Frankfurt: Erinnern an Martha Wertheimer

Die Nationalsozialisten haben die jüdische Journalistin und Pädagogin 1942 deportiert. Der Ortsbeirat 5 benennt ihr zu Ehren den Adlhochplatz in Frankfurt-Sachsenhausen um. Die Zeremonie ist am 30. Juni.
Martha Wertheimer ist eine Frankfurter Heldin. So viel Pathos muss sein. Auch wenn die freie Historikerin Hanna Eckhardt es zurückhaltender formuliert. Pathos ist ihr verdächtig, Heldensagen ebenfalls. Folgen wir der Forscherin, etwas nüchterner: Martha Wertheimer war Pädagogin, Journalistin, Schriftstellerin. Sie war die vierte Frau, die an der Frankfurter Goethe-Universität promoviert hat. Sie hat in der NS-Zeit Kindertransporte ins Ausland organisiert, hat so Hunderte von jungen Menschen vor dem Tod bewahrt. Ihre eigene Deportation hat sie nicht überlebt. Schlimmer: Sie musste sie auch noch organisieren.
Vor 80 Jahren, am 10. und 11. Juni, brachten die Nazis den dritten großen Deportationszug des Frühjahrs 1942 auf die Schienen, sagt Hanna Eckhardt. Mehr als 1000 Frankfurterinnen und Frankfurter und 26 aus Wiesbaden werden in die polnische Stadt Izbica verfrachtet, gehen dort als Zwangsarbeiter zugrunde oder sterben in den Gaskammern in Sobibor oder Majdanek.
Das Datum soll nicht in Vergessenheit geraten, wünscht sich Eckhardt, ebenso der Name Wertheimer. Eckhardt beschäftigt sich seit Jahrzehnten mit der Biografie der jüdischen Frau, 24 Aktenordner hat sie mit Recherchen gefüllt. Begonnen hat sie damit als Archivarin der Metallgesellschaft AG in Frankfurt. Das Unternehmen hatte sich gebrüstet, „fast ohne Personenschaden“ durch die Nazizeit gekommen zu sein. Eckhardt hat das widerlegt. So ist sie auf Lydia Wertheimer gestoßen, Chefsekretärin in der Metallgesellschaft. „Eine dezente, kluge, charmante, auch schlagfertige Frau, zierlich und immer gut gekleidet, die Mutter war Schneiderin“, sagt Eckhardt.
Über Lydia stößt sie auf Martha, die Schwester. Die ist eher extrovertiert. Sie engagiert sich politisch, vor allem für das Frauenwahlrecht. Bei Eintracht Frankfurt ist sie Schriftleiterin der Vereins-Nachrichten. 1923 veröffentlicht sie ein Buch übers Fechten. Die Schwestern hatten eine „geradezu symbiotische Lebensgemeinschaft“, sagt Eckhardt, waren nur einmal für knapp drei Jahre getrennt. Martha geht nach der Entlassung aus der Redaktion der „Offenbacher Zeitung“ 1935 als Feuilletonchefin zum „Israelitischen Familienblatt“ nach Berlin. 1938 kehrt sie zurück, widmet sich der Sozialarbeit in der Jüdischen Gemeinde, kümmert sich um Waisenkinder, Altersheime, Schulen, Fortbildung junger Menschen, gibt Hebräisch- und Palästinakunde.
Die Gestapo teilt ihr schließlich eine andere Aufgabe zu, sagt Eckhardt: Wertheimer soll bei den anstehenden Deportationen die Opfer über die Details – Gepäckstücke, Verpflegung, Bargeld, Abgabe von Rundfunkgeräten, Schmuck, Haustieren – informieren. „Sie versuchte in vielen Einzelfällen zu verhandeln, Zeit herauszuschinden, Hoffnung zu schüren. Meist vergebens.“
Am 11. Juni stehen sie und ihre Schwester selbst auf der Liste. Der Leiter des Transports erleidet am Bahnhof einen Nervenzusammenbruch, so bestimmt die Gestapo Martha Wertheimer zur Organisatorin. „Die Menschen sollten Eimer und Schaufeln mitbringen, um „im Osten zu siedeln“. Das hat Hanna Eckhardt vom Frankfurter Gestapo-Mann Heinrich Baab erfahren. Sie nennt es das „scheußlichste Telefongespräch, das ich je im Leben geführt habe“.
Am Samstag wird sie Steine auf die kleinen Tafeln am Gedenkplatz in der Battonstraße in der Innenstadt legen. Der Ortsbeirat 5 (Frankfurt-Süd) wird den zentralen Platz gegenüber dem alten Straßenbahndepot Sachsenhausen (bisher Adlhochplatz) nach Martha Wertheimer benennen. Die Zeremonie ist für Donnerstag, 30. Juni, 18 Uhr, geplant. Es sprechen unter anderem Marc Grünbaum von der Jüdischen Gemeinde und Kulturdezernentin Ina Hartwig (SPD).
