Frankfurt: Alt, lesbisch, unsichtbar

Yvonne Ford, Hedda Hansen und Ulrike Schmauch sind Ü-70 und lieben Frauen. Die Gesellschaft nehme sie aber nicht wahr, sagen sie selbst. Queersein werde nur mit Jungsein verbunden. Die Frankfurterinnen kämpfen dafür, gesehen zu werden
Alte lesbische Frauen sind uninteressant. „Uninteressant“ ist das Wort, das die 75-jährige Yvonne Ford wählt, um zu beschreiben, dass sie vom Großteil der Gesellschaft nicht wahrgenommen wird. Genauso erleben und empfinden es Ulrike Schmauch (73) und Hedda Hansen (79). Schmauch sagt: „Viele denken: ‚Eine alte Lesbe? Was soll das sein?‘ Schon in den üblichen Angeboten der queeren Community ist Alter nicht mitgedacht. Denn queer zu sein wird damit verbunden, jung zu sein, unterwegs zu sein, auf Demos und in Clubs zu gehen.“ Beim Interview sitzen sie in einem Dönerladen in der Innenstadt, weil hier am Vormittag noch wenig los ist.
Die drei Frauen sind Teil der Gruppe des Frankfurter Treffpunkts Lesben 57++, die sich einmal im Monat im Libs – Lesben Informations- und Beratungsstelle in der Alten Gasse – über Persönliches und Politisches, über lesbisches Leben im Alter und im Allgemeinen austauschen.
Der offene Treffpunkt sei ein Ort, wo sie reden könnten – eben ohne laute Hintergrundmusik wie in den queeren Bars – und einer, der relativ barrierearm sei: Hedda Hansen braucht einen Gehstock und ist schwerhörig. „Es bräuchte überhaupt viel mehr Begegnungsräume für verschiedenste Stadtbewohner:innen“, sagt sie. Das Libs hat in diesem Jahr in Frankfurt die Veranstaltungsreihe „Ein Platz für ältere Lesben“ mit Filmen und Lesungen gestartet. An diesem Mittwoch (26. April) ist der Internationale Tag der lesbischen Sichtbarkeit.
Das Nicht-Sichtbarsein beginne schon in den Medien: „Beim CSD landen in der Zeitung meist nur die Fotos von Dragqueens oder anderen jungen schwulen Männer, aber wir als ältere Lesben ohne auffallende Klamotten werden gar nicht erst fotografiert“, sagt Schmauch. Hansen sagt: „Wir verschwinden.“ Ford drückt es so aus: „Sichtbarkeit ist nicht nur ein Bild in der Zeitung, sondern wir wünschen uns, dass ältere lesbische Frauen als Teil der Gesellschaft gesehen werden. Wir wissen von Frauen in Altenheimen, die sich nochmal verstecken, weil sie fürchten, dort als lesbische Frauen nicht akzeptiert zu werden.“ Es müsse ein Umdenken im Gesundheitswesen und der Pflege geschehen, so dass eben keine unsensiblen Fragen im Altersheim mehr gestellt werden wie: „Wieso hängen hier eigentlich keine Bilder Ihrer Enkelkinder?“ Schmauch war viele Jahre Hochschullehrerin an der Frankfurt University of Applied Sciences, hat dort Sozialarbeiter: innen ausgebildet und auch Seminare zu Antidiskriminierung oder gleichgeschlechtlichen Lebensweisen gegeben. Sie sagt: „Offene Fragen zu stellen, ist wichtig: Also beispielsweise: ‚Sind Sie in einer Partnerschaft? Und nicht: ‚Wie geht es Ihrem Mann?‘“
Der Treffpunkt Lesben 57++ ist eine gemischte Gruppe: Ein Teil seien Frauen, die ihr Leben lang lesbisch gelebt haben. Ford, Hansen und Schmauch hingegen waren in der Vergangenheit mit Männern verheiratet und haben Kinder. Sie kommen aus einer Generation, die erst später im Leben wusste, dass es Lesbischsein überhaupt gibt.
Hansen wächst auf dem Land in Schleswig-Holstein auf. Mit 16 schickt die Mutter sie auf die Landfrauenschule. Dort verliebt sie sich in eine Mitschülerin. „Aber ich hatte dafür keinen Begriff.“ Als die Direktorin einen Verdacht hegte, habe sie den Mädchen gesagt, dass das zwischen ihnen etwas Unnatürliches sei. „Wir haben das gar nicht verstanden, wir waren noch total unbedarft, wussten gar nicht, was sie von uns wollte. Aber unsere Reaktion war: ‚Warum unnatürlich? Wir lieben uns doch.‘“
Schmauch wird in Detmold in Nordrhein-Westfalen groß: „Ich spürte bereits in der Pubertät eine erotische Anziehung zu Mädchen, und schon in der Kindheit hatte ich Gefühle der Verliebtheit zu Mädchen. Gleichzeitig habe ich gesehen, dass es um mich herum nie eine Realität war und ich habe dann im Lexikon ein Wort für meine Gefühle gesucht. Ich fand heraus, dass es lesbisch hieß.“ Die gebürtige US-Amerikanerin Ford wird in den Südstaaten groß: „Auch dort gab es keine Vokabel, keine Bilder, kein gar nichts. Ich war weit über 30, bevor ich überhaupt das Wort Lesben zum ersten Mal hörte. Da lebte ich in Montreal.“ Zweimal heiratet sie Männer – aus einer Ehe hat sie vier Kinder.
