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„Frankfurt ist noch immer eineautogerechte Stadt“

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Von: Claus-Jürgen Göpfert

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Carola Scholz, hier am alten Universitätscampus in Bockenheim, kämpft dafür, dass die Stadt den unterschiedlichsten Lebensentwürfen Raum gibt. renate hoyer
Carola Scholz, hier am alten Universitätscampus in Bockenheim, kämpft dafür, dass die Stadt den unterschiedlichsten Lebensentwürfen Raum gibt. renate hoyer © Renate Hoyer

Die Stadtsoziologin Carola Scholz beklagt den zu geringen Fortschritt beim Kampf gegen den Klimawandel und mangelndes Grün in der Stadt.

An der rissigen Fassade des alten Studierendenhauses verwittern die Parolen vergangener Kämpfe. „Gegen G7, Repression und Polizeiwillkür“ steht da zu lesen. Ein anderes Motto weist hoffnungsvoll in die Zukunft: „Vom Studierendenhaus zum offenen Haus“. Seit langem wartet ein Verein darauf, dass die Stadt ihm das historische Gebäude auf dem alten Campus der Goethe-Universität in Frankfurt am Main übergibt. Doch wann das geschieht, ist offen.

Carola Scholz radelt über die steinerne, öde und völlig baum- und strauchlose Freifläche heran, steigt ab, wirft prüfende Blicke in die Runde und kommt rasch zum Thema. „Ich verstehe nicht, warum Land, Stadt und Universität sich nicht wenigstens auf Zwischennutzungen verständigen, um hier ein bisschen was Nettes zu machen.“ Das ist das Lebensthema der Soziologin: Städte so umzugestalten, dass sie lebenswert werden. Seit vier Jahrzehnten kämpft sie dafür, in Frankfurt und anderswo.

Die Grüne gehörte 1980 zur Gründungsgeneration ihrer Partei, gestaltete von 1989 bis 1993 den rot-grünen politischen Aufbruch in Frankfurt mit, ging dann nach Nordrhein-Westfalen, um dort bis 2018 für die Entwicklung der Kommunen zu arbeiten, lange im Städtebauministerium. Seit vier Jahren zurück in Frankfurt, sitzt sie wieder im Stadtteilparlament von Bockenheim und Westend, wo 1985 ihre politische Arbeit begonnen hatte. Es ist, als sei sie nie weggewesen: ein Energiebündel, übersprudelnd vor Ideen, kämpferisch wie eh und je. Im Sommer wird sie ihren 70. Geburtstag feiern. Ihr Hauptgegner: Die Zeit. Genauer: Die lange Zeit, die in der Stadtplanung verstreicht, ohne dass viel geschieht. „Alles geht unglaublich langsam hier in Frankfurt“, klagt sie.

Beispiel alter Universitäts-campus: Vor 23 Jahren, im März 1999, schlossen Land und Stadt den Kulturvertrag. Er sah vor, dass die Universität auf einen neuen Campus verlagert und auf der 16,7 Hektar großen alten Fläche ein neuer Stadtteil entwickelt wird. Doch 23 Jahre später nutzt die Uni noch immer das Gelände in Bockenheim.

2010 hatte die damalige Oberbürgermeisterin Petra Roth (CDU) die Idee eines Kulturcampus präsentiert. Neben einer neuen Hochschule des Landes für Musik und darstellende Kunst wollte die Stadt weltweit bekannte Kultureinrichtungen in Bockenheim ansiedeln: etwa das Ensemble Modern oder die Dresden-Frankfurt Dance Company. Doch zwölf Jahre später ist völlig unklar, ob dieses „Zentrum der Künste“ jemals entstehen wird. Ein politischer Beschluss im Rathaus für das Projekt steht immer noch aus.

Carola Scholz überquert raschen Schrittes den alten Campus. Die Pappkartons des Bücherflohmarkts, hier das einzige belebende Element, kommen in Sicht. „Die Stadt hätte damals eine Projektgesellschaft gründen müssen, um den Kulturcampus voranzutreiben“, urteilt sie. Doch auch das hätte ein Grundübel nicht beseitigt, das in ihren Augen besteht: Bundesweit sei in der Stadtplanung „vieles überreguliert“. Zu viele Verordnungen, zu viele Gesetze. Nicht nur Frankfurt leide darunter. Auch in Nordrhein-Westfalen, zum Beispiel in der Millionenstadt Köln, dauerten Projekte „unendlich lange“.

