Frankfurt: Gott ist in der kleinsten Hütte

Weniger Mitglieder, weniger Präsenz? In Frankfurt probieren Katholiken und Protestanten Neues aus: zum Beispiel mit einem Tiny House im Lyoner Quartier
Nein, es wird keine Kirche auf Rädern. Auch wenn das am Anfang des Projekts ein Gedanke gewesen war. Es wird noch nicht einmal eine Kirche. Und doch ist das Tiny House, das vom Sommer an auf einem fahrbaren Trailer mitten im Lyoner Quartier – der ehemaligen Bürostadt Niederrad – seinen Standort finden soll, ein Vorhaben, das den Kirchen in einer Großstadt wie Frankfurt den Weg weisen könnte.
„Die Bürostadt befindet sich in einem großen Transformationsprozess, es ziehen immer mehr Menschen zum Wohnen hierher, und wir wollen diese Menschen in ihrem Leben begleiten“, sagt George Kurumthottikal. Der Soziologe hat zuvor an der Goethe-Universität und beim Logistikdienstleister FedEx gearbeitet. Nun ist der 40-Jährige im Auftrag des Bistums Limburg, zu dem auch Frankfurt gehört, als Projektreferent ausschließlich für das ökumenische Vorhaben im Lyoner Quartier zuständig. Von evangelischer Seite gehört Pfarrerin Anja Bode von der Paul-Gerhardt-Gemeinde ins Projektteam, die im alten, kleinstädtisch anmutenden Teil Niederrads ihr barockes Gotteshaus stehen hat.
Ein Gotteshaus gibt es nicht
„Wir sind als Kirchengemeinde auch für die ehemalige Bürostadt zuständig, und mit deren Bevölkerungswachstum wächst auch unsere Aufgabe“, sagt Pfarrerin Bode. Aber wie kann Kirche in einem Stadtteil, der vor Jahrzehnten als reiner Arbeitsort mit lauter Bürogebäuden geplant und verwirklicht wurde, Präsenz zeigen? Es gibt dort bislang ja noch nicht einmal einen Gemeinderaum, geschweige denn ein Gotteshaus.
Man habe überlegt, eine Wohnung anzumieten oder ein Ladenlokal. „Aber das war utopisch“, sagt Bode. Allein schon wegen der Mietpreise. Und selbst etwas bauen? „Das wäre nicht angebracht, nicht up to date“, verwirft Kurumthottikal den Gedanken. Nicht in Zeiten, in denen die Kirchen Mitglieder verlieren und es nicht nur ums Sparsamsein, sondern auch um Nachhaltigkeit gehe. Es sollte daher eher etwas Kleines sein. So kamen die Verantwortlichen aufs Tiny House.
Konstruiert und gebaut wird dieses Minihaus gerade von einem Architekturbüro in Weimar, sechs mal drei Meter groß, aus Holz, mit kleiner Küche, einer Toilette, Wasser und Stromanschluss. Darinnen ein Tisch, Stühle: Platz für ein paar Menschen, die zusammensitzen und reden wollen. Eine Wand soll aufklappbar sein, so dass der Platz rund um das Tiny House ebenfalls genutzt werden kann.
Tiefgreifender Wandel
Der Kirche laufen die Gläubigen weg, die Zahlen sind dramatisch. Bis zum Jahr 2060 soll es in Hessen nur noch halb so viele Christen und Christinnen geben wie heute.
560 777 Katholik:innen lebten 2021 im Bistum Limburg. 2012 waren es noch 648 570 gewesen. 22,1 Prozent der Bevölkerung waren damit katholisch. 2012 lag der Anteil noch bei 27,2 Prozent. Die Zahl der Gottesdienstteilnehmer:innen ging von 73 236 auf nur noch 22 615 zurück.
Die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) zählte Ende 2020 genau 1 446 971 Mitglieder. 2019 waren es noch 1 483 767 Mitglieder, ein Rückgang um 2,5 Prozent.
Um auf die Veränderung zu reagieren, hat die EKHN ihre Dekanate neu geordnet. Ziel des vor 25 Jahren begonnenen Prozesses ist es, die Kirchenstruktur den sinkenden Mitgliederzahlen anzupassen. Am 1. Januar 2022 ist die tiefgreifende Strukturreform zu einem Ende gekommen. Aus den einstmals 61 Dekanaten sind in mehreren Stufen 25 geworden.
In Frankfurt hat am 1. Januar der Umbauprozess der katholischen Stadtkirche begonnen. Hintergrund ist eine groß angelegte Neustrukturierung im Bistum Limburg, der sogenannte Transformationsprozess (Trafo), bei dem unter anderem aus elf Bezirken fünf Regionen gebildet werden. Frankfurt wird damit eine der fünf Regionen im Bistum. pgh
„Es soll ein Ort für alle sein“, erklärt Kurumthottikal. Man wolle „nicht nur die eigenen Schäfchen betreuen, sondern alle willkommen heißen“. Etwas Heimat schaffen, wie er sagt. Im Quartier wohnten viele junge Menschen, viele, die vor allem des Berufs wegen in Frankfurt seien, sich vielleicht kaum zugehörig fühlten, wenige Kontakte außerhalb der Arbeit hätten.
„Wir haben im Quartier gefragt, was die Menschen sich dort wünschen“, berichtet Pfarrerin Bode. Sie hätten am Supermarkt gestanden, Gespräche geführt. Nun soll das Tiny House ein Ort werden, an dem man sich trifft, um zu reden, wo Kinder auf der Grünfläche drumherum spielen können, es Kulturveranstaltungen geben soll mit Lesungen oder kleinen Konzerten. „Da kann ja auch mal unser Kirchenchor auftreten“, sagt Bode. „Und natürlich soll es dort auch Gottesdienste geben. Wir wollen uns als Kirche ja nicht verleugnen.“ Wer Seelsorge sucht, soll diese auch dort finden.
Mit Gott in Kontakt bringen
Seinen Platz finden soll das Häuschen an der Saonestraße, auf dem Gelände eines Investmentunternehmens. Dort haben die katholische und evangelische Kirche, die das Tiny House finanzieren, eine Grünfläche angemietet. Noch fehlt die Baugenehmigung, aber Projektreferent Kurumthottikal geht davon aus, dass es im Sommer im Lyoner Quartier losgehen kann. „Es ist ein Experimentierfeld“, sagt er. Man wolle mit dem auf fünf Jahre angelegten Projekt erproben, „wie wir Kirche neu unter die Menschen bringen können“. Kein Missionierungsprojekt, sagt Bode. „Aber wenn wir Menschen mit Gott in Kontakt bringen können, dann ist das auch ein Gewinn für unser gemeinsames Leben“, ist sie überzeugt.
Seinen Standort regelmäßig wechseln, wie das einmal angedacht war, wird das Tiny House nicht – schon, weil sich das wegen der nötigen Baugenehmigung als undurchführbar erwiesen hat. „Dafür weiß man dann auch, wo man uns findet“, sagt Bode.
Nicht ausgeschlossen aber sei, dass das Häuschen auf Rädern doch einmal weiterzieht – in einen anderen Frankfurter Stadtteil, in dem Kirche ebenfalls auf eine neue, andere Art Präsenz zeigen will.
Siehe auch: „Madonna und Milchkaffee: das Pax&People im Frankfurter Europaviertel“

