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Frankfurt: „Feste feiern, langer Tisch“

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Von: Thomas Stillbauer

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Jenny Fuhrmann vom Unverpacktladen „Grammgenau“, Philipp Franke und Christoph Graul (von „Die Kooperative“) im Gewächshaus im Bärengarten (v. l. n. r.).
Jenny Fuhrmann vom Unverpacktladen „Grammgenau“, Philipp Franke und Christoph Graul (von „Die Kooperative“) im Gewächshaus im Bärengarten (v. l. n. r.). © Renate Hoyer

Die Urban-Farming-Genossenschaft „Die Kooperative“ will näher ran an die Menschen und sucht sich neue Standorte – etwa den Laden „Grammgenau“ in Bockenheim.

Sie produziert Obst, Gemüse, Eier, Honig, Brot, Saft, Nudeln und noch mehr, alles bio: die Stadt-Landwirtschaft „Die Kooperative“. Vor ziemlich genau fünf Jahren auf den Oberräder Acker gepflanzt, erlebe das Projekt gerade einen Strategiewechsel, sagt Gründer Christoph Graul: „Die Möglichkeiten unserer Genossenschaft sind noch nicht annähernd ausgeschöpft.“

Schon seit 2021 gehört das Bistro „Suppengrün“ an der Berger Straße zu den Betrieben der Kooperative und neuerdings zählt auch der Bockenheimer Unverpacktladen „Grammgenau“ zur Genossenschaft. „Wir haben gemerkt, dass wir uns bei der Verteilung ändern müssen – und beim Anbau“, sagt Graul.

Thema Verteilung: Bisher packt das Team im Oberräder Hauptquartier im Bärengarten die Kisten mit den Ernteanteilen für die rund 700 Genossenschaftsmitglieder und verteilt sie an die etwa 40 Stationen überall im Stadtgebiet. Dort holen die Mitglieder ihr Gemüse dann ab. „Aber die Kisten stehen da ohne Gesicht“, sagt Graul.

Dabei wollte die Kooperative doch von Anfang an etwas anderes: Gemeinschaft. Auch beim Thema Anbau. „Unsere naive Annahme war: Die Leute kommen und machen mit.“ Machen sie aber nicht – jedenfalls nicht in dem Maße, wie es die Genossenschaft gern hätte.

„Das Gärtnern soll die Menschen verbinden“, sagt Philipp Franke, der sich künftig federführend um den Gemeinschaftsgarten kümmert, „sie sollen einen Draht zur Natur und zu den Mitmenschen entwickeln.“ Kleine Feste sollen organisiert werden, der Konsumgedanke solle in den Hintergrund treten. Entspannung sei angesagt, Freiraum und Sozialleben.

Auch in den Läden. „Suppengrün und Grammgenau sollen in spätestens zwei Jahren den Genossenschaftsgedanken atmen“, sagt Christoph Graul. Da spielt wieder das Thema Verteilung hinein: In den Läden gibt es warmes Essen, Lebensmittel ohne Verpackungsmüll, Kisten mit Ernteanteilen zum Abholen – und echte Menschen.

Graul: „Wir haben die Kooperative nicht gegründet, um Gemüse anzubauen. Die Intention war immer, sich sinnvoll für das Gemeinwesen einzusetzen. Aber das braucht eine wirtschaftliche Grundlage.“

Netzwerk der Ernährungsräte

Der Frankfurter Ernährungsrat setzt sich wie die Betriebe der solidarischen Landwirtschaft für eine gerechte Verteilung gesunder Lebensmittel ein. Gemeinsam mit Gleichgesinnten aus der ganzen Republik hat er jüngst offiziell das Netzwerk der Ernährungsräte gegründet.

Die bundesweite Vertretung will die öffentliche Debatte vorantreiben. Die gemeinsame Forderung der inzwischen mehr als 60 Ernährungsräte in Deutschland lautet: „Ernährungsdemokratie jetzt!“. Ziel ist der klimagerechte, ökologisch und sozial nachhaltige Wandel des Landwirtschafts- und Ernährungssystems. Als Dachorganisation will das Netzwerk Ansprechpartner für die Bundespolitik sein.

