Eintracht Frankfurt: Weiß der Adler

Die Eintracht hat drei Farben – besonders mit einer davon ist sie in der Europa League so weit gekommen wir seit 42 Jahren nicht mehr.
Weiß ist die Unschuld, das Unbefleckte. So weit die Philosophie. Aber fragen Sie mal jemanden aus Amity in den USA, dem der Weiße Hai ins Ohrläppchen gebissen hat (ja, wir verharmlosen hier gerade ein paar Horrorfilme), oder Käpt’n Ahab. Die sehen das wahrscheinlich ganz anders.
Die Fans der Frankfurter Eintracht sind zwar weit davon entfernt, so garstig wie der Weiße Hai in den europäischen Trophäenmeeren zu wildern, aber Sanso-Schäfchen sind sie auch nicht gerade. Dennoch gewandeten sie sich zuletzt serienmäßig in Weiß, um einige der besten Fußballmannschaften des Kontinents und abtrünniger Inseln aus dem Becken zu schubsen. (Eigentlich von der Wiese zu schubsen, aber der Hai meidet Wiesen ja meist, und das Schäfchen schubst nur, wenn es bockig ist.)
„Alle in Weiß nach Barcelona“, lautete also der Schlachtruf, dann, aufgrund des großen Erfolges, „alle in Weiß nach London“ und, logisch, anschließend auch alle in Weiß zum Rückspiel gegen West Ham. Buchstäblich alle. Der Ertrag rechtfertigte die Kleiderordnung voll und ganz. Auch wenn sich die Mannschaft als Einzige nicht daran hielt und plötzlich in Schwarz gegen die Londoner „Hammers“ aufs Feld lief.
Manchen Fan stürzte die Weiß-Sagung in Schwierigkeiten. „Wenn die Ansage ,Alle in weiß!‘ lautet, aber der ungewaschene Glückshoodie schwarz ist“, twitterte etwa Jochen Gebauer und illustrierte seinen Tweet mit einem gefilmten Herrn, der sich keinen Rat weiß. Wenn Fußballfans für eines Verständnis haben, dann für die Verzweiflung, die einen Schlachtenbummler befällt, der gezwungen ist, auf das garantiert siegbringende Kleidungsstück – hier: Kapuzenpulli – zu verzichten. Die Anteilnahme war groß. Gebauer zeigte sich schließlich im Stadion mit einem weißen Hoodie, und siehe: Es gelang trotzdem. Eine neue Reliquie in der fußballgöttlichen Eintracht-Geschichte war geweiht.
Die weiße Welle soll inzwischen dazu geführt haben, dass Textilien im hellsten aller Töne praktisch kaum noch zu bekommen sind in Frankfurt und Umgebung. Das mag übertrieben klingen, aber wer hätte noch vor ein paar Jahren geglaubt, dass 30 000 bis 40 000 Menschen kurzentschlossen nach Spanien in eine 1300 Kilometer entfernte Stadt fahren, fliegen, eilen, um ihren etwas launischen Lieblingsverein gegen die örtliche, ehemals beste Mannschaft der Welt kicken zu sehen? Übertrieben. Und wie. Aber gut übertrieben.
Der Griff zum Weiß ist beileibe nicht abwegig. „Schwarz-Weiß wie Schnee“ heißt die inoffizielle Hymne, vertont von der Metalband Tankard, vor jedem Spiel ins Stadion gerockt. 1959 wurde die Eintracht in Weiß Deutscher Meister. Und auch 2018 in Berlin verhalf das Weiß den Adlerträgern zum Triumph im DFB-Pokal. Da rannten nicht nur Ante Rebic und Mijat Gacinovic in weißen Trikots den Bayern auf und davon. Da lag auch, zur Freude der Fans, auf jedem Platz in der Frankfurter Kurve des Berliner Olympiastadions ein Leibchen für jede und jeden bereit. Darauf vorne: der Schriftzug „Frankfurt“, ein Adler mit Schal und Mütze, ein rundes Adlerwappen mit der Beschriftung „30 Jahre Pokalsieger – DFB-Pokalfinale“. Und hinten: eine dicke, fette 12.
Dieses T-Shirt, von der Qualität übrigens, die locker 30 Jahre hält – wer heute noch in den Hemden von derselben Firma rumläuft, die er vor 30 Jahren auf einem südfranzösischen Markt in Uzès kaufte, wird das bestätigen – dieses T-Shirt also wird selbstverständlich weiterhin von allen in Stolz und Ehren gehalten, die es am 19. Mai 2018 ergatterten. Es ist das perfekte Weiß für den Einsatz in Finalspielen. Auch wenn da irgendwie ein Kaffeefleck draufgeraten ist. Ein ganz kleiner. Und wer wäscht schon einen solchen Schatz? Was da passieren kann! Bei manchen hängt das Hemd in einem Rahmen hinter Glas an der Wand. Alarmgesichert. Völlig verständlich.
Im Europapokal des Jahres 2022 hat die Eintracht jüngst ein neues weißes T-Shirt eingeführt. Und einen Schal. Und eine Tasse. Und einen Aufkleber. Und einen Wimpel. Sie alle haben etwas gemeinsam: die Aufschrift „Sevilljaaaaa! in diesem Jahr“. Wer damit nach Spanien reisen möchte, muss sich sputen. Die Lieferzeit des Onlineshops der Eintracht beträgt vier bis sechs Tage. Das könnte knapp werden bis zum Endspiel am 18. Mai.
Drei Tage später ist übrigens das DFB-Pokalfinale in Berlin zwischen dem SC Freiburg und RB Leipzig. Die Emporkömmlinge aus Sachsen haben sich ein ganz besonders cleveres Motto einfallen lassen: „Alle in Weiß nach Berlin“. Wie sind sie bloß darauf gekommen?

