Markt am Frankfurter Mainufer: Floh zu sein bedarf es wenig

Der Flohmarkt am Mainufer ist wieder da – deutlich kleiner, und das ist ein Gewinn.
Dribbdebach des Eisernen Stegs läuft man am frühen Samstagnachmittag einem Junggesellinnenabschiedsmob in die Arme. Schön ist das nicht. Und es erinnert daran, was man in Zeiten, in denen die Seuche noch ernst genommen wurde, nicht vermisst hat, nämlich Junggesellinnenabschiede. Und Junggesellenabschiede auch nicht.
Jetzt sind beide wieder da. Ebenso wie der Frankfurter Flohmarkt. Den hat man eigentlich auch nicht wirklich vermisst. Kino, Kneipe, Kirmes – das Fehlen der drei großen Ks war bitter. Aber kein Flohmarkt? Wen juckt’s? Taschendiebe womöglich.
Aber offensichtlich nicht ausschließlich. „Hier soll doch wieder Flohmarkt sein“, wundert sich eine junge Frau. „Der war doch immer am Eisernen Steg“, wundert sich ihr Begleiter mit, glotzt durch sein Handy ins Internet und sagt, „hier steht auch: am Schaumainkai“.
Aber der Schaumainkai ist groß. Was man vom postcoronalen Flohmarkt nicht mehr so richtig behaupten kann. Der beginnt jetzt erst am Filmmuseum. „Katastrophe“ steht auf einem großen Museumsplakat, das aber nicht die Marktschrumpfung kommentiert, sondern für die aktuelle Ausstellung wirbt und fragt, „was kommt nach dem Ende?“. Was den neuen Flohmarkt betrifft, ist die Antwort klar: das Städel.
BUCHUNG
Jeden Samstag zwischen 9 und 14 Uhr – außer an Feiertagen – findet der Frankfurter Flohmarkt abwechselnd am Schaumainkai (zwischen Untermainbrücke und Friedensbrücke) oder am Osthafen in der Lindleystraße statt. Standplätze sind im Flohmarktbüro (Lindleystraße 14) oder über das Onlineformular buchbar. Telefonische Reservierungen sind nicht möglich. Auch Dauerbuchungen werden nicht vergeben. Reservierungen sind bis zu einer Größe von fünf Meter buchbar.
Weitere Infos und Termine auf:
www.hfm-frankfurt.de/flohmaerkte
Doch schon am Filmmuseum erinnert ein alter Bekannter, der soeben seinen Marktbesuch beendet hat, daran, dass es nicht auf die Größe ankomme. „Der Markt hat eindeutig gewonnen“, sagt er. „Hier wird jetzt viel weniger Mist verkauft als vorher. Und man wird nicht mehr so oft über den Tisch gezogen. Leider gibt es jetzt aber auch weniger Verkäufer, die man über den Tisch ziehen kann, weil sie gar nicht wissen, was für Schätze sie da verkaufen.“ Seinen Namen möchte der Informant lieber nicht in der Zeitung lesen. Er kommt aus einem Land im Balkan, dessen Bewohnern eine solide Schlitzohrigkeit klischeestiert wird.
Schon nach den ersten Ständen wird klar, dass man den Flohmarkt doch ein bisschen vermisst hat. Hier treffen Welten in kleinem Raum aufeinander. Wo sonst steht eine ehrwürdige Menora in bizarrer Harmonie neben einem Hello-Kitty-Taschenventilator? Wo sonst schaut Oscar Wilde von seinem Buchrücken beinahe wohlgefällig auf Heidi Klum, die sich auf der Titelseite eines alten Magazins räkelt. Wo sonst findet man an einem Stand informative und spannende Sachbücher wie Ludwig Richters „Heimat und Volk“ oder die „Satzung der Reichsbahn-Arbeiterpensionskasse, Band I“ direkt neben reaktionären Pamphleten wie „Vegan for fit“ des Gerüchtekochs Attila Hildmann? Nur hier.
Und hier wird fast jeder fündig. Eine Frau stöbert begeistert durch eine Kiste mit alten Tierfiguren eines heute fast vergessenen Herstellers. „Die hatten auch Wale damals in den 80ern“, sagt der Händler und spreizt die Arme, „solche Oschis! Ich hab‘ sogar den weißen, den es heute gar nicht mehr gibt.“ Und während Marktbeschicker Ahab noch sein Garn spinnt, stürzt sich am Stand nebenan ein junger Mann begeistert auf einen Drückaschenbecher aus den 70ern. „Digga!“, brüllt er seinen Begleiter an, „das ist genau der Haushaltskram, den ich suche!“ Haushaltskram, Digga? Gibt’s auf Flohmarkt, Bro!
Ein paar Meter weiter dreht ein Verkäufer einem Kunden eine Heilschale mit angeblich heilender Wirkung an. Einmal draufgeklöppelt und Pest, Pocken und Prostata sind perdu. Der Verkäufer klöppelt. Es ertönt ein heilsames und wohlklingendes „Ooohm“. Der Kunde klöppelt. Es klickert unschön. „Übungssache“, sagt Händler. „Ich glaube dir, Bruder!“, sagt der Kunde. Verkauft! Schwerer tut sich der Händler, der ausgerechnet in Frankfurt einen Bembel mit der Aufschrift „Neu-Isenburg“ feilbietet. Nur „Offenbach“ wäre aussichtsloser. „Zehn Euro!“, schlägt der Mann seinem wenig interessierten Publikum vor. „Sieben Euro!“ Nutzt auch nix. „Drei Euro, letztes Wort. Ist guter Preis. Mit gutem Preis geht alles, auch Zucker für Diabetiker!“ Aber kein Neu-Isenburg-Bembel für Frankfurter. Nicht verkauft! Zuhören macht trotzdem Freude. Und kostet gar nichts.
Eigentlich ein schöner Flohmarkt, muss sich da auch der Flohmarktmuffel eingestehen – und dreht gerne eine zweite Runde, die mit der neuen Größe auch konditionell keine Problem mehr darstellt. Der Nachmittag aber geht langsam seinem Ende entgegen und mit ihm der Flohmarkt. Die ersten Beschicker fangen mit dem Zusammenräumen an. Letzte Zweifel an der Marktqualität beseitigt ein Marktschreier, der seine Produkte als Last-Minute-Schnäppchen anpreist – mit dem wunderschönen Slogan „Feierabendpreise! Alles teurer!“.
Auch wenn man den alten Flohmarkt nicht vermisst hat – den neuen würde man wohl vermissen, wenn er wieder weg wäre.

