Die Frankfurter Bahnhofsviertelnacht - ein bisschen wie im Zoo

Tausende Besucher strömen zur Bahnhofsviertelnacht. Manche haben eine To-Do-Liste, andere feiern einfach.
Die harten Fakten: Bei der zwölften Ausgabe der Bahnhofsviertelnacht sollen 50 000 Besucher da sein, einzeln durchgezählt wird aber nicht. Schaffen wir auch nicht. Wir verzählen uns einfach ständig. Gefühlt sind es in diesem Jahr am Anfang der Nacht deutlich weniger Besucher, Aber desto später die Nacht, desto voller wird es. Nicht nur die Menge, sondern auch die Besucher sind definitiv voller. Eine Studentin trinkt direkt aus der Chardonnay-Flasche. Einfacher sind die Gastgeberzahlen: 48 Orte öffnen ihre Türen. Von der Bahnhofsmission über die Drogennotdienst bis zur Zigarrenmanufaktur Mercedes Reyes kann man sich in dieser Donnerstagnacht anschauen.
Auf die Frage: Warum sind Sie hier? Bianca (29) sagt: „Ich schäme mich, das zu sagen, aber ich bin gebürtige Frankfurterin und war noch nie bei der Bahnhofsviertelnacht.“ Das habe sich eben nie ergeben. Sie ärgert sich, dass sie sich erst einen Abend vorher entschlossen hat, zu kommen, weil die Führungen der Stadtevents da schon alle ausgebucht waren. „Ich verstehe, dass die Kapazitäten begrenzt sind, aber vielleicht könnte man die Bahnhofsviertelnacht ausweiten. Also diese zwei Tage lang anbieten?“. Der 33-Jährige Simon ist schon zum sechsten Mal dabei. Denn: „Das macht man so.“ Für ihn ist das Fest „wie ein großes Straßenfest“. Besonderes geplant habe er allerdings nichts, er wird „spontan schauen“. Klaus, der mit seiner Frau Petra da ist, sagt: „Wir verpassen sogar das Eintracht-Spiel. Da müssen wir mal schauen, ob wir die zweite Hälfte hier irgendwo gucken können.“
Besucher mit To-Do-Liste
Die Besucher mit einer To-Do-Liste: Stefanie (34) hat eine lange Liste. Sie startet mit der Hotelführung des 25 Hours „The Trip“ in der Niddastraße, dann will sie mit ihrer Kollegin zum Workshop „Alles über Sexarbeit“, zum Club Eros 49 und zum Drogennotdienst.
Der Soundtrack der Nacht: Ensemblemitglieder der Oper Frankfurt singen zur Eröffnung auf der Bühne im Hof der Diakoniekirche in der Weserstraße. Auf der „Love goes to Africa“-Bühne in der Taunusstraße feiert einiges später die Menge Megaloh. Er gilt als einer der besten deutschen Rapper. Der Berliner ist in Frankfurt geboren. Coole wie laute Rapmusik dröhnt aus den extra für die Nacht aufgestellten Boxen beim Kiosk City Shop in der Kaiserstraße. An der Kasse muss man sich anschreien, aber ansonsten herrscht fröhliche Tanzatmosphäre. Einige Kunden zeigen ihre besten Tanz-Moves vor dem Kühlregal.
Das Wetter: Nicht mega, aber besser als angekündigt. Um 18 Uhr gibt es Sonnestrahlen und blauen Himmel, gegen 19 Uhr beginnt es etwas zu regnen. „Ätzend, dann gehe ich eben rein in die Kneipe was saufen“ sagt eine Besucherin. Andere spannen einfach ihren Regenschirm auf und laufen mit dem Weinglas in der anderen Hand weiter. Und der Wettergott zeigt sich gnädig, es hört für einige Stunden auf zu regnen.
Besonders lange Schlange vor dem Verein Doña Carmen
Den größten Andrang: Eine sehr lange Schlange gibt es vor dem Verein Doña Carmen in der Elbestraße. Die beiden Bordellführungen am „Tag der offenen Tür“ sind bereits um 19 Uhr voll. Der Schnupperkurs „Table Dance“, für den es noch ein paar freie Plätze an der Stange gibt, ist für eine junge Frau aber keine Alternative. „Nicht so mein Ding“, sagt sie und lacht. Großer Andrang herrscht wie gewohnt vor dem Kult-Kiosk Yok-Yok. Ansonsten ist es auffällig voll vor den Stripbars oder auch vor dem Laufhaus „Komm“, wo Musik aufgelegt wird.
Kritische Stimmen: „Ich finde es makaber, dass die drogenkranken und obdachlosen Menschen wie Tiere im Zoo zur Schau gestellt werden“, sagt eine Frau, die täglich im Viertel arbeitet. Auch eine andere Frau ist kritisch. Sie trinkt am frühen Abend eine Weinschorle unweit des Marktes auf der Kaiserstraße. „Aber zur Bahnhofsviertelnacht gehen wir nicht. Das ist für mich Katastophentourismus. Vor allem die Bordellführungen, da werden doch nur so die selbstbestimmten Vorzeige-Prostituierten präsentiert, nicht die Mädchen, die gezwungen werden, anzuschaffen.“ An einer Hauswand hängt ein Banner: „Frankfurt: Drogen,. Kriminalität. Dreck. Danke!„ steht da.
