Alkoholsucht in Zeiten von Corona: „Soziale Kontrolle fehlt“

In Zeiten von Corona wird Sucht noch unsichtbarer, sagt Susanne Schmitt. Nicht die einzige Gefahr, die die Frankfurter Expertin derzeit sieht.
- Die Corona-Krise* beunruhigt Sucht-Expertin Susanne Schmitt aus Frankfurt
- Sie sagt: Suchtkranke passen ihr Konsumverhalten an – das kann gefährlich werden
- Im Interview erklärt sie, wie Abhängige auf die Einschränkungen reagieren
Frankfurt – In Zeiten der Corona-Pandemie wird Sucht noch unsichtbarer, sagt Susanne Schmitt, die Chefin der Landesstelle für Suchtfragen in Frankfurt. Speziell mit Blick auf Alkohol wachsen in der Krise die Gefahren. Aber auch rund um das Geschäft mit illegalen Drogen verschärft sich die Lage, erklärt Schmitt im Gespräch mit Redakteurin Jutta Rippegather.
Frau Schmitt, die Kneipen sind zu. Wo wird jetzt getrunken?
Die Menschen passen sich den Umständen an und kaufen Alkohol im Supermarkt oder online. Es ist damit zu rechnen, dass zu Hause vermehrt Alkohol getrunken wird, das heißt, der Konsum zunimmt. Verlässliche Zahlen hierzu fehlen im Moment.
Expertin aus Frankfurt: Die Corona-Krise birgt neue Herausforderungen für Suchtkranke
Ist das gefährlicher als in Gesellschaft?
Der Konsum zu Hause ist weniger sichtbar. Man überschätzt sich leicht mit den Mengen oder fängt früher am Tag damit an, Alkohol zu trinken. Momentan haben viele Menschen keine Beschäftigung, sind im Homeoffice* und intensiver mit ihren Familien zusammen als bisher. Das bringt neue Herausforderungen mit sich.
Also besteht die Gefahr, dass Menschen jetzt häufiger aus Langeweile zur Flasche greifen?
Neben Langeweile gibt es weitere Gründe, wie zum Beispiel eine fehlende Tagesstruktur, Ängste und Sorgen um die Zukunft, die ebenfalls zum Konsum verleiten. Wir wissen, dass bei länger andauerndem Alkoholkonsum auch das Risiko zunimmt, dass das Trinken zur Gewohnheit wird. Dies kann zur Abhängigkeit führen. Menschen, die bereits problematisch Alkohol konsumieren, sind hier besonders gefährdet.

Wie hat sich der Markt für illegale Drogen verändert?
Die Situation verschärft sich. Die Grenzen sind dicht, Drogenwege abgeschnitten, auf dem Schwarzmarkt sind weniger Drogen verfügbar. Die Preise für Cannabis und Kokain sind stark gestiegen. Drogen zu kaufen wird also immer schwieriger. Das führt zu steigender Kriminalität, denn durch Betteln kann man sich kaum noch Geld beschaffen.
Corona in Frankfurt bringt unfreiwilligen Entzug für Drogensüchtige
Gibt es denn noch Geldquellen?
Es ist anzunehmen, dass sich Drogenkonsumierende durch den Suchtdruck auch vermehrt prostituieren, um an Geld zu kommen. Da Hotels geschlossen sind, wird sich das auf die Straße verlagern. Ohne Geld und ohne Drogen sind viele Drogenabhängige einem unfreiwilligen Entzug ausgesetzt, der tödlich enden kann.
Auch Spielhallen und Wettannahmestellen sind geschlossen. Wohin weichen die Zocker aus?
Suchtexperten warnen davor, dass verstärkt übers Handy, Tablet oder den Computer gespielt wird. Dass auch die Möglichkeit des Onlineglücksspiels stärker genutzt wird als bisher. Obwohl das momentan noch verboten ist, außer in Schleswig-Holstein. Wenn man zu Hause online spielt, fehlt oft die soziale Kontrolle. Die Sucht ist für niemanden mehr sichtbar. Es kann sein, dass Glücksspieler und Glücksspielerinnen in Corona-Zeiten vermehrt im Internet spielen. Aber dazu gibt es noch keine Zahlen. Das wird man erst nach der Corona-Krise sagen können.
Hessen und Frankfurt: Suchtberatung trotz Corona erreichbar
Wird derzeit überhaupt noch Suchtberatung angeboten?
Hessische Landesstelle für Suchtfragen, Telefon 069 / 713 76
Sucht- und Drogenberatungsstellen in Hessen www.hls-online.org/adressen/
Bundesweite Sucht- und Drogen-Hotline 01805 / 313 031
Telefonseelsorge 0800 / 111 011 1 oder 0800 / 111 022 2
In Hessen sind die Sucht- und Drogenberatungen erreichbar und zahlreiche Anlaufstellen der Suchthilfe ebenfalls. Alle arbeiten unter erschwerten Bedingungen und haben, wo möglich, ihr Angebot der Coronakrise angepasst. Die Beratung erfolgt überwiegend via Telefon-, Mail- oder Chatberatung und die Akzeptanz bei den Klient*innen ist gut. Aber Angehörige von suchtkranken Menschen benötigen genauso Hilfe wie die Abhängigen selbst. Deshalb ist es wichtig, dass die Beratungsstellen für alle Hilfesuchenden auch in Corona-Zeiten erreichbar bleiben.
Interview: Jutta Rippegather
Übrigens: Alkohol zu trinken, hilft nicht gegen das Coronavirus – trotz anhaltender Gerücht. Überhaupt ist das riskante Trinken laut dem DAK-Gesundheitsreport ein zentrales Problem in ganz Hessen. Die Frankfurter sind dem Report zufolge im Schnitt gesünder als ihre Landsleute.
Frankfurts Gesundheitsamtchefs sind zuversichtlich, dass sie die Pandemie weiter im Griff haben. Von der Tracing-App halten sie wenig.