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Frankfurt: Helden und Heldinnen des Klinik-Alltags

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Von: George Grodensky

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Das Uniklinikum vom Westhafen aus gesehen.
Das Uniklinikum vom Westhafen aus gesehen. © Renate Hoyer

Die Ausstellung zur Geschichte der Frankfurter Medizin am Uniklinikum widmet sich Errungenschaften, dunklen Kapiteln und dem ganz normalen Klinikgeschehen.

Der Multifunktionsraum im ersten Stock des Hauptgebäudes des Uniklinikums (23C) hat eine neue Funktion erhalten. Er ist nun auch das Museum des Hauses. Dort befindet sich nun die Dauerausstellung „Aus der Geschichte der Frankfurter Universitätsmedizin.“ Es ist explizit nicht „die Geschichte“ zu sehen. Die würde gar nicht auf die 25 Schautafeln passen, sagt Kurator Michael Sachs, der kommissarische Leiter des Senckenbergischen Instituts für Geschichte und Ethik der Medizin. Bei all den Instituten und Fachbereichen. „Auswahl war nötig“.

Der Raum ist zentral gelegen, gleich gegenüber der Cafeteria „Piazza D’Oro“, gewissermaßen im Herzen der Klinik. Hier sitzen oft die Studierenden, wenn sie in Ruhe arbeiten wollen. Künftig sollen auch Gäste sich umsehen dürfen. „Wir sind ein offenes Haus“, wirbt der ärztliche Direktor Jürgen Graf. Für Patientinnen und Patienten sowieso. Die sind bereits zur Vernissage da. Manche laufen bewusst staunend vorbei. „Das scheint was Großes zu sein“, raunt einer seiner Frau zu. Andere werden in Krankenbetten vorbeigeschoben, nehmen die Schau wohl eher unbewusst wahr.

„Wir sind ein Produkt, das man nicht unbedingt haben will“, sagt Graf launig. Oder, um es positiv zu drehen: Die Menschen sollen ins Haus kommen und es in einem anderen Kontext erleben als Krankheit, Schmerz oder Leid. Auch die Stadtgesellschaft wird hier daran erinnert, was sie am Klinikum hat. „Wir sind ein wichtiger Teil der Gesundheitsversorgung in der Stadt.“

Zu entdecken gibt es einiges. Den Mediziner etwa, der als Erster eine Operation am Herzen erfolgreich vorgenommen hat. Ludwig Rehn, der im September 1896 eine Herzstichverletzung durch eine direkte Naht verschloss. In Frankfurt. Oder den Medizinnobelpreisträger Paul Ehrlich. Der gehört zu den Mitbegründern der modernen Chemotherapie. „Es ist wichtig, daran zu erinnern, wo wir herkommen“, sagt Graf. Reflexion über die Geschichte bringe Informationen, Erkenntnisse, ja Aufgaben für die Gegenwart. So sei das Haus schon immer für alle gesellschaftlichen Schichten offen gewesen, sagt Graf. Auch für die Arbeiterklasse. Frankfurt als Handelsstadt sei schon immer auch ein Hort der Prostitution gewesen und damit auch der sexuell übertragbaren Krankheiten. Der bereits erwähnte Paul Ehrlich reüssierte in der medikamentösen Behandlung der Syphilis.

Die Schau spart die dunklen Kapitel der Frankfurter Medizingeschichte nicht aus. Alle 122 Personen, die in der NS-Zeit entlassen oder entrechtet wurden, sind namentlich genannt. Die wegen ihrer politischen Einstellung oder weil sie jüdisch waren emigrieren mussten oder im KZ ermordet wurden. Widerstand? Nicht sehr ausgeprägt. „Wir müssen uns auch daran erinnern, wie opportunistisch die Ärzteschaft im ‚Dritten Reich‘ gewesen ist“, mahnt Graf.

Das Institut für Erbbiologie und Rassenhygiene wird in der Schau beschrieben, auch der berüchtigte Josef Mengele, der in Frankfurt promovierte. Mengele wirkte später als Arzt im KZ Auschwitz. Er selektierte die ankommenden Häftlinge, die einen wurden gleich ermordet, die anderen zunächst zum Arbeiten geschickt. Mengele war auch für pseudomedizinische Experimente an Menschen verantwortlich.