Wir erreichen die altehrwürdige Bockenheimer Warte. Für die neue Musikhochschule soll nun endlich ein Architekturwettbewerb ausgeschrieben werden, für das Zentrum der Künste dagegen nur eine Ideensammlung. Scholz glaubt nicht, dass es Sinn ergibt, Kultureinrichtungen in Bockenheim zu konzentrieren. „Ich bezweifle, dass es da Synergieeffekte gibt, das leuchtet mir nicht ein.“

Zur Person

Carola Scholz wurde 1952 in Reutlingen geboren. Sie studierte Ökonomie und Gesellschaftswissenschaften an der Goethe-Universität in Frankfurt.

Für die Grünen gehörte sie in Frankfurt von 1985 bis 1989 dem Ortsbeirat 2 (Bockenheim, Westend) an und von 1989 bis 1993 dem Stadtparlament.

Von 1992 bis 1996 arbeitete sie für das Deutsche Institut für Urbanistik in Berlin und Köln. Von 1996 bis 2006 war sie Referatsleiterin im Bauministerium des Landes Nordrhein-Westfalen.

Von 1998 bis 2006 war sie zusätzlich Geschäftsführerin der Bauministerkonferenz der Länder. Von 2006 bis 2018 arbeitete sie als Referatsleiterin im Städtebauministerium von Nordrhein-Westfalen.

Seit 2019 gehört sie dem Städtebaubeirat in Frankfurt am Main an. Heute ist sie außerdem wieder Mitglied im Ortsbeirat 2. jg

Und sie fürchtet „dass die neue Musikhochschule ein solcher architektonischer Leuchtturm sein wird, dass die Bockenheimer Warte völlig degradiert wird“. Das ist ein wichtiges Thema für die Stadtsoziologin: der Umgang der Gesellschaft mit ihren alten Bauten. Energisch streitet sie zum Beispiel dafür, dass die Städtischen Bühnen am Willy-Brandt-Platz nicht durch einen 900 Millionen Euro teuren Neubau ersetzt werden, wie es die Stadtverordneten beschlossen haben. In Zeiten rasanten Klimawandels könne sich die Gesellschaft das nicht mehr erlauben. „Neubauten tragen dazu bei, den Klimaschutz zu torpedieren, sie sind in Deutschland für 40 Prozent des CO2-Ausstoßes verantwortlich.“ Die Soziologin leugnet nicht, „dass die Arbeitsbedingungen der Menschen in der Theater-Doppelanlage unmöglich sind“. Aber sie rät, den Altbau zu sanieren und dabei zu versuchen, so viel wie möglich zu erhalten. Als Interim für das Schauspiel während der Bauarbeiten empfiehlt sie ein Bauwerk ganz in der Nähe der Bockenheimer Warte: das Bockenheimer Depot, heute schon von den Bühnen für Aufführungen genutzt.

Und den Betrieb der Oper kann sie sich gut in der denkmalgeschützten Festhalle an der Messe vorstellen. Aber würde eine solche ungewöhnliche Lösung nicht einen öffentlichen Aufschrei provozieren? Scholz schüttelt entschieden den Kopf. „Was in Frankfurt vielfach fehlt, ist Kreativität“, sagt sie dann. Die Stadtpolitik konzentriere sich auf die alten Werte und Institutionen, die man lange gefördert habe – „Banken, Messe, Flughafen“. Aber nicht nur der Klimawandel, auch die Corona-Pandemie werfe die Frage auf: „Stimmt dieses Geschäftsmodell noch?“ Die alte Kommunalpolitik habe nicht verhindert, dass Grund und Boden in Frankfurt „wahnsinnig teuer“ geworden seien. Als Folge wanderten etwa die Kreativen nach Offenbach ab.

