Frankfurt: Gerechtigkeit braucht viele Sprachen

Eine Diskussion im Haus am Dom legt vor allem die Schwächen des hessischen Bildungssystems offen. Die Podiumsgäste zeigen auf, warum Mehrsprachigkeit ein Gewinn ist und die deutsche Sprache trotzdem wichtig ist.
Die Podiumsdiskussion im Haus am Dom war schon fast zu Ende, da regte eine Zuschauerin an, den Begriff „Migrationshintergrund“ wegen der häufig negativen Konnotation zu verbannen und ein neues Wort zu schaffen. Podiumsteilnehmer Aladin El-Mafaalani, Professor für Erziehung und Bildung in der Migrationsgesellschaft an der Uni Osnabrück, gab ein Beispiel aus seiner Praxisarbeit mit jungen Menschen und schlug „internationale Geschichte“ vor. „Das wollten sogar die ohne Migrationshintergrund als Zusatz haben.“
Es war die dritte Veranstaltung der Frankfurter Hausgespräche zum Thema „Gerechte Sprache“. Diesmal ging es um „Sprachengerechtigkeit durch Mehrsprachigkeit?“. Weitere Teilnehmer:innen des Podiums waren Roland Kaehlbrandt, Vorsitzender des Vorstands der Stiftung Polytechnische Gesellschaft, Magdalena Knappik, Gastprofessorin Grundschuldidaktik, Mehrsprachigkeit und soziale Teilhabe an der Uni Kassel, sowie Brigitta Sassin, Referentin für Gemeinden anderer Muttersprache und christlich-islamischen Dialog bei der katholischen Stadtkirche.
Didaktische Konzepte würden gemeinsamen Regelunterricht ermöglichen
In einem Einwanderungsland mit vielen gesprochenen Muttersprachen, wie es Deutschland sei, brauche es die sichere Vermittlung der Landessprache, damit Teilhabe gesichert sei, so Kaehlbrandt. Aber ebenso sei Mehrsprachigkeit ein Gewinn. Der Staat müsse deshalb in größerem Umfang als bisher die verbreiteteren Herkunftssprachen der Menschen im Bildungssystem berücksichtigen. Lehrkräfte müssten grundlegend dafür sensibilisiert werden. Deutsch als Zweitsprache müsse verpflichtend zum Teil der Lehrerausbildung werden, um „herkunftssprachsensiblen Unterricht“ gestalten zu können, sagte Kaehlbrandt.
Knappik sagte, dass Kinder mit einer nichtdeutschen Muttersprache im monolingual ausgerichteten Unterricht häufig mit einer Abwertung ihrer Sprachigkeit und Person konfrontiert seien. Dabei gebe es didaktische Konzepte, die ein gemeinsames Lernen von Schüler:innen mit unterschiedlicher sprachlicher Ausgangslage im Regelunterricht ermöglichten. Trotzdem würden neu migrierte Kinder – auch in Hessen – in separierten oder teilseparierten Beschulungsformen zusammengefasst und von der Teilnahme am Regelunterricht ausgeschlossen. Dies führe zu fachlichen Rückständen, die sich später im Regelunterricht bemerkbar machten.
Lehrerausbildung in Hessen mangelhaft
Sie kritisierte zudem die Lehrerausbildung in Hessen. Nicht nur, dass sie mehrere Semester kürzer sei als in anderen Bundesländern, es gebe auch nicht das Modul „Deutsch für Schülerinnen und Schüler mit Zuwanderungsgeschichte“.
Sassin erklärte, dass Sprachengerechtigkeit für sie bedeute, wenn alle Menschen dieser Stadt das Recht hätten, die Sprache ihrer Eltern und Großeltern zu lernen. Dies geschehe in Frankfurt bereits in Samstagsschulen, in denen Kinder in ihren Muttersprachen unterrichtet werden. Solche Schulen bräuchten aber auch Anerkennung, pädagogische Fortbildungsangebote und Räume, damit Kinder sich am Wochenende treffen können. „Migration ist Verlust“, sagte Sassin. Wenn man den Bürger:innen aber erlaube, die Muttersprache zu pflegen und den Alltag trotzdem in der gemeinsamen Sprache Deutsch zu gestalten, dann werde Migration für alle zum Gewinn.
El-Mafaalani wies auf die Zweckrationalität hin, dass es in einem vielsprachigen Land eine gemeinsame Sprache brauche.