Emre Telyakar: „Bewusstsein für antischwarzen Rassismus schaffen“

Emre Telyakar (Grüne) spricht im FR-Interview über die Ächtung von N- und M-Wort, Verhandlungen mit der FDP und den Namen „Miquelallee“.
Die Entscheidung der Koalition, den Antrag zur Ächtung rassistischer Begriffe zu vertagen, hat zu emotionalen Diskussionen geführt. Eingebracht hatte die Vorlage die Fraktion „Die Fraktion“, ursprünglich kommt sie aber von den Grünen. Sie scheiterten damit aber in der Koalitionsrunde an der FDP. Emre Telyakar, stellvertretender Fraktionsvorsitzender der Grünen, verteidigt im FR-Interview die Entscheidung, den eigenen Antrag aufzuschieben.
Herr Telyakar, warum sind die Grünen im Römer vor der FDP eingeknickt?
Wir sind nicht eingeknickt. Wir befinden uns in Verhandlungen mit der FDP. Ziel ist zum einen anzuerkennen, dass das N- und das M-Wort rassistisch sind, und diese zum anderen zu verurteilen. Wir arbeiten aber einen gemeinsamen Koalitionsantrag aus, der noch weiter geht. Denn wir sind uns ja in der Sache einig. Auch die FDP lehnt Rassismus ab, und der Kampf gegen Rassismus ist elementarer Bestandteil unseres Koalitionsvertrags und der Grünen Partei.
Wird es im Februar einen Antrag der Koalition dazu geben?
Definitiv.
Damit ist der Antrag der „Fraktion“ nicht vom Tisch. Wie wird sich die Koalition verhalten?
Dazu kann ich jetzt noch nichts sagen.
Können Sie ausschließen, dass Sie gegen den Antrag der „Fraktion“ stimmen?
Ja, das ist ausgeschlossen.
Denken Sie derzeit manchmal, dass die FDP doch der falsche Koalitionspartner ist? Mit den Linken hätten Sie diese Probleme jetzt nicht.
Hierbei wäre vielleicht einiges einfacher, das stimmt. Dafür gäbe es womöglich andere Probleme.
Sie sind auch im Vorstand der Grünen Jugend, die die Koalition wegen des Umgangs mit dem Antrag kritisiert...
Dazu stehe ich. Der parlamentarische Zirkus lenkt die Aufmerksamkeit weg von den Inhalten, die der Schwarzen Lebensrealitäten in Frankfurt und dem Anti-Schwarzen Rassismus.
Wieso ist die Ächtung rassistischer Begriffe wichtig. Daraus ergeben sich keine Rechtsfolgen?
In erster Linie geht es um Haltung und Sichtbarkeit. Langfristig soll dies die Grundlage für verschärfte Rechtsfolgen gegen rassistisches Vokabular ermöglichen. Dadurch, dass die koloniale Vergangenheit Deutschlands immer noch auf verschiedenen Ebenen der Gesellschaft so präsent ist, zum Beispiel in der Bildung, der Kunst oder Kultur, ja auch im Alltag und in dem Stadtbild ergeben sich durch die Verurteilung Sichtbarkeit, Diskurse und Handlungsoptionen, für die wir einen Umgang finden werden. Ich nenne Ihnen ein Beispiel. Wenn ein Schwarzes Kind in der Schule mit dem N-Wort beleidigt wird, dann müssen die Eltern mit der Lehrkraft nicht groß diskutieren, ob der Begriff rassistisch ist. Die können auf den Beschluss durch die Stadt verweisen. Oder nehmen wir die Stadtbücherei: Da finden sich womöglich Bücher, die rassistische Inhalte haben.
Die werden dann aussortiert?
Nicht unbedingt. Aber es wird ein Bewusstsein für die Problematik geschaffen. Nehmen wir das Historische Museum, das vorbildlich ist, wenn es um diskriminierungsfreie Ausstellungen geht. Da wird etwa Theodor Wonja Michael gewürdigt, der Schauspieler, der zu den wenigen Schwarzen Zeitzeugen der NS-Zeit zählte. Die Nazis gaben ihm einen Pass, dessen Titel das N-Wort beinhaltet. Der ist dort auch ausgestellt, man sieht ihn aber nur, wenn man eine Schablone benutzt, auf der die Verwendung des N-Wortes thematisiert und eingeordnet wird. Solche Formate brauchen wir.
Es ging in der Diskussion um den Antrag auch um Kolonialgeschichte...
Ökolinx hat das zurecht thematisiert. Anti Schwarzer Rassismus stammt explizit aus der Kolonialzeit und ist deshalb bei der Debatte um Rassismus immer zusätzlich zu betrachten. Es gibt antischwarzen Rassismus gegen heute lebenden Menschen. Und es gibt den Rassismus aus der Kolonialzeit, den wir stärker aufarbeiten müssen. Deshalb wollen wir etwa Straßennamen ändern, in denen Kolonialisten gewürdigt werden. Wir haben dazu eine Liste, da steht etwa auch die Miquelallee drauf. Eine prominente Straße, deren Namen an Johannes von Miquel erinnert. Der war Frankfurter Oberbürgermeister. Er war aber auch Gründungsmitglied des Deutschen Kolonialvereins, der der größte Lobbyverein für deutsch-koloniale Expansionspolitik war.
Also wollen Sie die Miquelallee umbenennen?
Die Entscheidung trifft der Ortsbeirat. Ich könnte mir sehr gut vorstellen, dass wir an dieser Stelle Jean Claude Diallo würdigen, den früheren Integrationsdezernent, der auch Minister in Guinea war. Er war 1997 der erste schwarze ehrenamtliche Stadtrat und hat für Frankfurt großartige Arbeit geleistet.
Interview: Georg Leppert