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Frankfurt: Adler im Herzen

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Von: Thomas Stillbauer

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Stolpersteinenthüllung an der Mainzer Landstraße. V.r.: Bürgermeisterin Nargess Eskandari-Grünberg, Martin Dill von der Initiative, Ehepaar Adler, Matthias Thoma und Stefan Minden (Eintracht).
Stolpersteinenthüllung an der Mainzer Landstraße. V.r.: Bürgermeisterin Nargess Eskandari-Grünberg, Martin Dill von der Initiative, Ehepaar Adler, Matthias Thoma und Stefan Minden (Eintracht). © Renate Hoyer

Emotionale Stolperstein-Enthüllung für die „Schlappeschneider“. Die Firmeninhaber waren Freunde der Eintracht – bis die Nazis sie trennten.

Es sind nicht nur Fußballfeste, die die große Eintracht-Familie vereinen – regelmäßig trifft sie sich auch zum Gedenken. Am Dienstagvormittag ist das frühere Gelände der Schuhfabrik J. & C. A. Schneider im Gallus das Ziel – im Volksmund bekannt als „Schlappeschneider“. Der Betrieb produzierte von 1908 bis 1944 Hausschuhe, in den 1920er-Jahren als größter Hersteller der Welt, bis ihn der Naziterror zerschlug.

Es sei ein besonderer Anlass, sagt Martin Dill von der Initiative Stolpersteine Frankfurt den gut 50 Gästen der Zeremonie: Selten, dass ein Stein nicht an einem früheren Wohnort verlegt wird, sondern da, wo eine Firma stand. Zudem ist es bereits die 15. Beteiligung von Eintracht Frankfurt.

Geburtsstätte der „Schlappekicker“

Dafür hätte es keine passenderen Anlass geben können, sagt Eintracht-Vizepräsident Stefan Minden. Er erinnert daran, dass die Firma „den deutschen Wortschatz um das hübsche Wort Schlappekicker ergänzt“ habe – weil sie die Eintracht unterstützte, die Fußballer einstellte und ihnen Freiheit dafür ließ, für ihre sportlichen Ziele zu trainieren. Das trug ihnen den liebevollen Beinamen Schlappekicker ein. „Eine frühe Form von Homeoffice“, vergleicht Minden. Aber montagmorgens habe der Betrieb fast stillgestanden, weil die Belegschaft von den Kickern erst mal wissen wollte, wie das Spiel am Wochenende gelaufen sei.

Zudem hatte die jüdische Inhaberfamilie einen Eintracht-affinen Namen: Adler. Die Brüder Fritz und Lothar Adler kauften die Firma 1910, behielten aber den Namen Schneider bei. „Sie haben die Geschichte der Eintracht geprägt“, sagt Stefan Minden, um dann an die dunkle Seite der Entwicklung zu erinnern. Fritz Adler wurde in der Pogromnacht 1938 verhaftet, ins Konzentrationslager Buchenwald verschleppt und erpresst: Die Familie müsse ihre Fabrik verkaufen. Für etwa drei Prozent des eigentlichen Werts fiel das Unternehmen an die Nazis. Die Familie Adler rettete sich mit knapper Not in Richtung Amerika. Ihre Geschichte hat Matthias Thoma, Direktor des Eintracht-Museums, 2007 mit seinem Buch über die Vereinsgeschichte in der NS-Zeit, „Wir waren die Juddebube“, ins Bewusstsein gerückt. Ein Meilenstein, gefolgt von vielen weiteren, etwa Reisen von Eintracht-Gruppen zu Orten des Gedenkens.

„Wir sind es leid!“

Jene, die der Unrechtsstaat einst ausschloss, wieder hereinzuholen in die Mitte, ist Sinn der Stolpersteine. Und noch etwas: „Es brüllt aus diesen Steinen“, sagt Minden, „wir sind es leid! Dass wir heute immer noch gegen Antisemitismus kämpfen müssen“. Bürgermeisterin Nargess Eskandari-Grünberg (Grüne) lobt die Eintracht für ihr Engagement: Sie habe ein weiteres Zeichen gesetzt. Museumschef Thoma betont, dass die Stolpersteine auch hülfen, Kontakt zu halten mit Nachkommen einst aus Frankfurt Vertriebener, von denen manche nie wieder nach Deutschland zurück wollten – aber jedes Wochenende fragten, wie die Eintracht gespielt habe. Ein großes, weltweites Eintracht-Ehemaligen-Treffen, das wäre doch etwas, schlägt er vor.

Adler-Enkel aus den Niederlanden angereist

Eric Adler, Enkel des Gründers Lothar Adler und mit seiner Frau Gabriele aus den Niederlanden zur Stolpersteinenthüllung angereist, mag die Idee. Er nennt es „ungeheuer anerkennenswert und wichtig“, was Thoma, das Eintracht-Museum und auch Präsident Peter Fischer für „eine Gesellschaft des Miteinanders“ leisteten. Im Übrigen seien seine Frau und er seit vorigem Jahr Eintracht-Mitglieder. „Mit diesem Nachnamen kann man ja gar nicht anders“, sagt Adler.

Roman Kuperschmidt spielt auf der Klarinette wunderschöne, traurige Melodien zum Anlass. Stolpersteine wurden am Dienstag auch an acht weiteren Stellen in der Stadt verlegt. Seit Sonntag waren es 83, seit Beginn der Initiative im Jahr 2003 mehr als 1800 Steine in Frankfurt.

Eine Firma und vier Adler: die Stolpersteine vor der Mainzer Landstraße 293, schräg gegenüber der ehemaligen Post.
Eine Firma und vier Adler: die Stolpersteine vor der Mainzer Landstraße 293, schräg gegenüber der ehemaligen Post. © Renate Hoyer

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