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Es ist nicht alles Worscht

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Von: Jutta Rippegather, Hanning Voigts

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Hessen pflegt seine regionalen Eigenheiten - ob sie in den Mund hineinkommen, oder aus ihm heraus

In Kooperation mit der Universität Kassel soll der bis zu einem Jahr dauernde Reifeprozess der Ahlen Wurst zukünftig mit künstlicher Intelligenz unterstützt werden. Informatiker:innen der Universität sammeln über Sensoren, die in den Würsten stecken, Daten zu Temperatur und Luftfeuchtigkeit in den Kammern. Sie messen Wassergehalt und pH-Wert der nordhessischen Delikatesse. Immanuel König (l.), wissenschaftlicher Mitarbeiter, und Katharina Koch, Geschäftsführerin der Landfleischerei Henry Koch, sehen sich auf einem Laptop die Messkurven für die mit Sensoren ausgestatteten „Ahlen Würste“ in der Reifekammer an.
In Kooperation mit der Universität Kassel soll der bis zu einem Jahr dauernde Reifeprozess der Ahlen Wurst zukünftig mit künstlicher Intelligenz unterstützt werden. © Uwe Zucchi/dpa

Es war ein langer und steiniger Weg. 16 Jahre ließ die EU-Kommission die Bevölkerung von Nordhessen zappeln. Ungezählte Male saßen die Leute beim Abendbrot vor ihrer Spezialität ohne Siegel - nur weil Brüssel den besonderen Wert beharrlich ignorierte. Immer in Sorge, dass irgendwer - etwa in Spanien, Österreich oder auch Portugal - ein schnödes Fleischprodukt für etwas ausgibt, was es nicht ist. Doch jetzt ist die Qualität endlich anerkannt. Hat die Ahle Worscht den Olymp erklommen. Steht in einer Reihe mit Champagner, Parmaschinken, Nürnberger Lebkuchen, Schwäbischen Spätzle, Holsteiner Tilsiter, Lübecker Marzipan: Die sogenannte Nordhessische Ahle Wurscht ist in das Register für geschützte geografische Kennzeichnungen aufgenommen. Bis aus Brüssel kommen die Gratulanten: Martin Häusling, Agrarpolitischer Sprecher der Grünen im Europaparlament und nordhessischer Biolandwirt, ist begeistert: „Es ist ein großer Erfolg der Region Nordhessen und ich beglückwünsche alle Beteiligten, die sich dafür eingesetzt haben.“

Stracke geht auch

Erleichtert äußert sich auch Hessens Europaministerin Lucia Puttrich. Wenige Monate vor dem Rückzug der CDU-Politikerin aus der Landespolitik ist der Spezialität doch noch die gebührende Anerkennung zuteil gekommen. Ein wenig Eigenlob flechtet Puttrich in ihrer frohe Botschaft mit ein. Die Landesregierung habe mit dafür gekämpft, die Bewerbung für die geschützte geografische Angabe in den vergangenen Jahren aktiv unterstützt. „Nicht nur, weil ganz viel hessische Tradition in der Ahle Wurscht steckt, sondern weil es auch eine Wertschätzung für traditionelle Herstellungsweisen und regionale Köstlichkeiten bedeutet.“ Puttrich sagt, sie freut schon auf die nordhessische Spezialität mit dem Siegel. Und lässt uns weitere Details wissen - was auch nicht ganz unwichtig ist: Die Ahle Wurscht, sagt sie, darf auch als Ahle Worscht bezeichnet werden, oder Feldkieker, Dürre Runde, Stracke.

Hessisch ist nun mal nicht Hessisch. Mitunter pflegt jeder Ort sein eigenes Idiom. Keine neue Erkenntnis. Aber eine, die die Büttenreden der vergangenen Wochen wieder aufgefrischt haben.

Retterin der Dialekte

Die FDP im Landtag möchte, dass die bei Gelegenheiten wie diese zu studierende sprachliche Vielfalt in Hessen nicht untergeht. Ihre nordhessische Abgeordnete und Sprecherin für den ländlichen Raum, Wiebke Knell, hat sich zur Retterin erklärt. Sie hat einen Antrag eingebracht, der den Erhalt von Dialekten zum Ziel hat.

Wiebke Knell verwendet in den Parlamentsdebatten Hochdeutsch. Die hessische Sprachmelodie beherrschen andere Abgeordnete im Plenum tausendfach besser. Gleichwohl kämpft sie für ein tolerantes und gelebtes Nebeneinander von Ebbelwei, Äppelwoi oder was sonst noch.

Wie aber soll die Landesregierung verhindern, dass die älteren Menschen ihre Kenntnisse für immer mit ins Grab nehmen, die vieles hessische Dialekte für immer und ewig aus dem Sprachgebrauch verschwinden? Die FDP fordert, mit dem Forschungszentrum Deutscher Sprachatlas die Verwendung von Dialekten zu erheben und Dialekte bei der Kulturförderung besonders zu berücksichtigen.

Das ist ein Antrag ganz nach dem Geschmack der gebürtigen und zugezogenen Hessinnen und Hessen. So wie die Dürre Runde, Feldkieker oder Stracke. Es ist nicht alles Wurscht, sondern manchmal auch Worscht.

Jutta Rippegather und Hanning Voigts berichten für die FR aus dem hessischen Landtag. Einmal die Woche geben sie ihren Senf dazu. Alle Kolumnen im Internet unter: fr.de/loewensenf

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