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Frankfurt: „Die Paulskirche liegt im Dornröschenschlaf“

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Von: Florian Leclerc

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Das Netzwerk Paulskirche plant eine „global assembly“ in der Paulskirche. Foto: Rolf Oeser
Das Netzwerk Paulskirche plant eine „global assembly“ in der Paulskirche. © Rolf Oeser

Thomas Gebauer, Mitinitiator des Netzwerks Paulskirche, über die Bedrohungen für die Demokratie und was man dagegen tun kann.

In Frankfurt hat sich das Netzwerk Paulskirche gegründet, um Veranstaltungen zum 175. Jahrestag der Nationalversammlung in der Paulskirche vorzubereiten und eine „global assembly“ ins Leben zu rufen. Mitinitiator Thomas Gebauer, Kuratoriumsmitglied der Stiftung Medico International, erklärt, warum ein Aufbruch für mehr Demokratie nötig ist.

Herr Gebauer, woran denken Sie, wenn Sie die Frankfurter Paulskirche sehen?

Die Paulskirche gilt weithin als Wiege der deutschen Demokratie. Ich selbst sehe in ihr einen Ort des Aufbruchs aus feudaler Abhängigkeit hin zu Verhältnissen, die allen Menschen ein Leben in Würde ermöglichen.

Löst die Paulskirche dieses große Versprechen, den Aufbruch zur Demokratie, heute noch ein?

Nein, ich denke nicht. Die Paulskirche scheint mir eher von einer Art Dornröschenschlaf befallen zu sein. Wie die Demokratie in Deutschland insgesamt. Für mich ist es erschütternd zu sehen, wie viele Menschen, deren Interessen auf dem Spiel stehen, nicht an Wahlen teilnehmen.

Was folgern Sie daraus?

Demokratie muss heute neu belebt werden. Das ist die Absicht unserer Aktion. Es bedarf keiner erbaulichen Sonntagsreden, aber auch keiner rückwärtsgewandten musealen Beschäftigung mit der Paulskirche. Demokratie muss im Alltag der Menschen wieder erfahrbar werden, als Lebensform.

Wie kann die Frankfurter Paulskirche einen solchen Aufbruch zur Demokratie vermitteln?

Indem die Stadt für Möglichkeiten sorgt, mit denen die Zivilgesellschaft sich den Ort und mit ihm den demokratischen Prozess selbst wieder aneignen kann. Frankfurt ist stolz auf seine weltoffene und kritische Öffentlichkeit. Sie zu fördern, ist kein Luxus, sondern grundlegend dafür, Demokratie lebendig zu halten.

Sie sehen Demokratie als Prozess, nicht als statischen Zustand?

Demokratie ist nie ‚fertig‘. Um auf die Veränderungen in der Welt reagieren zu können, muss sich Demokratie beständig weiterentwickeln. Mit Blick auf die gegenwärtigen Krisen ist es höchste Zeit, Demokratie über die Freiheitsrechte hinaus auch als eine soziale und ökologische Demokratie zu denken.

Das Netzwerk Paulskirche plant eine „global assembly“, die an die Nationalversammlung von 1848 erinnern soll. Worum geht es dabei?

Wir leben in einer Welt, die inzwischen voller gegenseitiger Abhängigkeiten ist. Wandte sich die Versammlung von 1848 gegen die feudale Kleinstaaterei, muss es heute darum gehen, den Nationalismus, der gerade eine gefährliche Renaissance erfährt, zu überwinden. Menschen in aller Welt sehnen sich nach demokratischen Verhältnissen. Sie sehnen sich nach menschenwürdigen Lebensverhältnissen im Lokalen, die längst durch die globale Wirklichkeit beeinflusst werden. Mit der „global assembly“ wollen wir einen Ort schaffen, an dem all die Sehnsüchte, Träume und Ideen für eine neue globale Ordnung zur Sprache kommen können, auch und gerade das Utopische. In der Erklärung der Menschenrechte der Vereinten Nationen heißt es in Artikel 28: ‚Jeder hat Anspruch auf eine soziale und internationale Ordnung, in der die in dieser Erklärung verkündeten Rechte und Freiheiten voll verwirklicht werden können‘. Wie eine solche Ordnung aussehen könnte, darüber gilt es nachzudenken.

