Frankfurt: „Die Stadt muss endlich lebenswerter werden“

Der Frankfurter Architekt Stefan Forster sieht im Interview mit der FR die Notwendigkeit, bessere Wohnungen und Plätze zu bauen – gerade in der Corona-Pandemie.
Herr Forster, wird die Corona-Pandemie die Art und Weise, wie wir wohnen, verändern?
Das können wir nur hoffen. Gerade in der Pandemie, in einer Zeit, in der viele Menschen den ganzen Tag auf engstem Raum zusammenleben müssen, zeigt sich, dass die bisherigen Vorgaben für den sozialen Wohnungsbau falsch sind. Wir plädieren schon lange für Grundrisstypen, die statt der derzeitigen Kleinstbalkone große Terrassenbereiche entlang der gesamten Wohnung vorsehen, am besten zu beiden Seiten. Dadurch lässt sich das Leben auf den Bereich vor der Wohnung verlagern. Große Terrassenflächen sind auch mit Blick auf die Klimakrise unabdingbar. Enge Wohnverhältnisse fördern Konflikte und Aggressionen, größere Außenbereiche helfen, diese zu vermeiden.
Derzeit arbeiten zum Teil beide Eltern zu Hause und das Kind macht Schulaufgaben. Eine größere Wohnung in Frankfurt können sich aber die allermeisten schlicht nicht leisten.
Das ist ja das große Problem. Viele, die für das Funktionieren des städtischen Alltags unerlässlich sind – etwa die Krankenschwester oder der Polizist – können sich das Wohnen in der Stadt nicht mehr leisten und müssen bis in den Spessart ausweichen. Dafür müssen sie Fahrzeiten von einer Stunde und mehr für den einfachen Weg auf sich nehmen – und das für Jobs mit geringem Gehalt. Das ist eine große soziale Ungerechtigkeit. Für diese Menschen muss Wohnraum in der Stadt geschaffen werden.
Die Projektentwickler bauen lieber teure Eigentumswohnungen oder möblierte Apartments.
Die Bauträger haben kein Interesse an der Schaffung von bezahlbarem Wohnraum. Sie gehen immer bis zum maximal auf dem Markt erzielbaren Wert, für den sie die Wohnungen verkaufen können. Die Aufgabe, den fehlenden günstigen Wohnraum herzustellen, fällt den öffentlichen Wohnungsbaugesellschaften und den Genossenschaften zu. Dafür benötigen sie jedoch preisgünstige Grundstücke. Die Stadt und das Land müssen ihnen die Grundstücke kostenfrei überlassen.
In der Pandemie haben die Frankfurterinnen und Frankfurter wenig von dem, was das Leben in der Großstadt eigentlich ausmacht. Werden jetzt viele, die es sich leisten können, weil sie ohnehin auch von zu Hause arbeiten können, aufs Land ziehen, ins Häuschen im Grünen?
Ja, das glaube ich. Ich verbringe die Corona-Zeit relativ privilegiert in meinem Elternhaus in der Pfalz und bin nur noch zwei, drei Tage in der Woche in der Stadt. Für mich wäre es zurzeit – während des Lockdowns – schwer vorstellbar, hier zu leben. Es ist jetzt die Aufgabe der Politik, die Stadt endlich lebenswerter zu gestalten, etwa in dem sie Freiräume schafft und die vorhandenen verbessert. Bisher ist sie dieser Aufgabe nicht nachgekommen. Trotz des Klimawandels entstehen lauter Plätze mit großen versiegelten Flächen mit Bäumchen, die kaum Schatten spenden. Die Menschen haben Sehnsucht nach einem mediterranen Lebensgefühl. Die Gestaltung des öffentlichen Raums in Frankfurt kommt diesem Bedürfnis nicht nach. Frankfurt hat den Anschluss verpasst an die weltweite Diskussion über Lebensqualität in Städten. In jeder Großstadt in Europa denkt man über verkehrsfreie Gebiete nach …
Das geschieht doch auch in Frankfurt …
Aber man hat aus Mangel an fachlicher Expertise kaum etwas auf den Weg gebracht.
Es ist gut möglich, dass die neue Koalition, über die gerade verhandelt wird, eine autofreie Innenstadt anstrebt.
