Frankfurt-Bockenheim: Initiativen träumen von Räumen

Zahlreiche Gruppen wollen das bald leer stehende Juridicum auf dem künftigen Kulturcampus als Zwischennutzung bespielen. Fest und Markt der Möglichkeiten am Freitag.
Ende April verlässt die Goethe-Uni das Juridicum und übergibt es an die ABG-Holding, die Wohnungsgesellschaft der Stadt Frankfurt. Aber was soll damit geschehen? Sollte man den Bau erhalten und im Sinne der Nachhaltigkeit sanieren, um Ressourcen zu schonen? Der Magistrat habe sich dafür ausgesprochen, sagt Tim Schuster vom Offenen Haus der Kulturen in Bockenheim. Schuster macht am Dienstag aber noch eine andere Rechnung auf.
Nicht nur sei der Erhalt der Betonkonstruktion physisch nachhaltig, es herrsche auch ein recht großer Raumbedarf unter Kunst- und Kulturschaffenden sowie sozialen Initiativen in der Stadt. Wenn die bis zum endgültigen Abriss oder der Sanierung in fünf bis zehn Jahren das Haus zwischennutzen könnten – oder länger –, würde das eine in Hülle und Fülle vorhandene Ressource sinnvoll freisetzen: zivilgesellschaftliches Engagement.
So ist eine ganze Reihe von Initiativen am Dienstag im Studierendenhaus gegenüber vertreten, um entsprechende Ideen vorzustellen. Ihrem Vorhaben geben sie den Namen „Reallabor Kulturcampus“. Die Ada-Kantine etwa, die Soli-Küche, die seit Juli 2020 Essen für Bedürftige zubereitet. Zum Sommer, spätestens Ende des Jahres, wird sie ihr Domizil in der ehemaligen Akademie der Arbeit verlieren. Dort entsteht ein Wohnprojekt. Die vorgelagerte ehemalige Bibliothek des Juridicums wäre eine ideale Alternative, sagt Anica Josuttis. Mit mehr Platz könnte man auch das Thema Lebensmittelrettung erweitern.
Das Bildungsprojekt mit dem Arbeitstitel „Ukrainischer Raum“ sucht ebenfalls händeringend einen Ort, um eine Schule für geflüchtete Menschen aus der Ukraine zu gründen. „Wir sind sehr dankbar“, sagt der 17-jährige Tim Diachenko, dankbar dafür, in Deutschland eine Zuflucht gefunden zu haben. Aber die deutschen Schule seien mit den ukrainischen Kindern doch zuweilen überfordert. Zwar können die ihr Schulpensum aus der Heimat auch online erlernen. Das, so hat man es selbst leidvoll beim Corona-Homeschooling erlebt, ist aber nicht uneingeschränkt gut für den Bildungserfolg – was inzwischen auch Studien belegen. Vor allem die Gruppe der ab 16-Jährigen hänge zuweilen durch, sagt Diachenko.
Verständlich. Die Jugendlichen kommen in ein fremdes Land, sprechen kein Deutsch, wenig Englisch, manche sind vom Krieg traumatisiert. Und dann müssen sie gleich unter Druck am Schulabschluss arbeiten. Die nicht gerade eindeutige Zukunftsperspektive erschwere die Motivation zusätzlich.
An einer ukrainischen Schule zu lernen, wäre entspannter, zumindest einfacher, weil in der Muttersprache unterrichtet würde. 15 Lehrkräfte hat die Gruppe bereits an der Hand, könnte vier Klassen für 60 Jugendliche eröffnen. Was fehlt, sind ein rechtlicher Rahmen für einen anerkannten Schulabschluss, finanzielle Mittel und eben Räume.
Die Anliegen der Kunst- und Kulturschaffenden vertritt am Dienstag Sepp’l Niemeyer von der Koalition der Freien Szene. Bildende Künstler suchten Ateliers, Musikerinnen und Musiker bräuchten Räume zum Proben und Lehren. Ebenso die Segmente Tanz und Theater. Der Kulturcampus biete auch die Möglichkeit, sich zu vernetzen oder Kooperationen einzugehen. Etwa mit einer ukrainischen Schule.
Auch die Freunde Bockenheims hätten gerne wieder Räume. Das Archiv des Geschichtsvereins lagere derzeit in den Katakomben der Senckenberggesellschaft, sagt Willy Breder. Ans Arbeiten sei dort nicht zu denken. Darum träume man von einem gemeinsamen Lesesaal mit anderen Archiven, zum Beispiel dem Archiv der Revolution oder der feministischen Bibliothek.
Die Liste der Bedürfnisse ließe sich problemlos fortschreiben, was am Freitag auch geschehen soll. Um 19 Uhr beginnt auf dem Campus ein Fest mit Musik, Essen aus der Ada-Kantine und einem Markt der Möglichkeiten, auf dem sich die Initiativen präsentieren, die das Juridicum nutzen möchten. Die Fassade soll eine Lichtshow zieren. Immerhin ist sie die größte Projektionsfläche der Stadt, wie Britta von der Recke vom Offenen Haus der Kulturen sagt. Das gilt für die Quadratmeterzahl wie auch für all die Träume, die sich inzwischen darum ranken. www.kulturcampus-frankfurt.de