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Frankfurt: Ein Raub, getarnt als Rettung

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Von: Andreas Hartmann

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Ein Blick in die Privaträume des Sammlers in seinem Palais in der Bockenheimer Landstraße 10.
Ein Blick in die Privaträume des Sammlers in seinem Palais in der Bockenheimer Landstraße 10. © mak Frankfurt

Dem Schicksal der vom NS-Regime geraubten Sammlung von Maximilian von Goldschmidt-Rothschild und ihres Besitzers geht das Museum Angewandte Kunst in einer interessanten und erschütternden Ausstellung nach

Die Täter waren so dreist, ihren Raub auch noch als Rettungsaktion darzustellen: Als in der Nacht vom 9. auf den 10. November auch in Frankfurt die Synagogen brannten und jüdische Geschäfte und Wohnungen geplündert oder zerstört wurden, da machte sich der NSDAP-Oberbürgermeister Friedrich Krebs Sorgen – nicht etwa um das Leben Tausender jüdischer Bürgerinnen und Bürger seiner Stadt, sondern um die kunsthistorischen Schätze, die der jüdische Bankier Maximilian von Goldschmidt-Rothschild mit erlesenem Geschmack in seinem Palais in der Bockenheimer Landstraße 10 zusammengetragen hatte.

Das Palais des Barons muss ein regelrechtes Märchenschloss gewesen sein. Hier, nur einen Steinwurf vom Opernhaus, der heutigen Alten Oper, entfernt, lebte einer der reichsten Männer Preußens inmitten seiner Sammlung, die einer fürstlichen Kunst- und Wunderkammer der Barockzeit alle Ehre gemacht hätte. Kurz vor der Pogromnacht hatte von Goldschmidt-Rothschild bereits die große Villa in bester Lage zwangsweise an die Stadt Frankfurt verkaufen müssen und wohnte nun für eine exorbitant hohe Miete im Dachgeschoss. Jahrzehntelang hatte er schöne Dinge gesammelt, chinesisches Porzellan, Orientteppiche, italienische Bronzefiguren der Renaissance, kostbare französische Möbel, niederländische Gemälde und vieles mehr.

Historische Fotografien der Wohnräume des 1944 bei einem Bombenangriff schwer beschädigten und später abgerissenen Palais zeigen ein herrliches Sammelsurium erlesenster Kostbarkeiten. Der 1843 als Mayer Benedikt Hayum Goldschmidt in Frankfurt geborene Bankier hatte in die berühmte Familie Rothschild eingeheiratet und war Vater von fünf Kindern. 1903 wurde er von Kaiser Wilhelm II. geadelt und 1907 als erster (und einziger) Jude in den preußischen Freiherrenstand erhoben. Der Baron war hochangesehen, galt als großer Mäzen und war 1914 einer der Stifter der Frankfurter Universität.

Doch seine Reputation half 1938 auch dem berühmten jüdischen Sammler nichts mehr. Die Stadt befürchte Plünderungen und könne für die Sicherheit seiner Schätze nicht mehr garantieren, sagte der Jurist Alexander Berg dem damals 95 Jahre alten Kunstsammler in einem Telefongespräch am Morgen nach der Pogromnacht. Oberbürgermeister Krebs habe da aber eine rettende Idee: den sofortigen Verkauf der Kunstobjekte an die Stadt Frankfurt. Dagegen hatte sich der Sammler lange gesträubt.

Schon einen Tag später unterschrieb Maximilian von Goldschmidt-Rothschild den „Kaufvertrag“, der diesen Namen kaum verdient. Denn die Summe von 2 552 030 Reichsmark, unterstes Limit des Schätzpreises, kam auf ein Sperrkonto, von dem hohe „Reichsfluchtsteuern“ für die Kinder des Barons gezahlt werden mussten und auf das der Sammler selbst keinen Zugriff hatte, wie Katharina Weiler vom Museum Angewandte Kunst (MAK) in Frankfurt in einer mehrjährigen Forschungsarbeit zur Provenienz, also Herkunft der MAK-Sammlung, recherchiert hat. „1945 behaupteten die Beteiligten dann, die Sammlung gerettet zu haben“, sagt die Kuratorin.

Aus Weilers Recherchen ist nun die hochinteressante Ausstellung „Die Sammlung von Maximilian von Goldschmidt-Rothschild“ entstanden, die das Museum bis zum 4. Juni dieses Jahres zeigt. Einige wunderbare Exponate sind dafür für einige Monate nach Frankfurt zurückgekehrt. Sie lassen in ihrer großen Vielfalt erahnen, wie opulent das Palais des Barons einst ausgestattet war und vielleicht auch, für was sich der Sammler besonders begeisterte.

Nur wenige Raubzüge des NS-Regimes dürften so genau dokumentiert sein wie dieser Zwangsverkauf an die Stadt. Die exakten Karteikarten mit Beschreibungen und Fotos, die nach dem „Verkauf“ angefertigt wurden, machen eine Rekonstruktion zumindest dieser Sammlung möglich.