Den Räten missfällt , dass vor allem große Agrar- und Lebensmittelkonzerne, die auf den Weltmarkt ausgerichtet sind, „über unsere Ernährung bestimmen“, wie Valentin Thurn vom Netzwerkvorstand kritisierte. Immer mehr Menschen wollten mitentscheiden, wo ihr Essen herkomme und wie es produziert werde.

In der Sorge um Klima und Biodiversität gehe es immer noch fast nur um Energie und Mobilität. Dabei gehörten Landwirtschaft und Lebensmittelerzeugung zu den stärksten Treibern der Klimakrise und des Artensterbens. Die Ernährungsräte könnten wichtige Anstöße geben, um als Bindeglied zur Zivilgesellschaft die Ernährungswende zu meistern.

Dem neugewählten Vorstand des bundesweiten Netzwerks der Ernährungsräte gehört als Frankfurter Vertreterin Karen Schewina an, die an der Goethe-Uni mit einer Arbeit über Ernährungsräte promoviert.

Solidarische Landwirtschaft – gern Solawi abgekürzt – setzt auf Teilhabe: Menschen bauen gemeinsam auf öffentlicher Fläche Obst und Gemüse an und teilen den Ertrag. In den vergangenen Jahren gründeten sich immer mehr dieser Gemeinschaften. In Frankfurt folgten dem Vorreiter „Frankfurter Garten“ diverse Vereinigungen.

Die Frankfurter GemüseheldInnen mit ihren „Permakulturinseln“ genannten dezentralen Projekten und die Oberräder Kooperative mit Gemüsekisten fürs ganze Stadtgebiet hatten den größten Zuwachs beim solidarischen Gärtnern in den vergangenen Jahren. ill

Einst 30 000 Menschen zu ernähren – dieses Fernziel sahen Graul und der zu Jahresbeginn aus familiären Gründen ausgeschiedene Mitgründer Silas Müller 2018 als durchaus realistisch an.

Die Mitgliederzahlen wuchsen anfangs rasant und seien inzwischen stabil bei 700, obwohl Corona und Ukrainekrieg viele Menschen zum vorsichtigen Haushalten bewegt hätten. „Wir drängen nicht auf die 30 000“, sagt Graul. „Aber wir sind auch nicht die kleine, nette solidarische Landwirtschaft, sondern wollen schon einen gewissen Teil der Bevölkerung ernähren.“

Dazu trägt auch die Zusammenarbeit mit dem „House of Food“ bei, vom Frankfurter Ernährungsrat gegründet, das Bioessen auch für jene möglich machen will, die es sich eigentlich nicht leisten können. „Das geht am besten über Kitas und Kantinen“, sagt Grammgenau-Geschäftsführerin Jenny Fuhrmann. Mit den Kantinenchefs habe man sich beim jüngsten Stammtischtreffen auf ein bio-regionales Essensangebot pro Woche in den Betrieben geeinigt, berichtet Fuhrmann. An der Bereitstellung der gesunden Naturalien arbeitet die Kooperative auf ihren Ländereien in Oberrad und der Region – auch was etwa die Vorverarbeitung betrifft, die für die Kantinen eine große Rolle spielt. Eine Kartoffelschälroutine am Stammsitz im Bärengarten sei beispielsweise schon angedacht.

Als Nächstes denkt die Genossenschaft über einen Laden in Sachsenhausen nach, um auch dem Frankfurter Süden menschlich noch näherzukommen. Und dann: „Feste feiern, langer Tisch“, sagt Christoph Graul, „Lebensmittel als Vehikel für Gemeinschaft.“ Die Obst- und Gemüsesaison geht ja gerade richtig los.

Das Urban-Farming-Angebot der Kooperative: www.diekooperative.de

Konzept des House of Food für Kantinenessen: www.house-of-food-ffm.de

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