Auch Hedda Hansen ist zweimal verheiratet mit Männern, arbeitet als Lehrerin für musische Fächer und bekommt eine Tochter. „Als die Frauenbewegung Ende der 60er anfing, bin ich sofort daraufgesprungen, war in vielen linken Frauengruppen, ein paar Jahre später habe ich auch das erste Wetterauer Frauenfest mitorganisiert.“ Aber erst mit Ende 30, als sie nach Frankfurt zieht und ihr damaliger Partner ihr sagt: „Du willst keinen Mann, du willst eine Frau“, habe sie gemerkt, dass er recht hatte.
In einem Frauenferienhaus, eine Bildungsstätte, die Feministinnen gegründet hatten, besucht sie einen Kurs: „Ich wollte erkunden, was bin ich denn nun überhaupt? Bin ich bi oder lesbisch?“ Mit Anfang 40 hat sie ihre ersten lesbischen Beziehungen. „Ich hatte zwei Freundinnen. Eine in Frankfurt, eine in Lübeck“, sagt sie und lacht.
War die Liebe mit Frauen ein anderes Lebensgefühl? „Es war wie eine Aufladung. Nicht nur erotisch, sondern überhaupt. Ich war zu Hause. Ich bin tief innerlich bei mir angekommen. Für diese Identität habe ich mich dann auch bewusst entschieden.“ Im Nordend initiiert sie ein paar Jahre später einen lesbischen Salon: „Es war mir ein Anliegen, dass lesbische Kultur in Frankfurt entstehen konnte.“
Anlaufstellen
Die Lesben Informations- und Beratungsstelle (LIBS) in Frankfurt gibt es seit 1992. Der Verein vernetzt und berät in der Alte Gasse 38, lesbische und bisexuelle Mädchen und, Frauen.
Es gibt verschiedene offene Gruppen. Darunter der Treffpunkt Lesben 57 ++, alle zwei Monate gibt es sonntags einen Brunch um 11 Uhr im LIBS. Die nächsten Termine: 7. Mai und 2. Juli.
Die Termine der Veranstaltungsreihe „Ein Platz für ältere Lesben“ und alle weiteren Infos sind auf der LIBS-Website einzusehen: www.libs-ffm.de
Anlässlich des Tages der Lesbischen Sichtbarkeit am 26. April lädt LIBS Lesben Informations- und Beratungsstelle e.V. zu einem Stadtspaziergang um 17 Uhr, Treffpunkt LIBS, Alte Gasse 38. Ein Ausklang im Anschluss mit Snacks und Getränken findet um 19 Uhr im JuLe-Treff (Hinterhof der Beratungsstelle) statt. rose
Seit langem ist die 79-Jährige „Mitfrau“ beim bundesweiten feministisch-lesbischen Verein „Safia – Lesben gestalten ihr Alter“. Wie ist das eigentlich mit der Liebe im Alter? Hansen sagt: „Anders als bei Heterosexuellen, wo ältere Männer sich eher von jungen Frauen angezogen fühlen, sind ältere Lesben körperlich und geistig noch attraktiv füreinander. Ältere Lesben sind auch für jüngere attraktiv. Meine letzte Freundin war viel jünger als ich. Da war ich 68.“ Sie lacht. Lange lebte sie in einer Hausgemeinschaft, dort pflegte sie auch eine Ex-Freundin, mit der sie sich nach der Trennung schwesterlich verbunden fühlte. „Seit zwei Jahren lebe ich allein.“ Eine Beziehung hat sie aktuell nicht.
