Frankfurt im Jahr 1933: Als die Rechtsstaatlichkeit endete

Das Frankfurter Landgericht gedenkt der Gleichschaltung der Justiz im Nationalsozialismus vor 90 Jahren. Erstmals wurden die Namen der entlassenen Justizangestellten verlesen.
Der wichtigste Moment der Gedenkstunde anlässlich des Boykotttags vom 1. April 1933 in der Frankfurter Justiz folgte fast ganz am Ende der Veranstaltung. Da las unter anderem Landgerichtspräsident Wilhelm Wolf die 42 Namen jener Justizangestellten vor, die zwischen 1933 und 1935 aus dem Justizdienst entlassen oder herausgedrängt worden waren. Es war das erste Mal, dass die Namen öffentlich verlesen wurden.
Dabei stehen die Namen sinnbildlich für die vielen Menschen, denen in der NS-Zeit Unrecht und Schlimmeres angetan wurde. Konkret ging es bei der Gedenkveranstaltung im Landgericht aber um den 1. April 1933. Damals organisierte die NSDAP den Boykott jüdischer Geschäfte, Ärzte und Rechtsanwälte, der schließlich an jenem Samstag um 10 Uhr begann – auch in Frankfurt. In den darauffolgenden Tagen kam es zum „Ende einer rechtsstaatlichen Justiz“, wie es Wolf in seiner Rede formulierte. Damals hieß es, das Recht müsse sich am Volkswillen orientieren, nicht an der Objektivität.
In der Folge wurden jüdische Richter zwangsbeurlaubt und ihnen der Zugang zu den Gerichten verwehrt. Auch Richter, die den Nationalsozialisten politisch zu links standen, mussten gehen. Es entstanden Sondergerichte, die absurde Urteile verhängten. In Frankfurt gab es etwa einen Fall, in dem der Angeklagte zu einem Jahr Haft verurteilt wurde, weil er an einem Wasserhäuschen ein verleumderisches Gerücht gegen das Reich wiedergegeben hatte. „Verurteilt von ganz normalen Richtern des Amtsgerichts“, so Wolf. Es habe sich gezeigt, dass viele sich „willig vor den Karren der NS-Ideologie spannen“ ließen. Etwa der OLG-Präsident Otto Stadelmann. Er trat wie viele andere zügig in die NSDAP ein, Ende April 1933 sei bereits ein Großteil der Richter und Anwälte in Frankfurt Mitglied der Partei gewesen.
Katja Fambach, Georg Falk und Ulrich Stump erzählten von Einzelschicksalen der damaligen Zeit. Etwa jenes von Emil Lehmann, der 25 Jahre lang Richter am Amtsgericht Höchst gewesen war, ehe die Nazis ihn 1933 als „politisch unzuverlässig“ entließen. Der aktive Demokrat und gebürtige Jude erlebte anschließend einen raschen sozialen und wirtschaftlichen Abstieg. Im September 1942 wurde er in das Konzentrationslager Theresienstadt deportiert, wo er drei Monate später umkam.
Auch Gerichtsassessor Fritz Freudenberger wurde 1933 aus dem Justizdienst entlassen, weil er als Mitglied der Sozialistischen Arbeiterpartei für die Nazis als „ungeeignet“ galt. 1935 wird er beim Herstellen illegaler Druckschriften erwischt und vom OLG Kassel zu zwei Jahren Zuchthaus und anschließender Unterbringung in einer Heil- und Pflegeanstalt verurteilt. Freudenberger wurde als psychisch krank eingestuft und 1941 schließlich in Hadamar getötet.
Jüdische Rechtsanwälte waren ebenfalls von den Schikanen der Nationalsozialisten betroffen. Sie erhielten ein faktisches Berufsverbot, häufig wurde ihnen die Zulassung entzogen. Bei den Justizangestellten sei es typisch gewesen, dass diese nach ihrer Entlassung aus dem Dienst keine Anstellung mehr fanden. Jüdische Menschen konnten häufig nur in jüdischen Gemeinden Arbeit bekommen.
Landgerichtspräsident Wilhelm Wolf regte an, die Säle und Zimmer im bald fertiggestellten neuen Gebäudeteil des Gerichts mit den Namen der Justizangestellten zu versehen, die damals Unrecht erlitten haben. Gemeinsam mit Erläuterungen zu ihrem Schicksal soll ein würdiges Gedenken entstehen.
Auch der momentan im Umbau befindliche Schwurgerichtssaal im Gebäude A soll einen neuen Namen erhalten. Er soll Heinrich Heldmann gewidmet werden. Der ehemalige Vizepräsident des Oberlandesgerichts Frankfurt bot 1933 dem Sonderbeauftragten des preußischen Justizministers Roland Freisler die Stirn, als dieser die Justiz gleichschaltete.