Es wäre auch notwendig, dass sich die neue Koalition dieses Themas annimmt, offensichtlich gibt es unter den neuen Stadtverordneten auch richtige Experten zu diesem Thema. Hier liegt meine Hoffnung. Den Mainkai zu sperren oder rote Farben auf die Straßen zu malen, ist noch kein Verkehrskonzept. Ich bin für eine verkehrsberuhigte Innenstadt. Die Anzahl der parkenden Autos in der Stadt muss radikal reduziert werden, um die Lebensqualität zu erhöhen. Bisher sind 80 Prozent des Straßenraums von Autos besetzt. Dieser Platz fehlt für Fußgänger und Radfahrer.
Ihr Architektenkollege Christoph Mäckler will sogar, dass auf der Zeil wieder Autos fahren.
Das halte ich für einen Joke. Den höre ich seit 30 Jahren – und er wird nicht besser. Ich glaube alle sind froh, dass dort keine Autos sind.
Viele Kaufhäuser an der Zeil stehen jetzt schon leer. Weitere könnten schließen. Was lässt sich mit den frei werdenden riesigen Flächen anfangen?
Das ist eine Riesenchance. Wir können die Struktur der Zeil verändern, die ganzen Kaufhäuser umnutzen. Man kann für die Erdgeschosse über Gastronomie und Kultur und kleinteiligere Geschäfte nachdenken. Die Obergeschosse können auch zum Wohnen genutzt werden. Die Zeil kann ein großstädtischer Boulevard werden.
Sind diese Gebäude in ihrer jetzigen Form denn überhaupt gut neu und anders nutzbar, etwa für Wohnungen, oder muss man nicht letztlich die Zeil ganz neu bauen?
Da muss man jedes Gebäude für sich betrachten. Aber man wird sicher einige abreißen. Das ist auch nicht so schade, denn schön sind sie alle nicht. Damit könnte man den Charakter der Zeil verbessern. Das wäre für die Qualität der Stadt und die Lebensqualität von enormer Bedeutung.
Zur Person
Stefan Forster (63) gründete das auf Wohnungsbau spezialisierte Büro Stefan Forster Architekten 1989 in Darmstadt. Seit 1995 hat es seinen Sitz in Frankfurt.
Nach dem Studium der Architektur in Berlin und Mannheim hatte Forster zunächst in Berlin und Mannheim gearbeitet, dann am Lehrstuhl für Wohnungsbau der TU Darmstadt. cm
Die neue Stadtregierung, die sich abzeichnet, will den Baulandbeschluss noch weiter verschärfen. Zu 60 Prozent sollen geförderte Mietwohnungen entstehen. Geht das nach Ihrer Ansicht in die richtige Richtung?
Ich weiß, dass die Bauträger sagen, dass sie mit solchen Vorgaben nicht bauen können. Ich sehe die Aufgabe, günstige Wohnungen zu schaffen, aber ohnehin bei den öffentlichen Wohnungsunternehmen und den Genossenschaften. Wir realisieren unsere besten Projekte derzeit für Genossenschaften, allerdings in anderen Städten. Sie bauen für ihren eigenen Bestand und haben eine ganz andere Denkweise als Bauträger. Die Genossenschaften fühlen sich für ihre Mieter und die Qualität des Stadtraumes als Lebensraum für die Menschen gleichermaßen verantwortlich.
Die neue Koalition dürfte restriktiver bei der Ausweisung von neuen Wohngebieten sein. Im Bereich Günthersburghöfe sollen nur noch die versiegelten Flächen bebaut werden.
Ich halte das für völlig falsch. Wir müssen neuen Wohnraum schaffen, daran führt kein Weg vorbei. Wenn wir aufhören zu wachsen, bedeutet das das Ende der Stadt. Bauen heißt immer Flächen versiegeln, heißt Veränderung. Die Frage ist: Wie kriegen wir Wohnen und Natur zusammen im städtischen Kontext?
Und was ist die Antwort?
Wir bauen möglichst hoch und mit möglichst großen Grünbereichen in den Höfen. Sie dienen als Gemeinschaftsflächen für die Menschen, die dort wohnen, als kleine, grüne Oasen in der Stadt. In Mannheim haben wir jetzt ein Projekt gebaut, bei dem wir im Hof Kleingartenflächen ausgewiesen haben. Das könnte es doch auch in Frankfurt geben.
Interview: Christoph Manus