Ist Demokratie für Sie ein universal und global anwendbares Prinzip, um Grundrechte durchzusetzen, etwa zur freien Entfaltung der Persönlichkeit, Meinungsfreiheit, Gleichheit?

Ich war 40 Jahre lang in der Entwicklungszusammenarbeit tätig und bin viel in der Welt herumgekommen. Überall habe ich Menschen getroffen, die genau das wollen. Ohne demokratische Verhältnisse kann sich kein menschenwürdiges Leben entfalten. Aber ohne soziale Sicherheit auch keine Demokratie. Das sind universelle Grundsätze.

Shalini Randeria, Rektorin des Instituts für die Wissenschaften vom Menschen in Wien, hat den Begriff ‚sanfter Autoritarismus‘ für Länder wie Ungarn, Brasilien oder Indien geprägt. Wie bewerten Sie die Entwicklung der Demokratie in diesen Ländern?

Autoritarismus ist das Gegenteil von Demokratie. Demokratie lebt von den Menschen, die sie tragen. Darin liegt übrigens auch das Problem, das wir mit der gegenwärtigen Europäischen Union haben. In dem Maße, wie sich die Brüsseler Institutionen von den Menschen entfernt haben, ist auch der Traum eines geeinten Europa verblasst.

Was ist die größte Bedrohung für die Demokratie?

Seit Jahrzehnten nimmt das Krisengeschehen zu, doch die Antworten, die von den bestehenden Institutionen kamen, behaupteten immer, alternativlos zu sein. Das hat viele Menschen demoralisiert. Diese Demoralisierung gehört für mich zu den größten Herausforderungen für die Demokratie, weil sie Menschen in die Resignation treibt – sie gehen dann nicht mehr wählen – oder anfällig macht für rechtspopulistische und nationalistische Bestrebungen.

Die „global assembly“ strebt eine Demokratie von unten an. Was ist damit gemeint?

Demokratie muss sich grundsätzlich von unten herausbilden, sie kann nicht von oben aufgezwungen werden. Demokratie bedeutet tätige Teilhabe. Ohne die Möglichkeit, sich selbst mit anderen über die Gestaltung der eigenen Lebenswelten auseinandersetzen zu können, kann Demokratie nicht überdauern. Das wollen wir mit unserem Programm deutlich machen.

Es reicht also nicht aus, als gute Demokratin, als guter Demokrat alle vier oder fünf Jahre ein Kreuzchen auf dem Wahlzettel zu machen?

Wahlen sind wichtig. Es braucht aber sicher mehr als wählen. Die Herausforderungen, die vor uns liegen, sind groß. Ohne ein öffentliches Bewusstsein für die Notwendigkeit eines sozial-ökologischen Aufbruchs wird dieser Aufbruch nicht gelingen.

Was kann die Stadt Frankfurt tun, um einen solchen Aufbruch zu unterstützen?

Wir würden uns freuen, wenn uns die Stadt bei der Verwirklichung unserer Vorhaben tatkräftig zur Seite stünde. Erste Sondierungsgespräche, die wir mit Parteien und dem Büro des Oberbürgermeisters führen konnten, lassen uns hoffen. Ich fände es super, wenn sich die Stadt zusammen mit der Frankfurter Stadtgesellschaft künftig als ein Labor für zeitgemäße Demokratie begreifen könnte.

Können Sie ein Beispiel nennen, was so erreicht werden könnte?

In Zürich haben die Bürgerinnen und Bürger dafür gekämpft, dass sich Menschen ohne Papiere, die Sans-Papiers, mit einer Zürich City Card ausweisen können, um eine Wohnung zu bekommen und nicht kriminalisiert zu werden. In Zürich ist das fundamentale Recht, Rechte zu haben, nicht mehr an eine nationalstaatliche Zugehörigkeit gebunden, ein großer Schritt in Richtung globaler Demokratie.

Interview: Florian Leclerc

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