Die Sammlung Maximilian von Goldschmidt-Rothschild

Bis zum Sonntag, 4. Juni, ist die erste Ausstellung zur Sammlung von Baron Maximilian von Goldschmidt-Rothschild, die bis zum Zwangsverkauf an die Stadt Frankfurt am 11. November 1938 eine der prachtvollsten deutschen Privatsammlungen ihrer Art gewesen war, im Museum Angewandte Kunst in Frankfurt zu sehen. Eröffnet wird sie am heutigen Freitag, 27. Januar, dem internationalen Holocaust-Gedenktag. Gezeigt werden 129 von einst etwa 1500 erlesenen Objekten, die der Frankfurter Bankier in seinem langen Leben zusammentrug. 58 Leihgaben kommen aus internationalen Museen und aus Privatbesitz.

Führungen mit der Kuratorin Katharina Weiler gibt es am Mittwoch, 1. Februar, und Mittwoch, 24. Mai, jeweils um 18.30 Uhr sowie zur Finissage am 4. Juni um 15 Uhr. Das Mara-Ensemble gibt an den Sonntagen, 28. Januar und 26. Februar, ein Streichkonzert,

verbunden mit einer Führung durch die Ausstellung. Karten dafür kosten 30 Euro. Das Mara-Ensemble spielt auch zur Nacht der Museen am Samstag, 13. Mai.

Der mehr als 600 Seiten starke Katalog erscheint nicht zur Ausstellungseröffnung am heutigen Holocaust-Gedenktag. Erst am Samstag, 29. April, 17 Uhr, wird er im Museum vorgestellt. Als Grund für die Verzögerung nennt MAK-Direktor Matthias Wagner K, dass die Forschungen zur Sammlung Goldschmidt-Rothschild noch immer nicht abgeschlossen seien. Präsentiert wird das Buch unter anderem von Jutta Ebeling als Vorsitzender der Hessischen Kulturstiftung und vom Verlag Walter und Franz König.

Das Museum am Schaumainkai 17 in Frankfurt ist dienstags, freitags, samstags und sonntags von 10 Uhr bis 18 Uhr, mittwochs auch bis 20 Uhr geöffnet. Auf der Seite www.museumangewandtekunst.de finden sich weitere aktuelle Informationen. Ermöglicht haben die Ausstellung zahlreiche Stiftungen, unter anderem die Kulturstiftung der Länder, das Deutsche Zentrum Kulturgutverluste, die Ernst-von-Siemens-Kulturstiftung, die Dr-Marschner-, die Ernst-Max-von-Grunelius- und die Holger-Koppe-Stiftung. aph

Von vielen anderen berühmten jüdischen Kunstsammlungen fehlt hingegen jede Spur, man denke nur an die französischen impressionistischen Gemälde, die dem Berliner Maler Max Liebermann und seiner Frau gehört hatten und die verschollen sind. Generell ist bei sehr viel Raubkunst die Herkunft bis heute nicht geklärt.

Die Städtische Galerie im Städel erhielt 71 Gemälde, das Liebieghaus 85 Kleinplastiken, das Museum für Kunsthandwerk, Vorgänger des MAK, schließlich die etwa 1350 übrigen Stücke aus der Sammlung. In den einstigen Wohnräumen des Rothschild-Palais in der Bockenheimer Landstraße richtete das Museum eine Zeitlang eine Zweigstelle ein, in der neben der Sammlung Goldschmidt-Rothschild auch beschlagnahmtes Silber jüdischer Familien und weitere Stücke aus enteigneten jüdischen Privatsammlungen ausgestellt wurden.

Wie sich der entrechtete Sammler, der nun über seinen Schätzen hauste, gefühlt hat, kann auch Kuratorin Weiler nur mutmaßen. Von Goldschmidt-Rothschild starb am 15. März 1940 im Alter von 96 Jahren in seinem früheren Heim. Ein Jahr später begannen die Massendeportationen der jüdischen Bevölkerung.

Dass der Zwangsverkauf der Goldschmidt-Rothschild’schen Sammlung zum viel zu niedrigen Schätzpreis ein großes Unrecht war, hätte nach 1945 eigentlich sonnenklar sein müssen. Die Frankfurter Museumsdirektoren wehrten sich jedoch intensiv gegen eine Rückgabe der kapitalen Stücke. Eine Rettung vor dem braunen Mob, kein Raub sei das gewesen, so die Lesart. 1949 wurde ein Kompromiss mit den Erben geschlossen, die allermeisten Werke der Sammlung zurückgegeben und schließlich 1950 in New York verkauft. Weiler hat einzelne Objekte in Museen und Sammlungen zwischen Karlsruhe und Los Angeles aufgespürt, die dort heute nach der Restitution ganz legal aufbewahrt werden.

Im MAK hingegen stieß sie auf 53 Stücke aus der Sammlung Goldschmidt-Rothschild, die aus nicht bekannten Gründen 1949 nicht zurückgegeben worden waren. Bei weiteren dreien ist die Herkunft unklar.

Die Stadt Frankfurt verhandle gerade mit den Erbberechtigten des Sammlers, sagt Weiler.

Maximilian von Goldschmidt-Rothschild war einer der reichsten Männer Preußens.
Maximilian von Goldschmidt-Rothschild war einer der reichsten Männer Preußens. © mak Frankfurt

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