Kurator Sachs und sein Team erzählen die Frankfurter Medizingeschichte aber nicht nur anhand berühmter oder berüchtigter Köpfe und ihren Errungenschaften oder Verfehlungen. „Lange war Medizingeschichte so eine Art Heldenepos“, ulkt Sachs ein bisschen. Er wolle in der Ausstellung auch die Geschichten von Menschen erzählen, die nicht in den Chroniken vorkommen, aber gleichermaßen wichtig waren. Zum Beispiel Charlotte Mahler, Deutschlands erste Chefärztin für Chirurgie und Klinikdirektorin.

Thema ist auch die bauliche Entwicklung des Areals. Die Pflegeberufe bekommen ebenfalls Aufmerksamkeit, die Entwicklung vom bloßen Wärter zur vollen medizinischen Fachkraft. Und etwas ganz Verwegenes: Stimmen der Patient:innen, wie sie den Raum Klinikum empfinden. Die tauchen ja sonst eher als Zahlen in der Statistik auf. Nicht zuletzt gehört die Entwicklung des Medizinstudiums an der Goethe-Uni zu den Themen.

„Die Veränderungen der medizinisch-akademischen Ausbildung spiegeln gesellschaftliche und politische Verhältnisse wider“, sagt Stefan Zuzem, Dekan des Fachbereichs Medizin der Goethe-Uni. Als neue Fächer seien vor 50 Jahren etwa Strahlenschutz, Ökologie oder psychosomatische Medizin hinzugekommen. „Die künftige Approbationsverordnung definiert digitale Kompetenz und Kenntnisse des öffentlichen Gesundheitswesens als elementare Bestandteile des Studieninhalts.“

„Was bleibt wohl von den vergangenen drei Jahren im Lauf der Geschichte übrig?“, fragt sich derweil Direktor Graf. Was also werden die Menschen in 50 Jahren denken über den Kampf gegen das Coronavirus? Immerhin eine der größten „Herausforderungen in der Geschichte unseres Hauses“, sagt Graf. Eines sei indes bereits klar: „Diese intensive Zeit hat uns bewusstgemacht, wie viel Wissen und wie viele Fähigkeiten im Laufe der Frankfurter Universitätsmedizin generiert wurden.“

Die Dr. Senckenbergische Anatomie (rechts) war zur Eröffnung der Uni fertig, wurde aber bis Oktober 1915 als Reservelazarett genutzt.
Die Dr. Senckenbergische Anatomie (rechts) war zur Eröffnung der Uni fertig, wurde aber bis Oktober 1915 als Reservelazarett genutzt. © Universitätsklinikum Frankfurt
Das älteste Bild des Städtischen Krankenhauses, 1886.
Das älteste Bild des Städtischen Krankenhauses, 1886. © Universitätsklinikum Frankfurt
Student Arnd von Wedekind, von der Gestapo hingerichtet.
Student Arnd von Wedekind, von der Gestapo hingerichtet. © Universitätsklinikum Frankfurt
Dermatologe Karl Herxheimer starb im KZ Theresienstadt.
Dermatologe Karl Herxheimer starb im KZ Theresienstadt. © Universitätsklinikum Frankfurt
Der bedeutende Lehrstuhlinhaber Paul Ehrlich.
Der bedeutende Lehrstuhlinhaber Paul Ehrlich. © Universitätsklinikum Frankfurt
Das Institut für Erbbiologie und Rassenhygiene.
Das Institut für Erbbiologie und Rassenhygiene. © Universitätsklinikum Frankfurt
Ludwig Rehn stieg bis zum Professor für Chirurgie an der Universität Frankfurt auf. Institut für Stadtgeschichte Frankfurt
Ludwig Rehn stieg bis zum Professor für Chirurgie an der Universität Frankfurt auf. Institut für Stadtgeschichte Frankfurt © Institut für Stadtgeschichte Frankfurt

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