boettger stehen seit Januar der Initiative 9. November vor. Der neue Vorstand hat sich viel vorgenommen. Zwei zentrale Punkte: Erstens möchte die Initiative stärker auf Schulen zugehen und für einen Besuch der Ausstellungen begeistern. Zweitens möchte sie neue Mitglieder anwerben. „Wir sind eine zu kleine Gruppe“, sagt Berlin: Lediglich zehn Aktive teilen sich die Arbeit, stehen jeden Sonntag am Bunker für Besucherinnen und Besucher parat. „Wir brauchen neue Mitglieder.“
Zumal die Initiative die Öffnungszeiten ausweitet, fortan ist der Bunker auch mittwochs zu besichtigen. Schließlich gibt es eine spannende neue Schau, die virtuellen Rekonstruktionen von deutschen Synagogen. Das waren prächtige Gebäude, so viel sei hier verraten, schnell bleibt der Mund offen, wenn man die ganzen Säle, Türme, Kuppeln, den Glanz der Bauten bestaunt.
Sissy Weyrich vom Jüdischen Museum berichtet auf ihrer Führung am Sonntag, wie die Deutschen die Bauten schließlich zerstörten. Am 9. November haben sie die Synagogen im Land angezündet. Die großen, imposanten, palastartigen Gebäude. „Die haben lange gebrannt.“ Vor allem mussten manche auch mehrfach angezündet werden. „Das geschah am helllichten Tag“, sagt Weyrich. Darum mag sie dabei auch nicht von einer Pogromnacht sprechen. Die Bürgerinnen und Bürger schauten zu, die Feuerwehr passte auf, dass die Flammen nicht auf die umliegenden Häuser übergriffen.
An Stelle der Frankfurter Synagoge an der Friedberger Anlage baute man den Hochbunker. Nach dem Krieg hat die Stadtgesellschaft lange nicht über die Vergangenheit des Areals gesprochen. Im Bunker lagerten Möbel oder Medien der Stadtbücherei, in den 70ern gab es Flohmärkte. Erst in den 1980ern hat die Stadt ihr jüdisches Leben wieder entdeckt. Renata Berlin würde sich nun freuen, wenn man die alten Grundmauern der Synagoge wieder sichtbar machen könnte. So als langfristiges Projekt.
Fünf Ausstellungen zu jüdischem Leben sind im Hochbunker an der Friedberger Anlage 5 zu besichtigen. Mittwochs, 17-19 Uhr, sonntags 11-14 Uhr, Schulklassen nach Vereinbarung. www.initiative-neunter-november.de
