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Das Ende der Verdrängung

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Fritz Bauer, hier zu sehen in einer Ausstellung im Jüdischen Museum im Jahr 2014, musste 1936 vor den Nazis nach Skandinavien fliehen. 1949 kehrte er in seine alte Heimat zurück und machte sich an sein Lebenswerk - die Täter des Holocaust aufzuspüren und sie vor Gericht zu stellen.
Fritz Bauer, hier zu sehen in einer Ausstellung im Jüdischen Museum im Jahr 2014, musste 1936 vor den Nazis nach Skandinavien fliehen. 1949 kehrte er in seine alte Heimat zurück und machte sich an sein Lebenswerk - die Täter des Holocaust aufzuspüren und sie vor Gericht zu stellen. © peter-juelich.com (Archiv)

Vor 50 Jahren endete der erste Frankfurter Auschwitzprozess: Sechs Mal lebenslang, elf befristete Haftstrafen und drei Freisprüche markierten einen Wendepunkt im Umgang mit den NS-Verbrechen. Maßgeblicher Initiator: der Jude und Sozialdemokrat Fritz Bauer.

Fritz Bauer (1903-1968) gehört zu den weniger bekannten Helden der deutschen Nachkriegsgeschichte. Vieles von dem, was der Jurist und Verfolgte des NS-Regimes tat, spielte sich im Verborgenen ab und gelangte erst nach seinem Tod an die Öffentlichkeit. Aber klar ist: Ohne ihn hätte es wohl weder das Eichmann-Tribunal in Jerusalem im Jahr 1961 noch den ersten Frankfurter Auschwitz-Prozess gegeben.

Der hessische Generalstaatsanwalt Bauer gab Ende der 1950er Jahre dem israelischen Geheimdienst die entscheidenden Tipps zur Ergreifung von Adolf Eichmann, des Cheforganisators des Holocaust, in Argentinien. Und er ließ nicht locker bei der Vorbereitung und Inszenierung des ersten großen Prozesses vor einem deutschen Gericht gegen Täter des NS-Regimes. Der Frankfurter Auschwitz-Prozess endete am 19. August vor 50 Jahren mit der Verkündung der Urteile und Haftstrafen für 17 der Angeklagten.

Fritz Max Bauer wird am 16. Juli 1903 in Stuttgart in eine liberale jüdische Familie geboren. Als Heranwachsender entwickelt er ein lebendiges Verhältnis zum Judentum, wie der Münchener Journalist und Jurist Ronen Steinke in seiner Bauer-Biografie anhand neuer Quellen belegt. Bauer engagiert sich gern in der kleinen jüdischen Welt Württembergs und hält packende Vorträge, die von seiner tiefen Kenntnis der Hebräischen Bibel und des Talmud zeugen.

Im Frühjahr 1921, als 17-Jähriger, nimmt Fritz Bauer in Heidelberg sein Jurastudium auf. 1923 wechselt er an die Universität Tübingen, wo er vier Jahre später mit einer Arbeit über Firmenzusammenschlüsse promoviert wird. 1930 wird er Amtsrichter in Stuttgart und zusammen mit seinem Freund und SPD-Genossen Kurt Schumacher zu einem glühenden Verteidiger der Weimarer Republik. Im März 1933 setzen die Nazis Bauer ab und internieren ihn und Schumacher für acht Monate im Konzentrationslager auf dem Stuttgarter Heuberg.

Die schikanösen Sondergesetze und die Boykotte gegen jüdische Geschäftsleute treiben Bauer 1936 ins dänische Exil. Um den Nazis endgültig zu entkommen, schließt er 1943 mit der dänischen Erzieherin Anna Maria Pedersen eine Scheinehe und flüchtet nach Schweden. 1944 hebt er in Stockholm mit Willy Brandt die Exilzeitschrift „Sozialistische Tribüne“ aus der Taufe.

Erst 1949 sieht Bauer seine alte Heimat wieder. Auf Formularen bezeichnet er sich als „glaubenslos“. Er habe seine jüdische Herkunft verborgen, „um wenigstens als Deutscher anerkannt zu werden“, analysiert Steinke. Ab 1950 widmet sich Bauer als Generalstaatsanwalt zunächst in Braunschweig und ab 1956 in Frankfurt am Main seiner Lebensaufgabe: die NS-Täter zu belangen. Seine Prozesse zielen auch auf eine pädagogische Wirkung beim Publikum ab, auf eine „Wandlung der Deutschen in demokratiefähige Menschen“, wie Werner Renz vom 1995 gegründeten Fritz-Bauer-Institut in Frankfurt hervorhebt.

Der furchtlose Feuerkopf Bauer sieht sich allerdings enormen Widerständen ausgesetzt. „Wenn ich mein Büro verlasse, betrete ich feindliches Ausland“, beschreibt er einmal seine Lage. Wegen seiner jüdischen Herkunft und seiner Kritik an den alten Nazi-Seilschaften erhält er Schmähbriefe und Morddrohungen.

Isoliert ist der Generalstaatsanwalt aber nicht. Er wohnt im Frankfurter Westend in enger Nachbarschaft zu Uni-Rektor Max Horkheimer, mit dem er zu runden Geburtstagen Glückwünsche austauscht. Den NS-Widerstandskämpfer und ersten hessen-nassauischen Kirchenpräsidenten Martin Niemöller lernt er Anfang 1960 kennen und schätzen. Auch mit dem Anwalt Christian Raabe, der im Auschwitz-Prozess Angehörige von Opfern vertrat, war Bauer befreundet: „Bauer war unglaublich unprätentiös, direkt und herzlich, und er strich nie seine Funktion heraus“, erinnert sich Raabe. „Er konnte aber auch explodieren.“

Meist debattiert der weißhaarige, dauerrauchende Jurist mit seinen Freunden bis in die Nacht hinein in seinem Arbeitszimmer über die Tagespolitik. Engeren Kontakt sucht Bauer zum Schauspieler Thomas Harlan, dem Sohn des NS-Propagandafilmers Veit Harlan („Jud Süß“). Mit ihm verbringt er 1964 sogar einen Urlaub am Mittelmeer, was die Gerüchteküche mächtig anheizt. „Obwohl Bauer im dänischen Exil einmal wegen homosexueller Handlungen verhaftet wurde, waren seine Frankfurter Beziehungen rein platonischer Natur“, sagt Renz. Er streitet aber vehement für die Abschaffung des Paragrafen 175 des Strafgesetzbuches, der sexuelle Handlungen zwischen Männern unter Strafe stellte.

Mitte der 1960er Jahre trübt sich Bauers Stimmung immer mehr ein. An zwei seiner Künstlerfreunde schreibt er: „Die Strafanzeigen hageln, alles ist gegen mich verschworen.“ Und er bangt um sein aufklärerisches Lebenswerk. Thomas Harlan vertraut er an: „Die Aversion hierzulande gegen die Bewältigung der Vergangenheit wächst, sie ist groß, wird riesengroß und gefährlich.“ Am 1. Juli 1968 wird Bauer tot in seiner Badewanne gefunden. Der Suizidverdacht bestätigt sich nicht. Zur Trauerfeier in Frankfurt reist auch seine dänische Ehefrau an. Beigesetzt wird er in Göteborg im Grab seiner Eltern. (epd)

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