Ulrike Schmauch ist 47, als sie sich entscheidet, lesbisch zu leben. Sie hatte vor der Ehe schon lesbische Beziehungen. „Ich wurde aber damals nicht glücklich mit den Frauen. Also habe ich mich nach einigen Jahren wieder einem Mann zugewandt. Wir hatten für längere Zeit ein gutes Beziehungs- und Familienleben. Gleichzeitig war meine Homosexualität ruhend, aber doch wach.“ Im Laufe der Jahre sei ihr Wunsch, sich wieder den Frauen zuzuwenden, immer stärker geworden, und sie habe sich schließlich von ihrem damaligen Mann getrennt. „Meine Söhne waren da acht und 14. Es war für sie schwer zu verstehen, dass ich mich in eine Frau verliebe und von ihrem Vater trenne. Ich habe mich oft schuldig gefühlt, dass ich diesen Schmerz nicht vermeiden konnte, aber ich wusste, es war der richtige Schritt.“ Seit 25 Jahren lebt sie nun lesbisch. „Seit zehn Jahren bin ich in einer sehr glücklichen Beziehung. Es ist die beste meines Lebens.“
Auch Yvonne Ford, die seit 1979 in Frankfurt lebt, ist in einer glücklichen Beziehung. Doch auch ihr lesbisches Leben beginnt erst später. „Ich war 48, als ich mich hier in eine Frau verliebte und mich dann von meinem zweiten Mann trennte. Keiner meiner Ex-Männer war überrascht, weil sie immer wussten, wie wichtig mir Frauen sind. Für meine vier Kinder, die damals zwischen 13 und 23 waren, war es eine lange Phase, bis sie damit klarkamen. Es war deshalb so schwierig, weil sie damals nur Schwule, aber keine Lesben kannten. Wenn eine Gruppe nicht gesehen wird, ist das ein Hindernis für einen Normalisierungsprozess“, sagt Ford. Das war Ende der 90er Jahre. „Das hat sich gebessert, es gibt heutzutage viele LSBTIQ-Serien oder Filme.“ Aber auch da sind die Protagonist:innen meist eben jung.
Wären die drei Frauen eigentlich lieber im Jahr 2000 geboren? Alle schütteln den Kopf. „Nein, ich fand die Bestätigung in den 70ern Jahren, sich als Frau stolz, kämpferisch und relevant zu fühlen, eine großartige Möglichkeit“, sagt Schmauch. „Es war sehr stark durch Gemeinschaftsgefühle geprägt“, sagt Hansen. Dieses Gefühl des gemeinsamen Kampfes für eine geschlechtergerechte Welt fehle ihr bei der jungen Generation. Schmauch sagt: „In der heutigen LSBTIQ-Welt gibt es viele kleine Untergruppen: Es ist alles viel narzisstischer, der Akzent liegt auf dem: ‚Wer bin ich? Was habe ich für einen Körper? Welche Identität habe ich?‘ Was mir heute fehlt, ist die Solidarität.“
Ford erzählt, dass sie anfangs Schwierigkeiten hatte, Gleichgesinnte zu finden, die wie sie erst später im Leben merkten, dass sie lesbisch leben wollten. 2006 hat sie deswegen die Initiative „Late Bloomers“ gegründet. „Ich biete überregional Coaching und Seminare an. Die älteste Frau, die mit mir Kontakt aufnahm, war fast 80. Sie hat leider sehr spät verstanden, dass sie lesbisch ist. Sie konnte das aus gesundheitlichen Gründen nicht mehr umsetzen.“
Zudem hat Ford auch zusammen mit anderen die Initiative „Lesbischer Herbst“ gegründet. Bei den Tagungen für ältere Lesben ab 49 ginge es auch um das Thema Armut: „Alleinstehend, alt, arm und lesbisch zu sein, ist eine K.O.-Kombination“, sagt Ford. Sie war lange an der Frankfurt University of Applied Sciences als wissenschaftliche Mitarbeiterin im Fachbereich Soziale Arbeit tätig.
Auch bezahlbarer Wohnraum für alleinstehende Frauen, die immer lesbisch gelebt hatten, sei ein großes Thema für ihre Generation: „Damals gab es nicht wie heutzutage die Möglichkeit der künstlichen Befruchtung und keine Regenbogenfamilien. Alleinstehende Lesben haben daher im Alter auch keine Unterstützung durch eigene Kinder“, so Ford. „Es ist wichtig, dass die Bedürfnisse aller Menschen in der Politik berücksichtigt werden, aber dass die Alten und die alten lesbischen Frauen dabei nicht verschwinden.“
Auch Vereinsamung und Hilfe anzunehmen, sei ein großes Thema. Ford betont: „In unserer Gruppe haben wir festgestellt, dass das Thema ‚Hilfe erbitten und Hilfe annehmen‘ im Alter oft ganz schwer ist für Lesben. Für viele Lesben hat Autonomie einen hohen Wert: ‚Ich mache mein Leben alleine, ich will über mich selbst bestimmen.‘ Diese Haltung ist bei manchen von uns stark ausgeprägt.“ Hansen sagt: „Wir haben auch sehr darum gerungen.“ Schmauch sagt: „Im Alter können wir ein bisschen über diese Einstellung lachen. Wir sind eben nicht mehr so autonom. Wir sind eben auch ‚alte Krücken‘.“
Dann betont sie: „Wir wollen in der Gesellschaft nicht nur als die Alten, Gebrechlichen gesehen werden, sondern als die älter werdenden, mit reduzierter Kraft noch aktiven Personen, die sich für Lesben, Frauenrechte und für eine diverse, plurale Gesellschaft engagieren.“