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Frankfurt: Die Armut in der Finanzmetropole wächst

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Von: George Grodensky

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Helferinnen und Helfer im Einsatz: Die Frankfurter Tafel gibt Lebensmittel an Ärmere in der Kirche St. Lioba im Stadtteil Bonames aus. Rolf Oeser
Helferinnen und Helfer im Einsatz: Die Frankfurter Tafel gibt Lebensmittel an Ärmere in der Kirche St. Lioba im Stadtteil Bonames aus. © Rolf Oeser

Die Preise steigen, die Energiekosten auch. Immer mehr Menschen suchen deshalb Hilfe bei Beratungsangeboten.

Frankfurt - Sie versucht, ihre Zigarette anzuzünden. Im Nieselregen gelingt das nicht auf Anhieb. Mit einer Hand stützt sie sich auf den Griff ihres Einkaufstrolleys. Die Rentnerin kommt gerade aus einem Discounter im Gallusviertel von Frankfurt, wohnt gleich um die Ecke. Der Trolley ist randvoll, ganz oben eine Packung Croissants.

Ja, es sei teurer geworden, sagt die 77-Jährige. Das merke man schon. Vor allem sei weniger in den Packungen. „Mein Mann isst doch so gerne diese Münchner Weißwürste. Statt fünf sind da nur noch vier in der Packung“, sagt sie. Aber sie winkt ab, will sich nicht beschweren. Sie könne auch vegetarisch kochen.

Frankfurt: Armutslinderung ist nur Linderung

Eine andere Familie, die Frau kauft mit ihrer Tochter ein, klingt vorwurfsvoller. „Vorher haben wir für 50 Euro zwei Tüten bekommen, jetzt nur noch eine“, sagt die Tochter. Sie deutet auf die Papiertüte in ihrer Hand. „Seit Ende der Sommerferien wird alles teurer. Was soll man machen?“

Was sich in den kleinen Szenen vor dem Supermarkt zeigt, ist eine Entwicklung, die Sozialträger in Frankfurt mit großer Sorge sehen. Sie helfen, wo sie können. Aber Armutslinderung ist eben nur Linderung. Für Stephan Griebel-Beutin vom Caritasverband Frankfurt ist die Politik gefragt.

Armut in Frankfurt: Die Inflation steigt, die Einkommen sinken

Das Problem sei nicht neu, die jüngsten Preisanstiege verschärfen es. Die Inflation steigt, die Einkommen sinken. Die Caritas betreibe seit 15 Jahren bereits Projekte zur Energiesparberatung, in Frankfurt sind sie gestartet, inzwischen finden sie deutschlandweit Beachtung. „Die Erhöhung des Regelsatzes um drei Euro ist eine Farce“, sagt Griebel-Beutin über den aktuellen Hartz-Beschluss aus Berlin. Viel zu wenig sei das, um Menschen Teilhabe zu ermöglichen. „Es kann nicht sein, dass soziale Dienste und Tafeln das auffangen müssen.“

Zumal die Tafeln selbst am Limit sind. Seit der Corona-Pandemie kommen immer mehr Bedürftige, Menschen in Kurzarbeit, Bezieherinnen und Bezieher von Arbeitslosengeld, Rentnerinnen und Rentner, inzwischen auch Kinder und Jugendliche, ein Hinweis auf wachsende Armut von Familien. Edith Kleber von den Frankfurter Tafeln seufzt. „Gerade die für die gesunde Ernährung wichtigen frischen Lebensmittel werden teuerer“, sagt sie bedauernd. Überdies hätten die Tafeln selbst mit steigenden Kosten zu kämpfen. Noch dazu haben Lebensmittelmärkte ihre Bestellungen reduziert, es fällt weniger für die Tafeln ab.

Auch Griebel-Beutin sieht, dass Familien oder Alleinerziehende sich „im Spannungsfeld der Konsumgesellschaft“ aufreiben. „Es gibt Menschen, die sich das schlichtweg nicht leisten können“, regional und nachhaltig einzukaufen. Was die Menschen zusätzlich unter Druck setze: „Die gehen dann mit schlechtem Gewissen einkaufen.“

„Relative Armut“ in Frankfurt

Aber sind die Frankfurter so arm? Melanie Hartmann, Referentin für Armutspolitik bei der Diakonie Hessen, spricht von „relativer Armut“, im Vergleich zum relativen Wohlstand der Mehrheitsgesellschaft. Menschen gelten als relativ arm oder armutsgefährdet, wenn sie weniger als 60 Prozent des mittleren Einkommens zur Verfügung haben. In Hessen sind laut Statistischem Bundesamt (2019) 16,1 Prozent der Menschen von Armut betroffen, in Frankfurt 19 Prozent.

Zu beobachten ist, dass immer mehr Menschen Beratungsangebote in Anspruch nehmen. Etwa die Hilfe der hessischen Schuldnerberatungen; das hat eine aktuelle Umfrage der freien Wohlfahrtsverbände ergeben. Seit 2019 verzeichnen manche Stellen einen Anstieg der Nachfrage um mehr als ein Drittel. „Hier zeigen sich deutlich die Auswirkungen der Pandemie“, sagt Hartmann. Vor allem Menschen in Kurzarbeit, Minijobberinnen und -jobber, Selbstständige sind in Not.

Auch die Wohnungsnotfallhilfe verzeichne einen massiven Zulauf. Immer mehr Menschen haben Probleme bei der Suche nach bezahlbarem Wohnraum in Frankfurt. Die Kostengrenzen, unterhalb derer das Jobcenter die Mietkosten übernimmt, sind vergleichsweise niedrig. Viele Familien und Einzelpersonen im ALG-II-Bezug müssen die Kostendifferenz aus den Regelsätzen querfinanzieren. „Das bedeutet für sie eine dauerhafte Versorgung unterhalb des sozio-ökonomischen Existenzminimums“, sagt Hartmann. Rücklagen können sie keine bilden, für die Anschaffung von defekten Küchengeräten zum Beispiel.

Frankfurt: Prävention von Armut ist wichtig

Viele der Ratsuchenden sind mit den bürokratischen Hürden überfordert, vor allem wenn der Besuchsverkehr in den Behörden eingeschränkt ist. Außerdem haben sich durch die Krise und ihre Folgen die Konflikte in etlichen Familien verstärkt; die Familien- und Trennungsberatungen haben deutlich mehr zu tun.

Dazu kommen psychosoziale Herausforderungen aufgrund von Einsamkeit, Isolation und Verlusterfahrungen. „Es gibt vermehrt depressive Verstimmungen durch mangelnde Sozialkontakte und fehlende Tagesstruktur sowie Überforderungssyndrome in den Familien“, sagt Hartmann. Viele plagen auch Zukunftssorgen.

Auch sie sieht die Politik in der Pflicht: „Eine armutsfeste Kindergrundsicherung wäre ein wichtiger Baustein zur Armutsbekämpfung.“ Dazu eine „signifikante Erhöhung“ der monatlichen Regelsätze für Erwerbslose, um eine „wirkliche und würdige Teilhabe der Menschen an der Gesellschaft“ zu ermöglichen. Investitionen in bezahlbaren Wohnraum seien ebenso gefragt wie kostendeckende Übernahme der Mieten durch die Jobcenter. Auch Prävention von Armut sei wichtig, Investitionen und eine Erhöhung von Armutssensibilität im Bildungssystem. (George Grodensky)

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