Die Müllsituation: Anfangs noch okay. „Aber später in der Nacht liegen da immer überall Glasscherben, weil die Leute ihre Bierflaschen einfach fallen lassen. Assi“, sagt eine Frau.
Nicht nur Feiern, sondern auch Aufklärung
Zu Besuch bei La Strada: Die Bahnhofsviertelnacht bedeutet nicht nur Feiern auf den Straßen, sondern auch Aufklärung über Arbeit, die hier täglich geleistet wird. Mitarbeitende des La Strada Drogenhilfezentrums bieten Führungen und Info-Gespräche. Hier gibt es für obdachlose Drogenkonsumierende nicht nur eine Dusche, Toiletten, Schlafplätze, Kleidung, Hygieneartikel, Aufenthalts- und Druckraum, sondern auch psychosoziale und rechtliche Beratung. Außerdem vermittelt die Einrichtung Therapien und Entgiftungen. Durch die Bahnhofsviertelnacht kann „die Verteufelung versachlicht werden“, sagt Iris, die seit drei Jahren als studentische Aushilfe im Drogenhilfezentrum arbeitet. Mitarbeiterin Sophie sagt: „Es kam nie in Frage, die Führungen bei laufendem Betrieb durchzuführen, sonst wäre das wie im Zoo.“ Die 23-jährige Luisa Heiser war schon letztes Jahr zum Feiern auf der Bahnhofsviertelnacht, an diesem Abend macht sie eine Führung durch das Drogenhilfezentrum: „Das war wirklich spannend und total wichtig, normalerweise kennt man so etwas viel zu wenig“, sagt sie.
Die Gitarreninstallation: Wo sich vor einigen Wochen noch Gitarren, Bässe und Keyboards stapelten, herrscht nun karge Leere im legendären Musikladen Cream Music in der Taunusstraße. Zur Bahnhofsviertelnacht aber stellt Nikola Petrek in einer schlichten Installation seine selbst gebaute „Frankfurt Historic Guitar“ aus. Diese Gitarre ist kein gewöhnliches Instrument, denn: Sie wurde von Petrek aus einem Regalbrett gefertigt, das jahrzentelang über der Ladentheke hing und schon Stars wie Elvis Presley, Carlos Santana oder John Lennon gesehen haben muss. „Jedes meiner Instrumente hat eine Geschichte“, sagt Petrek, der knapp 20 Jahre für Cream Music gearbeitet hat und in seiner Freizeit viele Gitarren und Bässe selbst anfertigt. Die „Frankfurt Historic Guitar“ hat er in Eigenarbeit fast ganz ohne Maschinen gebaut, mit Mainwasser vor dem Lackieren befeuchtet und mit einem Stück der alten Tapete von Cream Music vollendet. Mit der ruhigen, schlichten Gitarrenmusik, die aus dem Lautsprecher schallt und die Petrek selbst auf der besagten Gitarre eingespielt hat, dem Lichtdesign seines Freundes Herbert Cybulska und dem rustikalen Aussehen des historischen Ladens, ist diese einzigartige Installation wohl ein Ruhepol des Abends.
Eine der größten Partys der Nacht
Im Hotel: Das im vergangenen Jahr umgebaute „25hours Hotel“ in der Niddastraße war früher das „Levis Jeans Hotel“ und heißt jetzt „The Trip“. „Ein Hotel wie eine Weltreise“, sagt eine Mitarbeiterin, die eine der Hausführungen an diesem besonderen Abend macht. Die Zimmer haben alle etwas mit Reisen zu tun und sind so auch designt. „Besonders cool ist die ,Machu Picchu’ -Suite, wo das Bett weit oben positioniert ist und man eine lange Treppe hochsteigt“, sagt ein Teilnehmer. Außerdem erfahren die Besucher einige skurrile Fakten, wie etwa, dass in dem Hotel jedes Jahr unglaubliche 20 300 Klopapierrollen verbraucht werden. Als Überschungseffekt hat sich einer der Mitarbeiter bereit erklärt, extra drei Stunden mit Badehandtuch zu duschen und während der Führungen Schlager zu singen. Wie schrumpelig seine Haut nach dieser Marathon-Dusche aussieht, wissen wir zum Redaktionschluss leider nicht. Später in der Nacht steigt hier mit der IMA-Clique im „Niddasack“ zu Songs wie Ed Sheerans „Shape of You“ und im Hinterhof mit fetten Beats noch eine der größten Partys der Nacht.
Von Sabrina Butz, Jakob Deckers und Kathrin Rosendorff
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