Wir sitzen jetzt beim Tee in einem Bockenheimer Café, doch die Energie der 69-Jährigen bleibt ungebremst. Ist sie ein geduldiger Mensch? Scholz lacht, verneint entschieden. „Ich habe überhaupt keine Geduld, je älter ich werde.“ Die Grüne hat am jüngsten Kommunalwahlprogramm ihrer Partei mitgeschrieben. Sie hofft jetzt, dass die neue Regierungskoalition im Römer viele Forderungen aus diesem Papier umsetzt. Die Tochter eines Tiefbauingenieurs lobt den Koalitionsvertrag. „Er ist gut, er muss nur verwirklicht werden.“

Seit 2019 genießt sie ein besonderes Privileg: Neben Architekten und Planern wurde sie als einzige Soziologin in den Städtebaubeirat berufen, ein Gremium von Fachleuten, das den Magistrat berät. Anders als früher sei ein wichtiger Bremsklotz in der Kommunalpolitik weggefallen. „Die Dezernate bekämpfen sich nicht mehr untereinander.“ Und wieder kommt sie auf ein zentrales Anliegen zurück: die Gründung einer Stadtentwicklungsgesellschaft, um die notwendigen Veränderungen rasch zu verwirklichen. „Sofort Kübel mit Bäumen auf den großen Plätzen aufstellen, sofort Solaranlagen und Grün auf die Flachdächer!“

Wir sprechen wieder über den mangelnden Fortschritt in der Stadtentwicklung. Bereits 1989 vereinbarten SPD und Grüne im Römer in ihrem Koalitionsvertrag die autofreie Innenstadt und das autofreie nördliche Mainufer. Beides wurde bis heute nicht umgesetzt. „Frankfurt ist noch immer eine autogerechte Stadt, immer noch“, beklagt die frühere Geschäftsführerin der Bauministerkonferenz der Länder. 2015 präsentierte der damalige Planungsdezernent Olaf Cunitz (Grüne) ein Innenstadtkonzept, das auch den Wegfall vieler innerstädtischer Stellflächen für Autos vorsah. „Ich kenne kein Beispiel, bei dem eine der damals beschlossenen Maßnahmen umgesetzt wurde“, sagt die ehemalige Referatsleiterin im nordrhein-westfälischen Städtebauministerium. Noch immer könnten Automobile unmittelbar hinter dem Römer geparkt werden, noch immer direkt an der Paulskirche. „Die beharrenden Kräfte sind extrem groß“, bilanziert Scholz.

Es ist nicht so, dass der Städtebaubeirat der Kommunalpolitik keine Vorschläge machte. Beispiel Kleinmarkthalle an der Hasengasse: Die Autostellplätze dort könnten wegfallen zugunsten eines zusätzlichen Marktes unter freiem Himmel. Der mit Asphalt und Beton versiegelte Boden ließe sich aufbrechen, die alten Autogaragen zur Berliner Straße hin könnten neuen Bäumen weichen. Für Scholz nur ein Beispiel. „Überall in der Innenstadt fehlt es an Grün.“

1993 hatte sie sich nach vier Jahren als Stadtverordnete nach Nordrhein-Westfalen an das Deutsche Institut für Urbanistik verabschiedet. Sie ließ damals eine grüne Partei hinter sich, in der das lange Hauen und Stechen zwischen Radikalökologen und Realpolitikern noch nachhallte. Scholz hatte auf einer sogenannten Versöhnungsliste für den Römer kandidiert. Doch sie entschied sich dann für den Abschied aus der Kommunalpolitik. „Ich wollte einen vernünftigen Job machen.“ Jetzt arbeitet sie seit vier Jahren wieder in der Stadt, an der ihr Herz hängt. Etwas hat sich entscheidend verändert. Die Zeit für ein Umsteuern in der Stadtentwicklung, das weiß sie, wird knapp. „Den Klimawandel kannst du nicht aussitzen.“

Und auch die Menschen in Bockenheim ließen sich nicht länger vertrösten. Seit zehn Jahren warte der Verein „Offenes Haus der Kulturen“ nun darauf, dass die städtische ABG-Holding ihm endlich das alte Studierendenhaus übergebe und ein soziokulturelles Zentrum entstehen könne. „Die Angst im Verein ist, dass es noch mal zehn Jahre dauern wird.“ Die Kommunalpolitik in Frankfurt überfordert so selbst die geduldigsten Menschen.

Bereits 1989 hatte Carola Scholz mit ihrem Buch „Frankfurt – Eine Stadt wird verkauft“ ihr Verständnis von Stadtplanung offenbart. Darin forderte sie, dass Stadt „zunächst einmal zum Medium aller werden, Räume und Freiräume für alle bereithalten, für die unterschiedlichsten Lebensentwürfe Raum geben“ müsse. In diesem Sinne arbeitet, schreibt und kämpft sie weiter.

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